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Chemie-As Der Sherlock Holmes aus Genthin

Sachsen-Anhalts bestes Chemie-As der 9. Klassen kommt aus Genthin: Sebastian Witte vom Bismarck-Gymnasium.

Von Simone Pötschke 21.03.2016, 13:00

Genthin l „Hier ist das Reich unseres Sohnes“, öffnet Anja Witte die Tür zu einem hellen, freundlichen Zimmer, in dem neben einer Anbauwand mit vielen Büchern, ein Computer und eine Wandtafel ihren Platz gefunden haben. Penible Ordnung dominiert das Zimmer. Dass hier ein Chemie-Freak seinen Rückzugsbereich gefunden hat, wird allerdings erst auf dem zweiten Blick deutlich...

Chemie-Literatur füllt die Regale, auf der Tafel finden sich zu Übungszwecken Formeln von chemischen Rechnungen. Sebastian lässt die Chemie dicht an sich heran, bis ins Private.

Vor Kurzem kam der junge Genthiner lorbeergeschmückt von der Chemie-Olympiade „Chemie - die stimmt“ zurück, die in Schulpforta ausgetragen wurde. Nachdem er im vergangenen Jahr bereits einen dritten Platz in seiner Altersgruppe belegt hatte, griff er nun in die Sterne.

Jan Bandemer vom ausrichtenden Förderverein Chemie-Olympiade spricht von einer „unglaublichen Leistung“, die der 15-Jährige abgeliefert habe. „Erfahrungsgemäß kommen die Sieger aus Halle oder vom Magdeburger Siemens-Gymnasium, Sebastian war wirklich der Überraschungskandidat.“

 

Der junge Genthiner mit dem gewinnbringenden Lächeln verfügt nicht erst mit den Jahrgangsstufen der Chemie Olympiade „Chemie - die stimmt“ über Wettkampferfahrung. Mit dabei war er bereits 2014 bei der JuniorSience Olympiade, bei der er es in die zweite Runde schaffte. 2015 qualifizierte sich Sebastian für das Bundesfinale der JISO und konnte an der Uni Kiel ein Woche lang mit Gleichgesinnten an verschiedenen Experimenten der Bereiche Chemie, Biologie und Physik teilnehmen.

„Talent und Begabung allein reichen bei weitem nicht, um in solchen Wettbewerben erfolgreich zu sein. Ohne Fleiß und Ehrgeiz, sich aus eigenem Antrieb Wissen zu erschließen, kann man keine Fortschritte machen“, formuliert der Genthiner selbstbewusst seinen Anspruch.

Genau das ist es auch, was den Genthiner Chemie-Lehrer Klaus Krüger an seinem „Musterschüler“ schätzt. „Ich habe in meiner über 30-jährigen Tätigkeit als Lehrer selten einen Schüler erlebt, der so hart aus eigenem Antrieb heraus an sich arbeitet wie Sebastian“, sagte er. Sebastian habe mittlerweile das Wissen eines Abiturienten, wenn nicht sogar eines Studenten der Chemie im ersten Studienjahr erlangt.

Klaus Krüger begleitet Sebastian mittlerweile seit der 5. Klasse und hat ihm den Weg für viele Vergleiche geebnet. „Er ist wirklich ein toller Lehrer, dem ich viel zu verdanken habe“, taut der Nachwuchschemiker, sonst eine eher sachliche Natur, für einen Moment auf.

Für den Genthiner Gymnasiasten ist es durchaus nicht ungewöhnlich, abends - kurz vor dem Einschlafen - noch ein Fachbuch durchzuackern.

Als Fünftklässler lernte er bereits alle 118 Elemente des Periodensystems auswendig und bedrängte seine Eltern, dass seine Tante ihm ein ganz bestimmtes Fachbuch über organische Chemie aus den USA schicken möge. „Das war nicht einfach, es gab so einigen Ärger mit dem Zoll“, hakt Sebastians Mutter an dieser Stelle ein.Sebastian verschlang das Buch - die englische Sprache war ihm kein Hindernis dabei.

Dass ihr Sohn über eine starke Begabung im Fach Chemie verfügt, sei ihnen relativ frühzeitig klar geworden, blicken Sebastians Eltern auf die bisherige außergewöhnliche Chemiekarriere ihres Sohnes zurück.

 

„Wir haben bisher alles getan, diese Begabung so gut es geht zu unterstützen“, sagt Vater Jürgen Fritz. Er erinnert sich dabei auch an einen Urlaub, bei dem die Familie die Bekanntschaft mit einer Chemielehrerin geschlossen hat. „Der Junge weiß nicht nur etwas von Chemie, sondern der versteht sie auch“, war sie des Lobes voll.

Ob möglicherweise die Chemieleidenschaft bei Sebastian mit dem Kauf eines Chemiebaukastens entflammt wurde, der ihm von seinen Eltern geschenkt wurde, ist heute im Hause Witte/Fritz bestenfalls eine Scheindebatte. Jedenfalls fing das Nachwuchstalent dann auch kurze Zeit später an, sich daheim ein Labor einzurichten, um zu experimentieren. Das Chemiekalienverbotsgesetz setzte dem Heranwachsenden dann allerdings doch Grenzen - worauf sein Vater als Polizeibeamter verständlicherweise größten Wert legte.

