Kontamination Giftige Stoffe aus Brüchauer Deponie?
Die Bohrschlammdeponie Brüchau hat keinen guten Ruf. Eine Bürgerinitiative will Fakten ans Licht bringen.
Kalbe l Es ist ein gigantischer Cocktail verschiedenster hochgiftiger Stoffe, die über Jahrzehnte in die ehemalige Brüchauer Lehmkuhle gekippt wurden. Begonnen wurde damit im Jahr 1972. Bei den Substanzen handelt es sich größtenteils um Bohrschlämme – Abfallstoffe aus der Erdgasförderung in der westlichen Altmark. Aber vieles spricht dafür, dass in den Silbersee, wie die besagte Kuhle im Volksmund genannt wird, noch viele andere gefährliche Gifte gelangt sind. Und schon längst geraten unter anderem über das Wasser Schadstoffe in die Umgebung. So jedenfalls die Einschätzung von mehreren Referenten während des Informationsabends, zu dem die Bürgerinitiative (BI) Saubere Umwelt und Energie Altmark und die Partei Bündnis 90/Die Grünen eingeladen hatten.
Die Landtagsabgeordnete Dorothea Frederking ging in ihrem Auftakt-Statement auf zwei Kleine Anfragen ein, die sie im vergangenen Jahr an die Landesregierung zum Thema Bohrschlammdeponie Brüchau gestellt hatte. Sie hatte unter anderem eine Übersicht über die in der Deponie Brüchau eingelagerten Stoffe verlangt. Vorgelegt worden sei danach eine Liste von Stoffen und Verbindungen, die, wie sich bald herausgestellt habe, jedoch auf Erhebungen aus den frühen neunziger Jahren beruhten. „In der Deponie Brüchau wurden aber noch bis 2012 Giftstoffe eingelagert. Welche und wieviele Stoffe, dazu gibt es noch immer keine genauen Informationen“, so Frederking.
Außerdem spreche vieles dafür, dass der geologische Untergrund der Deponie nicht sicher sei. „Eine Kontamination des Grundwassers ist zu befürchten“, unterstrich die Politikerin.
Es sei eine große Überraschung gewesen, so Christfried Lenz von der BI Saubere Umwelt und Energie. Die Liste über eingelagerte Stoffe und Mengen, die nach der Kleinen Anfrage vorgelegt wurde, enthielt exakt die gleichen Daten wie von 1991. Daraufhin sei die Ausstellung einer neuen Liste verlangt worden. Diese, aus dem Jahr 2010 stammende Erhebung, enthalte zwar eine deutlich umfangreiche Liste eingelagerter Stoffe (rund 30 Stoffe beziehungsweise Stoffverbindungen), aber keinerlei Mengenangaben.
Auf die Anfrage eines Bürgers von Karl Heinz Friedrichs aus Apenburg, ob auch nach 1991 noch über Jahre lastwagenweise Giftstoffe in der Deponie Brüchau verbracht worden seien, ohne dass dieses genau dokumentiert wurde, antwortete Christfried Lenz: „Offensichtlich ja!“ Es sei fraglich, ob es überhaupt noch möglich sei, auch nur einen annähernd genauen Überblick über die Stoffe und Stoffmengen zu erhalten.
Diese Einschätzung scheint auch die Aussage eines Zeugen zu untermauern. „Ich war 15 Jahre lang für die Betreiberfirma der Deponie Brüchau tätig und weiß, was dort alles eingelagert wurde – Stoffe übelster Sorte. Und ich bin mir sicher – dieser Giftmüll kann da nicht bleiben!“, warnte eindringlich Uwe Baumbach aus Salzwedel. Er bezeichnete die Deponie als einen Hotspot. Und der Salzwedeler fügte hinzu: „Diese Lösung in Brüchau ist so umgesetzt worden, um Geld zu sparen. Und die Betreiberfirma hat in all den Jahren dicke Gewinne eingestrichen.“
Alles andere als beruhigend für die Anwesenden waren die Ausführungen von Bernd Ebeling, Ingenieur für Wasserwirtschaft. Der Niedersachse hatte im vergangenen Jahr gemeinsam mit Christfried Lenz Einsicht in die Akten über die Deponie Brüchau im Landesamt für Geologie und Bergwesen (LAGB) Sachsen-Anhalt genommen. Ebeling widmete sich unter anderem der Belastung des Wassers in der Umgebung des „Silbersees“.
Es gebe verschiedene Messstellen oberhalb und unterhalb der Deponie. Wie er ausführte, lägen die gemessenen Schadstoffe des Deponie-Abflusswassers deutlich höher, als die Zuflusswerte. Das sei ein Beleg dafür, dass Schadstoffe aus der Deponie in den Wasserkreislauf der Umgebung gelangten.
Ebeling erläuterte weiter, dass bei Messungen mehrfach die für Trinkwasser gültigen Schadstoff-Grenzwerte überschritten worden seien, unter anderem was die Quecksilber-Belastung betrifft. Von diesem hochgiftigen Schwermetall werden mehr als 250 Tonnen in Brüchau vermutet.
