Literaturpreis „Lyrik ist die Königsdisziplin“
Das Land Sachsen-Anhalt ehrt den Dichter Uwe Kolbe in Stendal mit dem Klopstockpreis.
Berlin l Für sein lyrisches und prosaisches Gesamtwerk wird der Schriftsteller Uwe Kolbe am 2. Oktober mit dem Klopstock-Preis für neue Literatur des Landes Sachsen-Anhalt ausgezeichnet. Der Preis ist mit 12.000 Euro dotiert. Grit Warnat hat den Preisträger getroffen und mit ihm über Dichter und die Kunst des Dichtens gesprochen.
Herr Kolbe, Dichter haben ein überschaubares Publikum. Stimmt Sie das traurig?
Uwe Kolbe: Ich klage nicht darüber. Leute, die Gedichte lesen und hören, egal ob von Rilke, Klopstock oder Kolbe, wollen ihre eigene Sprache entwickeln und erweitern, sie schätzen das Gedicht als lebendige, schöne Sprache. Schöne Sprache ist mein Anspruch.
Sie dichten seit den 1980er Jahren. Wie hat sich Ihre Sprache entwickelt?
Meine Sprache war von Anfang an eine relativ starke und voluminöse Muttersprache, die stets aus allen Quellen nahm. Ich habe mit sieben angefangen zu lesen und habe nicht mehr aufgehört. Ich habe immer gelesen und gelesen, bis 14 aber nie Gedichte. Zu der Zeit vor allem Science Fiction, soweit es das gab – von Jules Vernes bis Stanislaw Lem.
Und dann haben Sie geschrieben. Ihr erster Lyrikband kam 1980 heraus. Er heißt „Hineingeboren“. Weil Sie in die DDR hineingeboren worden sind?
Weil ich ein Gedicht geschrieben hatte, das „Hineingeboren“ heißt.
Aber es ging um die DDR.
Dieser erste Gedichtband hat offenbar einen Nerv getroffen. Damals war dieser Band etwas anderes als die Lyrikwelle, die es gab. Bei mir ging es wohl deutlicher um die Existenz eines Menschen von Anfang 20 in der DDR. Das kam offensichtlich an.
Sie waren damals schon mit Gedichten erfolgreich.
Ich habe in der DDR drei Gedichtbände veröffentlicht. Dass man damit vergleichsweise populär werden konnte, gehörte zu den Merkwürdigkeiten dieses Staates.
Ihr Mentor Franz Fühmann hatte damals zu Ihrem ersten Band geschrieben, dass es gute DDR-Lyrik trotz beengter Erfahrung gibt. Meinte er das jugendliche Alter von Ihnen oder Beengtsein durch Nicht-reisen-Können?
Der von mir sehr verehrte Franz Fühmann hatte ein Nachwort geschrieben, weil der Gedichtband sonst wahrscheinlich gar nicht erschienen wäre. Er meinte nach allem, was ich weiß, durchaus die Grenzen, die die DDR setzte, die Erfahrung von Welt, die Erfahrung von Sprachen und anderen Kulturen, die ja Richtung Osten auch begrenzt war. Es war ein sehr abgeschottetes Dasein.
Haben Sie in Ihren Gedichten Botschaften versteckt?
Ich habe nie etwas versteckt. Ich habe geschrieben, wie ich es handwerklich konnte und was ich auch genau so ausdrücken wollte. Mein Selbstverständnis war immer sehr kämpferisch. Der Aufbau-Verlag hat meine Texte zensiert. Aus „Bornholm“ waren etwa 20 Gedichte rausgeflogen. Mir wurde vom Verlag klar gesagt: Bleiben diese Gedichte, gibt es das Buch nicht. Ich wollte aber mein Publikum im Land erreichen. So lief die Erpressung.
Was sagen Sie, wenn Sie heute diese frühen Gedichte lesen?
Dann denke ich hier und da, schön gesagt. Schön und auch heute noch gültig.
Lyrik war einst eine Königsdisziplin. Heute ist sie schwer zu vermarkten. Verleger scheuen sich, Gedichte herauszubringen. Was ist Lyrik heute?
Es war und ist die Königsdisziplin. Sie wird es auch immer bleiben. Aber das Gedicht hatte noch nie einen Marktwert. Es ist noch nie verkauft worden.
Auch nicht zu DDR-Zeiten?
