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Atomkatastrophe Die Aufbruchstimmung ist verflogen

Vor fünf Jahren verwüsteten Erdbeben und Tsunami die Region im japanischen Fukushima. Hinzu kan ein Atomgau.

10.03.2016, 23:01

Tokio (dpa) l Es hätte Japan, ja die Welt verändern können. Fünf Jahre ist es her, dass eine Dreifachkatastrophe aus Erdbeben, Tsunami und Havarie des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi am 11. März 2011 die Küstenregion im Nordosten Japans verwüstete. Rund 18 500 Menschen fielen dem Tsunami zum Opfer, der teils ganze Städte und Dörfer entlang von mehr als 500 Kilometern Küste zerstörte. Weltweit zum Inbegriff der Tragödie wurde aber der GAU in Fukushima, auch wenn die schlimmste Atomkatastrophe seit Tschernobyl kein direktes Todesopfer forderte.

So wie Deutschland, das Fukushima zum Anlass nahm, seine Politik zu ändern und den Ausstieg aus der Atomkraft zu beschließen, erwarteten viele auch in Japan einen breiten gesellschaftlichen und politischen Wandel. Nicht nur, was die Energiefrage anbelangt. Auch die Verwüstung riesiger Landstriche bot die Chance, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen und im Zuge des Wiederaufbaus demographische, soziale, ökologische und wirtschaftliche Strukturprobleme zu lösen, die lange existierten.

Heute, fünf Jahre danach, fällt die Bilanz jedoch ernüchternd aus. Noch immer leben Zehntausende in Behelfsunterkünften. Obwohl der Staat umfangreiche Mittel bereitstellte und unzählige freiwillige Helfer und Experten aus dem ganzen Land unermüdlich vor Ort arbeiteten, verläuft der Wiederaufbau schleppender als von vielen Beobachtern und Bewohnern der Unglücksregion angenommen. Von der anfänglichen Aufbruchstimmung im Land ist wenig übriggeblieben.

Viele Bürger im Nordosten fühlen sich vom Rest des Landes vergessen. Strom wird inzwischen genauso wieder verbraucht wie zuvor. Zwar ist die Mehrheit der Bevölkerung laut Umfragen gegen ein Wiederanfahren der zwischenzeitlich ausnahmslos abgeschalteten Atomreaktoren im Lande. Dennoch lässt die rechtskonservative Regierung von Ministerpräsident Shinzo Abe die ersten Meiler wieder anfahren. Dabei dauert die Katastrophe in Fukushima weiter an, wie der damalige Regierungschef und heutige Gegner von Atomkraft, Naoto Kan, mahnt.

Tagtäglich kämpfen rund 8000 Arbeiter auf dem AKW-Gelände weiter mit gewaltigen Problemen, vorneweg die gigantischen und täglich weiter ansteigenden Massen an radioaktiv belastetem Wasser. Aber immerhin hat sich die Lage in der Atomruine – glaubt man dem Betreiber Tepco – „stabilisiert“. Auch verweisen Experten darauf, dass Lebensmittel aus Fukushima, die in den Handel kommen, völlig sicher seien. Dies soll den Bauern in Fukushima, der Kornkammer des Landes, helfen, das Strahlenstigma loszuwerden.

Ministerpräsident Abe ist bemüht, der Welt den Eindruck von Normalität zu vermitteln. Die ersten Anwohner der Atomruine werden bereits unter Verweis auf die großflächigen Dekontaminierungsversuche gedrängt, in ihre Heimat zurückzukehren. Doch nur wenige kommen dem bislang nach. Nicht nur wegen der Angst vor der Radioaktivität, die der Regen aus den Bergen und Wäldern immer neu herbeispült. In weiten Gebieten stapeln sich auch fünf Jahre nach dem GAU weiter Berge von schwarzen Säcken mit unzähligen Tonnen von strahlendem Abraum.

Viele, vor allem die Jüngeren, sehen aber auch nicht zuletzt aus Mangel an Arbeitsplätzen keine Zukunft mehr für sich in der Region und haben in Tokio und anderen größeren Städten ein neues Leben begonnen. Zurück bleiben oft die Alten. Nicht nur in Fukushima, sondern auch anderen, vom Tsunami zerstörten Gebieten.

Bereits lange vor der Dreifachkatastrophe kämpften Japans ländliche Regionen mit dem demographischen Wandel, bedingt durch Geburtenrückgang, Abwanderung und Überalterung. Der vom Tsunami zerstörte Nordosten ist denn auch ein Mikrokosmos der Probleme, mit denen ganz Japan kämpft. Doch die Chance, die sich daraus für den Wiederaufbau bot, blieb nach Einschätzung von Experten ungenutzt.

„Integrierte Visionen von neuen, besseren, nachhaltigeren Städten, die mit den Planungsfehlern der Vergangenheit brechen würden, lösten sich schnell in einer Ansammlung von unkoordinierten Einzelaufbaumaßnahmen auf und der bloßen Wiederherstellung von zerstörten Infrastruktureinrichtungen wie Häfen, Straßen, Bahnstrecken oder Deichen“, so Christian Dimmer, Professor für Städtebau an der University of Tokyo.