Was in den Ohren mancher Zuhörer wohl mindestens ebenso schockierend klang, waren die Ausführungen zu einigen weiteren Stoffen. Laut Ebeling seien in dem Wasser auch radioaktive Substanzen nachgewiesen worden, zum Beispiel Radon, das eine Halbwertzeit von 1200 Jahren habe. „Daraus resultiert die Frage, ob die geplante Sanierung beziehungsweise Sicherung der Deponie nicht nach den Vorgaben der Strahlenschutz-Verordnung geschehen müsste“, stellte Ebeling in den Raum.
Doch damit nicht genug der beunruhigenden Informationen. Ebeling äußerte erhebliche Zweifel, ob der Deponie-Untergrund sicher sei. Aus den eingesehenen Unterlagen sei abzuleiten, dass die Geschiebemergelschicht an der dünnsten Stelle lediglich 70 Zentimeter dick sei. Der Lehm, der eigentlich für Dichtheit sorgen soll, sei zum Teil durchsetzt mit anderen Materialien, etwa Kalk.
Kalbes Bürgermeister Karsten Ruth zeigte sich sichtlich beunruhigt über die Erkenntnisse rund um die Deponie, die in den zurückliegenden Monaten – vor allem dank der Anfragen Frederkings an die Landesregierung – ans Tageslicht kamen. „Sowohl der Ortschaftsrat Kakerbeck, als auch die Stadt Kalbe haben sich über Jahre bemüht, an die notwendigen Informationen über die Deponie Brüchau zu gelangen – mit äußerst unbefriedigenden Erfolgen“, bedauerte der Bürgermeister. Besonders bedenklich findet Ruth die Erkenntnisse über die Belastung des Abflusswassers aus der Deponie. „Das Wasser fließt weiter. Diese Tatsache besagt, dass das Problem eine ganze Region betrifft“, unterstrich Ruth.
Der Bürgermeister nutzte diesen Rahmen, um an den mit anwesenden Präsidenten des Landesamtes für Geologie und Bergwesen (LAGB), Kurt Schnieber, ein Positionspapier der Stadt Kalbe zu übergeben (mehr dazu in den kommenden Volksstimme-Ausgabe).
„Wir sind uns einig in der Einschätzung, dass es sich bei der Deponie Brüchau um eine große Altlast handelt, Die Schadstoffe sind erheblich“, begann Kurt Schnieber mit seinen Ausführungen. Einig sei man sich zudem in dem Ziel, dass das Problem dringend einer Lösung bedürfe. Doch der LAGB-Präsident holte auch zur Kritik aus. „Was die Belastung des Deponie-Wassers betrifft, ist es falsch, für die Grundwasserwerte die Trinkwasserverordnung heranzuziehen. So etwas ist unseriös. Denn es handelt sich hier um Grundwasser und das weist nun einmal vielerorts signifikante Belastungen auf“, betonte Schnieber. Der Präsident fügte außerdem hinzu, dass es aus seiner Sicht nicht gut sei, mit solch einem Thema Politik zu machen.
Auch aus Sicht Schniebers gebe es bezüglich der Bohrschlammdeponie noch erheblichen Informationsbedarf. Um hier aufzuklären, könne und müsse der Betreiber, die GDF Suez E&P Deutschland, noch einiges tun. Schnieber wies die großen Bedenken bezüglich der Deponie-Untergrundes zurück. Seines Wissens sei die Geschiebemergel-Schicht bis zu acht Meter mächtig. An den weniger dicken Stellen weise sie aller Wahrscheinlichkeit nach eine Stärke von 1,50 Metern auf Die Zahl von 70 Zentimeter, die im Raum stehe, beruhe auf einer gescheiterten Probebohrung. Ein Bohrer sei dort in 70 Zentimeter Tiefe gebrochen. Man habe an dieser Stelle eine Mindestdicke von 70 Zentimeter für die besagte Mergelschicht in die Datenerhebung aufgenommen.
Aber Schniebers Äußerungen fassten viele der Anwesenden offenbar eher als Versuch auf, Beruhigungspillen zu verteilen. Ernst Allhoff beispielsweise fragte sehr besorgt: „Was ist mit den Hauswasserbrunnen? Geht nicht von ihnen eine besonders große Gefahr aus? Brüchau und auch Kakerbeck liegen tiefer als die Deponie. Da läuft das giftige Wasser doch hin!“ Auch Rolf Horn aus Jemmeritz meldete sich zu Wort. Er sagte: „Ich habe schon zu DDR-Zeiten beobachtet und erlebt, was in Brüchau alles eingelagert wurde. Es ist haarsträubend.“ Im Verlauf der Veranstaltung gab es noch etliche weitere Wortmeldungen und auch Fragen besorgter Bürger, von denen viele nicht beantwortet werden konnten. Dorothea Frederking versprach, dass es schon bald eine Nachfolgeveranstaltung geben werde. Absolute Transparenz sei jetzt das Allerwichtigste.