Das Leseland DDR war Not. In Notzeiten spricht das Gedicht. In solchen Notzeiten wurden Pablo Neruda groß und Majakowski. Das weltgrößte Poesiefestival der Welt wurde vor 25 Jahren zu Escobar-Zeiten in Medellin in Kolumbien gegründet. In der kriminellsten Stadt der Welt kamen damals zehntausend Leute zusammen, um Gedichte zu hören. Die Menschen wollten sich mit Lyrik ihrer selbst versichern und spüren, dass es etwas anderes in der Welt gibt als Gewalt, Kriminalität, Drogen. 2010 war es kleiner, aber noch immer berauschend.
Wie entsteht ein Gedicht?
Die handwerkliche Version hat Paul Valéry wunderbar auf den Punkt gebracht: „Die erste Zeile ist geschenkt. Alles andere ist Arbeit.“ Tatsächlich ist mit dieser ersten Zeile die Struktur, das Maß gegeben. Das muss man erfüllen und abschließen können. Das Ende ist die Kunst.
Sie reden vom Handwerk?
Im Gedicht geht es um Form, Gestaltung, Präzision. All das entwickelt sich im Laufe der Jahre. Meine Anfänge waren schon unbewusst. Ich habe auch immer wieder experimentiert. Heute habe ich eine eigene Sprache mit einem Rhythmus, der hoffentlich wiedererkennbar ist.
Tut es dem Dichter Kolbe manchmal weh, wie wir im Smartphone-Zeitalter mit Sprache umgehen?
Ich habe nichts gegen die Beschleunigung unserer Kommunikationswege. SMS hat mich am Anfang total begeistert. Gerade wegen der Kürze. Junge Menschen perfektionieren das, sie sind die Kreativsten, übrigens auch die empfänglichsten für Gedichte. Ich halte es für ein verwandtes Talent, neue Worte, Abkürzungen zu finden. Es ist fast ein poetisches Prinzip, innerhalb weniger Zeichen auf den Punkt zu kommen. Ich finde, das ist hochkreativ.
Twittern Sie?
Nein. Ich würde aber diese technische Sprachkultur abtrennen von öffentlicher Sprache, auch von politischer Sprache, und der Art und Weise, wie reduziert Menschen miteinander umgehen. Aber das ist nicht neu. Darüber haben schon die alten Römer geklagt. Jede Zeitgenossenschaft hat dieses Empfinden.
2014 kam Ihr erster Roman heraus. Warum wollten Sie als Lyriker einen Roman schreiben?
Mit Mitte 20 hatte ich darüber schon nachgedacht. Ich habe mich auch mal an einem 250 Seiten langen Krimi versucht. Es war ein handwerkliches Experiment. Ich wollte über die Distanz gehen. Der Roman ist handwerklich ganz anders als ein Gedicht, andere Sprache, anderes Maß. Und seine Wahrnehmung ist eine ganz andere. Auf der Buchmesse sirrten Kameras, die sich um Dichter gewöhnlich nicht kümmern. Mit einem Roman findet man auch andere Leser. Trotzdem war der Roman für mich eine Eintagsfliege. Aber er musste sein.
Des Handwerks wegen oder weil Sie unbedingt diese Geschichte um Verrat in der DDR schreiben wollten?
Ich wollte diese Geschichte schreiben. Ich hatte auch in den Leserreaktionen gespürt, dass da etwas drin ist, was die Leute umtreibt. Es ist diese Welt, deren Erfahrung viele teilen. Ich wollte kritisch und selbstkritisch über dieses angepasstes Leben und die unehrliche Haltung von Menschen zwischen politischen Ansprüchen und dem wirklichen Leben im Alltag schreiben.
Das haben Sie in Ihrem Brecht-Essay noch einmal aufgegriffen.
Der Essay ist im Gefolge des Romans entstanden. Im Gespräch mit dem Publikum war ich immer genötigt, nach Brecht zu greifen. Brecht war perfekter Kapitalist, ein Ausbeuter und gleichzeitig ein geschätztes Genie. Er wusste genau Bescheid über den Gulag und damit über die Qualität der kommunistischen Herrschaft in der Sowjetunion. Aber sein Thema war nur der Faschismus. Ich habe von der Leber weggeschrieben und das verlogene Modell Brecht untersucht.
Sie thematisieren immer das Erinnern.
Gedichte haben mit Erfahrung und Erinnern zu tun. Für Gedichte muss man alte Schichten durchbrechen, dann findet man den nötigen Ernst und den Blick auf das wirkliche Leben. Beides ist mir wichtig.