Milchpreiskrise Bauern ringen um Existenz
Bauern bekommen nur noch Spottpreise für Milch. Das hat erste Konsequenzen, auch im Jerichower Land.
Zerben/Parey l Es war ein schwarzer Tag für die Mitarbeiter der Agrar GmbH Zerben, als die Transporter auf den Hof fuhren, um die Milchkühe abzuholen. Der Betrieb trennt sich komplett von der Milchviehhaltung. Denn täglich 500 bis 1 000 Euro Verlust – das würde sehr bald das Aus bedeuten. „Auf dem Hof bleiben noch etwa 200 Tiere“, sagt Geschäftsführer Daniel Ladwig. Diese werden extensiv gehalten, um den Güllebonus für die Biogasanlage nachzuweisen. Denn mit mindestens 30 Prozent Gülle und Mist – in der Agrar GmbH Zerben waren es bisher sogar 85 Prozent – muss die Anlage bestückt werden, um diesen Bonus für den gelieferten Strom zu erhalten. Sonst würde auch dieses Geld noch wegfallen.
„Wir haben genug Futteranbaufläche – 200 Hektar Grünland – deshalb können die 200 Tiere bleiben.“ Jungrinderaufzucht und Mutterkuhhaltung sollen weiter betrieben werden. Eigentlich sei auch die Rindermast nicht mehr rentabel, sagt Daniel Ladwig. „Man macht es im Grunde nur, um den Betriebszweig ‚Biogasanlage‘ rentabel zu bewirtschaften.“ Die Ställe seien da und werden eben noch weiter genutzt – künftig mit sehr viel Platz für die Tiere ...
„Ich hätte die Ställe auch umbauen und einen neuen Melkstand einbauen können, aber es gibt momentan keine Kredite, weil es nicht rentabel ist. Erneuerbare Energien, PV-Anlagen, ein zweites BHKW, eine Biogasanlage – kein Problem. Das wird zu 99 Prozent finanziert, weil da die Einnahmen sicher sind – im Tierbereich aber: Katastrophe!“
Einige Betriebe, die keine Biogasanlage haben, schaffen den kompletten Tierbestand ab, weiß Daniel Ladwig. Wegen der Anlage kann er das nun nicht, andererseits hätte sich der Betrieb ohne diese womöglich schon eher von den Milchkühen trennen müssen. „Die Biogasanlage hat diesen gesamten Bereich subventioniert. Das ist eigentlich nicht Sinn der Sache“, macht Ladwig deutlich.
In Sachen Milchviehhaltung sieht er im Moment kein Licht am Ende des Tunnels. Nur noch ganz große Betriebe hätten eine Chance, effektiv zu produzieren, sagt er. „Die bauen immer mehr an. Die kleinbäuerlichen Betriebe dagegen waren als erste pleite, dabei sollten bei der jüngsten Agrarreform von 2014 bis 2020 gerade diese besonders gefördert werden!“ Kurzum: Der Milchpreisverfall fördert Massentierhaltung – genau das, wogegen vielerorts so lautstark protestiert wird.
Drei Mitarbeiter musste Daniel Ladwig entlassen, möglicherweise könnten noch zwei weitere dazu kommen. Und so sieht es derzeit in vielen bäuerlichen Betrieben bundesweit aus. Ladwig ärgert sich: „Wenn zum Beispiel bei VW 5 000 Arbeitsplätze in Gefahr sind, da wird gleich die Bundesregierung eingeschaltet – in der Tierproduktion sind allein in Sachsen-Anhalt laut Berechnungen etwa 50 000 Arbeitsplätze in Gefahr. Und da sagt keiner etwas!“
Einer von denen im Betrieb, die dieser Schritt besonders hat getroffen hat, ist Stephan Keimel. Er hatte 2006 hier mit einer Lehre zum Landwirt begonnen, hatte danach noch die Winterschule in Haldensleben besucht und den Abschluss als staatlich geprüfter Wirtschafter erworben. Seit drei Jahren ist er in der Agrar GmbH Leiter Tierproduktion – und muss nun mit ansehen, wie die meisten von seinen Schützlingen abtransportiert werden.
Heftige Einschnitte muss auch der „Elbauenhof“ in Parey verkraften. Landwirt Ewald Janßen steckt mit seinem Betrieb in einem noch größeren Dilemma als die Zerbener. Denn während diese immer noch den Feldbau als weiteres Standbein haben, ist der „Elbauenhof“ ein reiner Grünlandbetrieb. Trotzdem ging es auch hier nicht anders, als den Milchviehbestand erheblich zu reduzieren. „Früher hatten wir 350 Milchkühe plus Nachzucht, jetzt haben wir noch 150 plus Nachzucht“, sagt Janßen.
