Studie Warum sterben Sachsen-Anhalter früher?
Sachsen-Anhalter werden heute so alt wie nie. Dennoch: Im bundesweiten Vergleich schneidet das Land schlecht ab.
Magdeburg l Gäbe es die anderen Bundesländer nicht: Sachsen-Anhalt könnte zufrieden mit sich sein. Seit 1990 ist die Lebenserwartung im Land enorm gestiegen. Mädchen, die heute zwischen Arendsee und Zeitz geboren werden, stehen im Mittel 82 Jahre und 8 Monate Lebenszeit bevor. Bei Jungen sind es 76 Jahre und 3 Monate.
Laut Statistischem Landesamt sind das fast sieben beziehungsweise fast sechs Jahre mehr als zu Beginn der 1990er Jahre. Gleichzeitig ist das allerdings nur ein Teil des Bildes. Dessen Gesamtheit fügt sich zusammen, wenn man auch die übrigen Bundesländer betrachtet. Im nationalen Vergleich allerdings steht Sachsen-Anhalt laut einer aktuellen Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung Rostock so schlecht da wie kein anderes Bundesland.
Mit Ausnahme von Wittenberg landen alle 11 Landkreise sowie die Städte Magdeburg, Halle und Dessau-Roßlau bei der Lebenserwartung in der Schlussgruppe der unteren 10 Prozent aller verglichenen 402 Regionen. Am schlechtesten schneidet der Salzlandkreis ab. Mit 81,77 Jahren lag die Lebenserwartung neugeborener Mädchen hier zuletzt gar so niedrig wie nirgends in Deutschland (Platz 402 von 402). Auch bei den Männern bringt es der Kreis mit einer Lebenserwartung von 76,38 Jahren nur auf Platz 400. Betrachtet man nur die Männer, schneidet der Kreis Stendal nochmals schlechter ab (76,07 Jahre; Rang 401).
Ein wenig besser sieht es in Magdeburg aus. Neugeborene Mädchen in der Landeshauptstadt haben im Mittel eine Lebensspanne von 82,77 Jahren, Jungen eine von 77,42 Jahren. In Sachsen-Anhalt sind das Spitzenwerte. Im bundesweiten Ranking reicht auch das aber nur für Platz 370 beziehungsweise 365.
Studienautor Roland Rau, zugleich Professor an der Rostocker Universität, sagt: Bei der Interpretation der Zahlen sollte man Vorsicht walten lassen. Durch die Methodik der Studie mit Schätzungen sei das Ranking eher als grobe Orientierung zu verstehen, denn als feststehende Größe.
Dennoch schneidet Sachsen-Anhalt im Mittel deutlich schlechter ab als andere Länder. Woran liegt das? Rau hat in seiner Untersuchung einen starken Zusammenhang zwischen der Lebenserwartung und den Bedingungen gefunden, unter denen die ärmsten Bevölkerungskreise leben.
Faktoren wie Arbeitslosigkeit und Hartz-IV-Bezug wirken sich demnach wesentlich stärker auf die Lebensspanne aus als etwa die Bevölkerungsdichte (Wohnort Stadt/Land) oder das Pro-Kopf-Einkommen einer Region. „Lebensstilfaktoren sind sicherlich ebenfalls wichtig“, sagt Rau.
Das sehen auch Experten der Uniklinik Magdeburg so: „Volkskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes treten in unserem Bundesland besonders häufig auf“, sagt Peter Mertens, Direktor der Universitätsklinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten des Uniklinikums Magdeburg.
Sachsen-Anhalter griffen zudem häufiger als andere Bundesbürger zur Zigarette. Einen weiteren Faktor sehen die Magdeburger Mediziner in der geringen Dichte von Fachärzten, wie Kardiologen und Neurologen im Land. Durchschnittlich sechs Monate wartet ein Patient bei Erstbeschwerden hierzulande auf einen Facharzttermin, so das Uniklinikum. Studienautor Rau teilt letzteren Befund nicht: Die Erreichbarkeit von Ärzten hängt demnach viel weniger stark mit der Lebenserwartung zusammen, als Armutsrisikofaktoren wie Hartz-IV-Bezug.
Herbert Wollmann, Internist und Kardiologe aus Stendal, weist auf einen weiteren Punkt hin: Durch die Abwanderung junger, gesunder Menschen nach der Wende könnte sich die Lebenserwartung in deren Heimatkreisen statistisch reduziert, im Zielkreis dagegen deutlich erhöht haben. Das räumt auch Studienautor Rau ein. „Die Studie sollte daher nicht instrumentalisiert werden“, warnt Wollmann. „Was es braucht sind Folgestudien.“