Doch das ist längst Vergangenheit. Mit dem Titel bei der Chemie-Olympiade „Chemie - die stimmt“, schreibt Sebastian Witte nun an einem weiteren Kapitel seiner Erfolgsgeschichte.

Im Vergleich mit seinen Konkurrenten hatte er bei der Klausur in Schulpforta bei der so genannten „Blütenaufgabe“ besonders die Nase vor, wie Jan Bandemer hervorhebt.

Um echte Euro-Scheine und „Blüten“ unterscheiden zu können, benutzen Kassiererinnen in Supermärkten oft einen speziellen Stift. Damit machen sie einen Strich auf einem weißen Bereich des Papiers und beobachten kurz, was passiert. Im Falle eines echten Euro-Scheins ist es ein gelber Strich, der schnell verblasst. Im Falle einer „Blüte“ entwickelt sich eine fast schwarze Färbung.

Wie genau funktioniert dieser Stift? Vor diese Aufgabe wurden die Teilnehmer der Chemie-Olympiade gestellt. Sebastian Witte gelang es dabei so gut wie keinem anderen, anhand von nur vier Hinweisen und zwei zusätzlichen - wobei der Stift alkoholisch riecht und in Stärkelösung blaue Schlieren hinterlässt - die Funktionsweise des Stiftes zu begründen. „Das ist eine großartige Leistung, denn es bedarf Hintergrundwissen, um sich die Funktionsweise zu erschließen“, schätzt Jan Bandemer vom Förderverein Chemie-Olympiade die Leistung von Sebastian. Ob diese Aufgabe nicht viel zu schwierig sei für Schüler der neunten Klasse, verneint Jan Bandemer. Jedenfalls nicht für die Teilnehmer von „Chemie - die stimmt!“. Es handele sich bei den Teilnehmern um besonders interessierte Schüler, und die Aufgaben basieren größtenteils auf Wissen, das in der Schule vermittelt wurde. Was für die Lösung der Aufgaben nötig sei, sei das „detektivische Fingerspitzengefühl eines Sherlock Holmes“. Auch er war für seine chemischen Experimente ebenso berühmt-berüchtigt. „Nur anhand dieser anspruchsvollen Aufgaben gelingt es, die Besten unter den besten Nachwuchschemikern ausfindig zu machen“, unterstreicht Jan Bandemer.

Noch einen Gang schwerer wird es für den Genthiner Gymnasiasten bei der überregionalen Finalrunde in Merseburg im Juni, bei der er gegen Schüler aus Sachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg antreten wird.

Dabei müssen Teilnehmer wie Sebastian nicht nur liefern, sondern sie bekommen auch etwas geboten: Die Sieger werden zu anspruchsvollen Länderseminaren an Universitäten eingeladen, wo sie sich gemeinsam mit Chemiestudenten auf die Internationale Chemie-Olympiade (IChO) vorbereiten werden.

„Die Teilnahme an der Internationalen Chemie-Olympiade wäre schon mein großer Traum!“, schwärmt Sebastian, dessen erfolgreiche Teilnahmen an Chemievergleichen ihm längst die Türen zu wissenschaftlichen Vorträgen zum Beispiel an der Uni Merseburg/Köthen, zu Kontakten zum Max-Planck-Institut Magdeburg bzw. zu großen namhaften Chemieunternehmen öffneten. „Das ist schon eine faszinierende Sache, interessante Leute, sowohl aus der Wirtschaft als auch aus der Wissenschaft zu begegnen“, sieht sich Sebastian in seinem Fleiß weiter angespornt.

Die berufliche Perspektive steht deshalb für dem jungen Gymnasiasten fest: „Erst einmal ein gutes Abitur ablegen und dann Chemie studieren.“

Dabei würde dem jungen, hochgeschossenen Mann, auch der Sport überaus erfolgreiche Perspektiven eröffnen. Denn Witte, er startet für den SV Chemie Genthin, ist in seiner Altersklasse ein gefragter Star im Weit- und Hochsprung.

Seine sportlichen Erfolge sind hochkarätig: Im Hochsprungwettbewerb stieg er bei den Hallen-Bezirksmeisterschaften in Magdeburg in der Altersklasse U 18 mit einer Höhe von 1,91 Metern aufs Siegertreppchen, später wurde er Landesmeister und 2. Mitteldeutscher Meister im Hochsprung. Mit einer persönlichen Bestleistung im Weitsprung über 6,05 Metern wurde er im vergangenen Jahr Landesmeister. Dennoch: Der Besuch eines Sportgymnasiums ist für ihn kein Thema.

Auch ein Ausnahmetalent wie Sebastian Witte braucht wie jeder andere Jugendliche Freiräume. „Einfach abschalten“, das gelingt dem jungen Mann beispielsweise beim Segeln. Irgendwann in naher Zukunft will er sich den Traum vom eigenen Motorrad erfüllen. Und dann ist da noch die Fotografie. Für viele seiner Landschaftsbilder, die er auf seinem Computer abruft, sucht er über die Bildbearbeitung nach der perfekten ästhetischen Wirkung. Hier ist Sebastian wie in der Chemie ganz Akribiker.