Kultur Filmemacher zeigen, was sie bewegt
Mit einem Videotagebuch dokumentiert das Jugendfilmcamp Arendsee online die Corona-Krise.
Arendsee l Still ruht der See? Nicht ganz. Am altmärkischen Arendsee ist seit einigen Wochen etwas in Bewegung. Das Projekt „InfluenZAR 2020“ schlägt Wellen. Ein digitales Rauschen ist zu vernehmen aus der Tiefe des Internets. Erzeugt wird es von Jugendlichen, die ein filmisches Zeugnis ablegen möchten von dieser Zeit, wo sich die Welt im Krisenmodus befindet. In Vlogs – Video-Blogs – reflektieren junge Leute ihre gegenwärtige Situation, und zwar so, wie es auch im analogen Jugendfilmcamp in Arendsee grundsätzlich läuft. Dort treffen sich jeden Sommer über 600 Jugendliche aus vielen Nationen und drehen bis zu 60 Filme. Im Herzen der Altmark bekommen die Teams Einblicke in die Filmbranche und lernen mit Profis, wie man produziert.
Was jeden Sommer live funktioniert auf dem Gelände des einstigen Ferienlagers an der „Perle der Altmark“, läuft seit diesem Frühjahr auch digital. „Wir mussten reagieren“, sagt Jugendfilmcamp-Leiter Norman Schenk. „Und wir mussten ein Zeichen setzen mit der Jugend, die ihre eigenen Visionen hat.“ Dieses Zeichen mit Mitteln des Kurzfilms zu setzen und die Ergebnisse online zu stellen, die Idee ist schnell geboren. Genauso schnell sei sie auch umgesetzt worden, sagt Schenk: „Als hätten alle nur auf so ein Projekt gewartet.“ Nach zwei Tagen steht die Webseite. Dozenten und ehemalige Jugendfilmcamper finden sich. Die Friedrich-Ebert-Stiftung, sonst Unterstützerin für Dokumentarfilme und Fotografie, ist mit im Boot. Ehemalige Camper und junge Menschen, die über soziale Medien die ersten Ergebnisse sehen, machen mit, verknüpfen sich innerhalb Deutschlands und darüber hinaus. „Das Netzwerk wird immer größer, reicht schon bis in die USA“, weiß Norman Schenk. Der Campleiter, der im Luftkurort seit sieben Jahren seine Visionen umsetzt, mit seinen Teams Jugendliche zusammenbringt, die sich für Filme und Medienkultur interessieren, glaubt daran, dass das Portal ein „positiver Dauerzustand“ werden könnte. Er sagt: „Wir wollten schon lange eine Online-Plattform aufbauen, um mit den Tools arbeiten zu können, die uns zur Verfügung stehen.“ Nun ist sie schnell gewachsen und ergänzt schon jetzt, was sich im Sommer auf dem Gelände abspielt. Nur eins könne schwerlich ersetzt werden, meint Schenk. „Viele kommen zu uns, um Antworten zu finden, wohin die Lebensreise geht, um neue soziale Kontakte zu finden und verliebt wird sich auch. Das mit dem Verlieben ist online schwer zu händeln, aber sonst geht schon einiges“, sagt der Campleiter.
Gesteuert wird das „InfluenZAR“-Projekt von sechs Jugend-Ansprechpartnern – Jugendlichen aus Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin/Brandenburg und Sachsen. Dominik Ziegenhagel gehört zu diesem „Jugendorga-Team“. „Es macht wahnsinnig Spaß, in Zeiten der Quarantäne ein Ventil für den Tatendrang zu haben“, sagt er. An seiner Seite hat das Team Dozenten zwischen 40 und 70 Jahren, die Erfahrung weitergeben und auch sammeln. „Die Jugendlichen sind irre kreativ und so schnell mit neuen Medien“, weiß Norman Schenk. Die Filme für das digitale Tagebuch entstehen mit Telefonen oder Kameras – da darf es wackeln oder im Hintergrund rauschen. „Was zählt“, so der Campleiter, „ist, dass wir sehen, wie die Not in einen kreativen Prozess umgewandelt wird“. Der wird gesteuert wie im normalen Jugendfilmcamp. Wer mitmachen möchte, trägt sich auf der Online-Plattform ein. Die Dozenten beraten wöchent- liche bis zu vier Teams. Die Mitglieder sitzen oft in verschiedenen Ländern, dann kommt das Drehbuch aus Berlin und die Regie sitzt in Lissabon. Die fertigen Filme werden auf allen Kanälen als Premiere angekündigt“, erklärt Schenk, der das Projekt als „sehr emotional“ beschreibt. Vor Ort kümmert er sich darum, dass das „echte Jugendfilmcamp“ vorbereitet, alle Szenarien durchspielt und das Areal umgebaut wird. Parallel wächst die Plattform. Mehr als 20 Beiträge von mehr als 20 Teams und 80 Teilnehmern sind schon zu sehen. Videos von Jugendlichen, die im Quarantäne-Wohnzimmer abhängen oder als Senioren auf der Parkbank diskutieren. Die Kurzfilme tragen Titel wie „Auferstehung“ oder „Zeitzeugen Europas“. Manche sind Komödien, andere Satire, weitere dokumentieren schlicht. „Alle zeigen, was passiert, wenn die Kreativität von Jugendlichen freigesetzt wird“, sagt Norman Schenk in dessen Kopf längst die Idee gereift ist, wie diese Kreativität später sichtbar gebündelt werden kann. „Daraus“, sagt er, „machen wir auf jeden Fall einen großen Film“.