Dabei hat sich auch hier niemand auf Vorhandenem ausgeruht, sondern es wurde versucht, mehrere Standbeine und Einnahmequellen zu sichern, unter anderem ebenfalls durch eine Biogasanlage. „Der Betrieb ist so groß geworden, dass wir einen Mitarbeiter eingestellt haben, der perspektivisch die Milchproduktion übernehmen soll: Ein junger Mann voller Elan. Er will richtig loslegen, aber im Moment ist das natürlich alles sehr zweifelhaft.“
Alle Kühe, die nicht tragend sind, seien verkauft worden, sagt Janßen. „Wir wollten auch Jungvieh verkaufen, aber dafür gibt es überhaupt keinen Markt! So müssen wir das Jungvieh weiter aufziehen, aber der Bestand ist so weit herunter gefahren, um noch mit den Kosten klar zu kommen – um wieder durchstarten zu können, wenn es mal besser wird.“
Es soll weiter Milch produziert werden, weil es auch gar keine Alternative gebe. Zudem sei die Tierhaltung – ebenso wie in Zerben – an die Biogasanlage gekoppelt. Es muss weitergehen, „denn wir haben noch so viele Schulden bei der Bank, dass wir gar nicht rauskommen aus der Nummer!“ Ende vergangenen Jahres habe die Bank nochmal einen Betriebsmittelkredit gewährt – um überhaupt die laufenden Kosten decken zu können. „Deshalb mussten wir jetzt drastische Maßnahmen ergreifen, um nicht vollends gegen die Wand zu laufen.“
„Wir leben vom Prinzip Hoffnung“, macht Janßen deutlich und unterstreicht: „Wir fühlen uns heftig von der Politik verraten! Denn zum Ende des letzten Milchquotenjahres hat die Politik Stallbauten exorbitant gefördert und hat auch mit dem Bauernverband zusammen immer propagiert, man soll die Milchproduktion erhöhen, der Weltmarkt würde das ohne weiteres aufnehmen.“
Daraufhin seien in Größenordnungen Ställe gebaut worden, die nach dem Quotenende auch vollgestellt wurden, „so dass wir jetzt eine irrsinnige Milchflut in Deutschland, aber auch in ganz Europa haben.“ Die Illusion, dass der Weltmarkt diese Mengen aufnehmen würde, sei aber nicht in Erfüllung gegangen. „Das hat mehrere Gründe: Der russische Markt ist weggebrochen – auch eine politische Entscheidung, und bei den Chinesen ist die Konjunktur ins Stocken geraten. Darüber hinaus haben die Amerikaner auch mehr Milch produziert. Der Hauptgrund ist aber, dass die Mehrproduktion in Europa den Weltmarkt total überschwemmt hat und die Preise damit total in den Keller gegangen sind.“
Zudem sei der Milchmarkt ein völlig unnormaler Markt, sagt Janßen. „Es läuft hier so, dass von den Lebensmittelhändlern Mengen ausgeschrieben werden – wobei sich vier große Händler 80 Prozent des Marktes teilen. Sie schreiben aus, welche Produkte zu welchem Preis sie haben wollen, und irgendeine Molkerei, die nicht mehr weiß, wohin mit ihren Produkten, greift zu. Die Molkerei zieht ihre Kosten ab, und was übrig bleibt, kriegt der Bauer. Es ist also keine Wertschöpfungskette im üblichen Sinn, sondern sie ist von den Füßen auf den Kopf gestellt. Wir Bauern sind Restgeldempfänger!“
Die Margen für den Handel seien gestiegen – was auch gerechtfertigt sei, weil alles teurer geworden ist. Aber beim Bauern komme noch weniger an. Tatsächlich steht der Elbauenhof in Sachen Milchpreis derzeit noch schlechter da als die meisten anderen Betriebe: „Wir bekommen nur noch 21 Cent pro Liter, und bis Mai soll das auf 18 Cent runter gehen.“ Grund dafür sei, dass die meisten Betriebe Verträge mit Molkereien haben, während die Pareyer an eine Erzeugergemenschaft liefern, die für ihre Mitglieder die Preise verhandelt. Wenn es gut laufe, können die Preise auf über denen der anderen liegen – in schlechten Zeiten wie jetzt ist es anders herum.
Wenn die Politik jetzt nichts unternehme, würden noch viel mehr Bauern aufgeben müssen, ist Janßen überzeugt. Das sei gerade in Sachsen-Anhalt aber im Grund nicht gewollt, denn man habe hier ohnehin schon eine ganz geringe Viehdichte im Bundesvergleich.
Es muss also weitergehen mit der Tierhaltung, und das ist der „Ast“, an den sich viele Landwirte nun wie Ertrinkende klammern. „Für uns ist das ja nicht nur irgendein Job, nicht nur Broterwerb, sondern es ist unser Leben“, macht Ewald Janßen deutlich.
Und das gilt auch für den jungen Mitarbeiter, der hier einmal die Milchviehhaltung übernehmen soll. Sebastian Köhler (32) kommt ursprünglich aus dem Sauerland. Er ist gelernter Landwirt, Landmaschinentechniker und Tierzuchttechniker. Er sei sehr gerne hier, betont er. Die Arbeit mache ihm Spaß, und er habe große Pläne – nur im Moment schwinde die Hoffnung, diese auch umsetzen zu können.
„Mein Traum war es immer, eigenständiger Landwirt zu sein, gerade mit Kühen. Das Land Sachsen-Anhalt macht ja auch Werbung dafür – aber im Moment wissen die dort auch nicht, wie es funktionieren soll.“
Dabei hat Sebastian Köhler schon sehr konkrete Vorstellungen, wie er die Tierhaltung am „Elbauenhof“ umstrukturieren will: „Mein Ziel ist es, die ältesten Kühe Deutschlands zu haben!“
Dass das kein weltfremdes Wunschdenken ist, sondern dass damit nur andere Wege als die heute überwiegend verbreiteten gegangen werden, weiß der junge Landwirt sehr gut. „Eine Kuh wird heute durchschnittlich nur fünf Jahre alt. Moderne Rassen sind so gezüchtet, dass sie als junge Tiere die höchste Leistung bringen. Danach werden sie geschlachtet.“ Eine Kuh könne aber um die 18 Jahre alt werden und viele Kälber zur Welt bringen. Durch ihre hohe Lebensleistung mache sie sich wieder bezahlt.
Unabdingbar wären Stall-Modernisierungen, teilweise auch Neubau, zudem würde Sebastian Köhler auch einen Teil der Tiere wieder auf die Weide bringen wollen, und er möchte einen offenen Betrieb, wo interessierte Menschen die Tiere und die Produktion erleben können. Und noch manch andere Ideen hat er im Kopf. Ob diese Realität werden können, dafür werden in diesen Wochen die Weichen gestellt.