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Ex-US-Botschafter Jack F. Matlock „Keinen Zentimeter nach Osten“

Früherer US-Botschafter in Moskau: Washingtons Führer versprachen dem Kreml mehrfach, den Verzicht auf Nato-Osterweiterung. Jack F. Matlock kritisiert auch die Regierung in Kiew.

06.05.2024, 20:10
Ex-US-Botschafter Jack F. Matlock präsentiert  2005 in Moskau sein  Buch über die  Präsidenten Ronald Reagan und Michael Gorbatschow.
Ex-US-Botschafter Jack F. Matlock präsentiert 2005 in Moskau sein Buch über die Präsidenten Ronald Reagan und Michael Gorbatschow. Foto: imago

Der frühere US-Botschafter in der Sowjetunion, Jack F. Matlock, hält eine Rückgewinnung der von Russland besetzten Gebiete der Ukraine für illusorisch und zudem für wenig vorteilhaft. „Zumindest können sie die Ziele, die die ukrainische Regierung artikuliert hat, nicht erreichen. Es wäre nicht einmal im Interesse der Ukraine, alle Territorien zurückzugewinnen, die jetzt von Russland besetzt sind. Dort spricht die große Mehrheit Russisch, und die jetzige ukrainische Regierung hat verkündet, Russisch sprechende Menschen seien keine echten Ukrainer“, sagte Matlock dem Portal „Cicero online“.

Matlock, der von 1987 bis 1991 unter den US-Präsidenten Ronald Reagan und George W. Bush sen. Botschafter in Moskau war, fürchtet bei einer längeren Fortdauer des Krieges, dass Russland noch mehr ukrainisches Land erobert. Als Staat sei die Ukraine zudem kaum tragfähig, „besonders wenn sie sich als anti-russisch definiert“, so Matlock zu „Cicero“.

Der Ex-Diplomat nahm auch Stellung zum Historikerstreit, ob es Zusagen an Moskau gab, die Nato über den Stand von 1990/1991 nicht zu erweitern: „Ich war bei mehreren Treffen anwesend, bei denen amerikanische, britische und deutsche Offizielle Gorbatschow und Außenminister Schewardnadse versicherten, dass die Nato nicht weiter nach Osten expandieren würde, nachdem die ehemalige DDR mit in das Bündnis aufgenommen worden ist. Tatsächlich sagte Außenminister Baker mehrmals, die Nato würde ,keinen Zentimeter’ expandieren.“

Matlock: Stalin, Hitler und Chruschtschow schufen die Ukraine-Grenzen

Matlock erinnerte an die Tatsache, dass die heutigen Staatsgrenzen der Ukraine, auf denen Kiew besteht, durch Josef Stalin und Adolf Hitler sowie im Fall der Krim durch Nikita Chruschtschow geschaffen wurden. Zur Ukraine gehören seit 1945 auch ostpolnische Gebiete, die Stalin annektierte.

„Warum wird jetzt Blut vergossen, um das Erbe Hitlers und Stalins wiederherzustellen? Und übrigens, in der westlichen Ukraine gibt es eine mächtige und bewaffnete Neonazi-Bewegung, und diese ist den Russen ein gewaltiger Dorn im Auge. Dies zu leugnen, heißt, die Fakten zu leugnen“, meint er.

„Man nutzte die Situation aus“

„Beim Gipfeltreffen zwischen Gorbatschow und George Bush Sen. im Dezember 1990 auf Malta verkündeten beide das Ende des Kalten Krieges. Aber es wurden noch andere Dinge abgemacht. Zum einen, dass die Sowjetunion nicht in Osteuropa intervenieren würde, wenn dort politischer Wandel stattfände; zum anderen aber auch, dass Amerika diese Situation nicht zu seinen Gunsten ausnutzen würde. Die Ausweitung einer Militärallianz in diese Gebiete heißt, man nutzt die Situation sehr wohl aus“, erklärt Matlock das Problem aus seiner Sicht.

Von der jetzigen Regierung in Kiew hält Matlock nicht viel. Sie sei „diktatorisch und korrupt“. Es sei daher „totaler Unsinn“, wenn Washington jetzt behaupte, „wir würden mit unserer Unterstützung der Ukraine die Demokratie verteidigen“.

Die augenblickliche Situation sei „schlecht für alle“. „Klar leiden die Ukrainer am meisten. Aber wenige Wochen nach Beginn der russischen Invasion kamen beide Seiten einem Abkommen ja nahe. Aber dann riet Boris Johnson den Ukrainern davon ab. Ich bin mir sicher, die USA taten dies auch.“

Kritik an Merkel

Matlock kritisiert in dem Interview auch deutlich Berlin und Paris: „Wo wir doch schon von Deutschland und Frankreich sprechen, beide waren an den Minsk-Abkommen beteiligt, und wenn die Ukraine das Abkommen umgesetzt hätte, wäre dieser Krieg niemals passiert. Frau Merkel sagt jetzt, sie hätten die Minsk-Verträge nur dazu genutzt, um den Ukrainern mehr Zeit beim militärischen Aufbau und der Rückeroberung des Donbass zu verschaffen. Aber ich denke, es ist eindeutig im deutschen Interesse, mit Russland in Frieden zu leben und enge wirtschaftliche Beziehungen zu pflegen.“

Matlock erinnerte zudem an das große Potenzial von Verhandlungen: „Der Kalte Krieg endete durch Verhandlungen.“ (UK)