Russland Auf den Fisch gekommen
Russlands Boykott von EU-Agrarprodukten stärkt zunehmend die heimische Wirtschaft.
Moskau l Fast museal stehen sie im Raum, die offenen, goldglänzenden Truhen mit reihenweise Krabben und Garnelen auf Eis. Das satte Rosa prangt zwischen gut besetzten Tischen in dem Restaurant am Ufer der Moskwa. Hier im Schatten des Hotels „Ukraina“, einem imposanten Stalin-Bau, hat Alexander Rappoport das Lokal „Erwin“ eröffnet. Eines, von dem mancher Gast nach nur wenigen Monaten sagt, es sei „das beste der Stadt“. Rappoport, Anwalt, Koch, Wirt, ist eine schillernde Figur des Moskauer Gesellschaftslebens und hat ein einfaches Konzept: Hier gibt es nur Fisch und der kommt großteils aus Russland.
Vor zwei Jahren hat Präsident Wladimir Putin eine Einfuhrsperre auf westliche Agrargüter verhängt. Wo einst frischer norwegischer Lachs zum guten Ton einer besser gestellten Mittelschicht gehörte, landen nun vielfach heimische Fische auf dem Teller: Lachs aus Murmansk, Forelle aus Karelien, Krabben aus Kamtschatka. Bei „Erwin“ brummt das Geschäft.
Als Putin auf die wegen der Ukraine-Krise verhängten EU-Sanktionen mit der Einfuhrsperre für Fleisch, Milch, Käse, Obst und Fisch reagierte, hatte das noch ein anderes Ziel: der Wirtschaft im Inneren aufzuhelfen. Bereits seit 2010 existiert ein Präsidialerlass, wonach Anteile landwirtschaftlicher Produkte am Inlandsmarkt gesteigert werden sollen. Ordentlich Schwung dafür kam mit den Spannungen zum Westen. Während nun von gepanschtem Käse und minderwertiger Milch berichtet wird, erleben andere Branchen einen Umbruch: Die fehlenden Fischmengen aus dem Westen werden Jahr für Jahr immer mehr ersetzt. Im großen Stil ist ein Warenaustausch im Gang.
Alexander Fomin, Vorsitzender des Unternehmerverbandes „Warpe“, der das Fischfang- und Verarbeitungsgewerbe sowie Exporteure vertritt: „Der meiste Fisch kommt aus dem Fernen Osten.“ Von Kamtschatka, Sachalin, Tschukotka.
Fische, die früher nach Asien exportiert worden seien, gingen zunehmend auf den Binnenmarkt. Statt bei gut 50 Prozent Marktanteil vor den Sanktionen, liege inländischer Fisch nun bei knapp 75 Prozent. Der Rest komme aus Thailand statt aus Norwegen, aus Vietnam oder Chile statt aus Island. Was fehlt, sagt Lobbyist Fomin, sei eine Infrastruktur, die Fisch aus dem Fernen Osten reibungslos bis über den Ural nach Zentralrussland bringe. „Die Mengen steigen. Der Prozess läuft, aber es dauert einige Jahre.“ Wobei der Fisch in Moskau eher aus dem Westen des Landes komme, aus Murmansk, Karelien, der Rostow-Region. Das ist näher dran an einer Metropole, die so nah an Skandinavien und dem Baltikum liegt, dass Importfisch seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion viel gefragter war.
Was im Restaurant von Rappoport zu moderaten Preisen zu haben ist, ist jedoch nicht typisch fürs ganze Land. Rubelverfall und Wirtschaftskrise haben die Leute fest im Griff. Sie kaufen oft den Fisch, den sie sich schlicht leisten können, zum Beispiel Seelachs. Einer der meistgefangenen Fische im Fernen Osten, der im Export viel Geld einbringt und neuerdings jedes Jahr mehr auch im Inland vertrieben wird, wie Fomin sagt. Noch aus Sowjetzeiten ist der allerdings unbeliebt und als „Katzenfutter“ verschrien.
Dass Standards wie norwegischer Lachs wegfallen – für Fomin ein großer Verlust: „Damit fehlen Anreize für Innovation.“ In Rappoports Restaurant dagegen fehlt das keinem. Der Geschäftsmann denkt schon über eine Fisch-Brasserie-Kette in Moskau nach. Für ihn ist alles eine Frage des Marketings. Mehr als 40 Fischarten stehen auf seiner Karte. Nur Seelachs nicht.