Kunstaktion in Magdeburg Kontrast im Knast
Gegensätze und Harmonie, Heiteres und Nachdenkliches, eine immense
Kunstaktion in Magdeburg wird zum Wechselbad der Gefühle. Bis zum 20.
September hat sich die einstige Justizvollzugsanstalt in der
Landeshauptstadt zur größten Galerie Sachsen-Anhalt verwandelt.
Magdeburg l Die Stimmung im Knast ist entspannt. Schon die Innenhöfe zeigen sich völlig verändert. Holzpodeste mit Sitzgelegenheiten, üppig bepflanzte Hochbeete, eine Bühne für diverse Veranstaltungen. Dazu der kaum zu übersehende Kontrast hoher Gefängnismauern und vergitterter Minifenster.
Im Inneren der Haftanstalt stehen alle Türen offen. Menschen wuseln durch die Flure, versuchen, möglichst viel aufzusaugen und sich zugleich in die Haut der einstigen Häftlinge zu versetzen. Das kann man manchmal recht einfach, in einigen der Zellen stehen noch Betten, das lässt ein wenig vom Eingesperrt-Sein ahnen.
Insgesamt 16 Wochenenden hat der Verein Kulturanker das einstige Gefängnis in Magdeburg in Beschlag genommen. Mit der Ausstellung "Die neue Sinnlichkeit in der zeitgenössischen Kunst" knüpft er an vergangene Projekte an. "Romantik 2.0" hieß es 2012 im leerstehenden Altstadtkrankenhaus, ein Jahr später in einem ausrangierten Bürogebäude "Mystique". Ungewöhnliche Orte sind auch bei anderen Aktionen erobert, verfremdet und wieder ins Gedächtnis zurückgeholt worden.
250 Zellen sind an Künstler vergeben
Ganz unterschiedlich haben sich die Künstler in diesem Jahr eingebracht. 250 Zellen sind an Künstler vergeben, sie kommen aus ganz Deutschland, Chile, Venezuela, Griechenland. Manche nutzen ihren Raum als Galerie, stellen eigene Werke vor. Andere nutzten das Umfeld für maßgeschneiderte Projekte. Simon Lejeune schuf "Die innere Zelle". Der Belgier setzt sich mit der Technik und ihrer Übermacht auseinander. Sein Netzwerk bedeckt die Innenwände komplett, scheint ein unüberwindbares Labyrinth zu sein.
Susann Machill und Katrine Maximilane haben das Vorgefundene genutzt, ein Bett mit Rasen versehen, Natur in die Enge gebracht. Sie erinnern zugleich auf einer nüchternen Tafel über die Widerstandsgruppe "Weiße Rose", in der die Geschwister Scholl agierten.
Expressive, plakatartige Bilder zeigt Roman Klonek. Wenige Worte wie "Fokus" oder "Wort" in kyrillischen Buchstaben erläutern sein Anliegen.
Hinter jeder Tür eine Überraschung
Hinter jeder Tür eine Überraschung, Plastiken, Gemälde, Installationen, Fotos. Das erfordert Zeit, Zeit sich einzulassen, zu entdecken. Nur wenige Besucher durchschreiten das Haus hastig. Wer gekommen ist, will Gefühle aufsaugen oder spürt beim Rundgang regelrecht automatisch eine Entschleunigung.
Der Vorsitzende des Vereins Kulturanker, Karsten Steinmetz, sieht es als Ziel, "Atmosphäre zu verorten, Kunst näher zu bringen". Am Wochenende kommen durchschnittlich etwa 2000 Menschen in den Knast, entdecken Kunst und ein Gebäude, das ihnen im Regelfall in früherer Zeit den Zutritt verwehrte.
Kunst und Umfeld sind eine Symbiose eingegangen, entwickeln Wechselwirkungen, sorgen für Emotionen. Ja, sagt Karsten Steinmetz, wir wollen auch zeigen, dass wir solche Aktionen umsetzen können. Zweifellos ein Etappensieg auf dem Weg zur möglichen Kulturhauptstadt Magdeburg.