Stadtgeschichte Magdeburger Stadträte wollen Reste der Ulrichskirche ausgraben lassen
Wie soll Magdeburg mit der 1956 gesprengten Ulrichskirche umgehen? Nach klarem Bürgerentscheid 2011 gegen einen Wiederaufbau will nun eine Ratsallianz nach Mauerresten suchen lassen. Erstmals gibt es Zustimmung von Ämtern.
Magdeburg. Der Antrag stammt von den Magdeburger Ratsfraktionen SPD, CDU sowie Grüne/future. Der Inhalt dürfte die öffentliche Debatte neben Tunnelkosten und Schulneubau in den nächsten Wochen bestimmen. Denn die Ulrichskirche ist seit mindestens zehn Jahren ein Streitthema. Die einen setzen auf den Wiederaufbau. Die anderen wollen sie und deren Reste unterm Erdreich ruhen lassen und sich stattdessen lieber im Grün auf dem Ulrichplatz erholen.
Genau dazwischen aber stößt nun ein Antrag der Fraktionen. Sie wünschen sich weder Wiederaufbau noch Ruhe, sondern archäologische Suchgrabungen auf dem Ulrichplatz. „Wir wollen einfach mal sehen, was noch da ist, und dann übers weitere Vorgehen entscheiden“, erklärte Grünen/future-Fraktionsvorsitzende Madeleine Linke.
Suche nach Kirchenmauern
Ziel: Es soll ermittelt werden, was unter dem Ulrichplatz noch an Kirchenmauern vorhanden ist. Politisch interessant dabei: Die Fraktionen stellen mit insgesamt 31 Mitgliedern eine Mehrheit im Rat. Chancen auf Umsetzung bestehen nicht nur deshalb. Sie sind noch gestiegen. Denn inzwischen liegt die Antwort der Stadtverwaltung auf den Vorschlag der Fraktionen vor. Ergebnis: Erstmals befürworten die Ämter Suchgrabungen nach Resten der Ulrichskirche – unter bestimmten Bedingungen.
Auch wenn letztlich der Rat entscheidet, so sind diese fachlichen Einschätzungen eine wichtige Bewertungsgrundlage für die Räte. Im Zusammenspiel mit den Mehrheitsverhältnissen der Antragsteller und der Einschätzung der Ämter besteht damit nun erstmals eine reale Chance oder Gefahr – je nach politischer Beurteilung – dass Suchschachtungen auf dem Ulrichplatz stattfinden.
Das ist das Fazit der Verwaltung zum Antrag für Suchschachtungen:
- Im Falle einer archäologischen Suchgrabung/Untersuchung sind die Baumstandorte, Stauden- und Gehölzbereiche unbedingt zu schonen. Die Suchgrabung hat sich ausschließlich auf die Rasenfläche zu beschränken. Auf Stauden-und Gehölzflächen sind geophysikalische Prospektionen in Form von Bodenradar und Magnetikmessungen durchzuführen.
- Eingriffe in das Erdreich sind auf Schichten zu beschränken, die im oder nach dem Jahr 1956 entstanden sind. Ältere Befunde dürfen lediglich oberflächlich freigelegt werden. In historische Bausubstanz (Mauern, Fußböden usw.) darf nicht eingegriffen werden.
- Die Durchführung der Suchgrabung hat in einem Zeitraum zwischen Oktober und März des Folgejahres zu erfolgen. Die Aufenthaltsqualität in den Monaten zwischen April und September ist unbeeinträchtigt zu erhalten.
- Die Kosten der Gesamtmaßnahme, Suchgrabung, Dokumentation und die Wiederherstellung des Vorzustands sind vom Veranlasser zu tragen und vorher gegenüber der Landeshauptstadt abzusichern.
Wiederaufbau durch die Hintertür?
Uwe Thal, Vorstandsmitglied des Kuratoriums Ulrichskirche, freut die Einordnung der Verwaltung. Er schätzt die Kosten auf rund 250.00 Euro, die allein von Verein und Sponsoren aufgebracht werden sollen.
Und was sagt er Kritikern, die fürchten, das Vorhaben sei ein Versuch des Wiederaufbaus durch die Hintertür? Thal: „Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Wir haben deshalb auch unsere Vereinssatzung dahin geändert, dass ein Wiederaufbau kommenden Generationen überlassen wird und auch nur dann stattfinden kann, wenn es dafür eine Mehrheit in der Bürgerschaft gibt.“
Zur Ulrichskirche hatte es über viele Jahre heftige Diskussionen gegeben.
2019 waren alte Dokumente entdeckt worden.
Kommentar: Chance auf eine Chance
Von Rainer Schweingel
Man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass dieser neue Vorstoß in Sachen Ulrichskirche erneut zu einem erbitterten Widerstreit zwischen Gegnern und Befürwortern führen wird. Doch zehn Jahre nach dem eindeutigen Bürgerentscheid gegen den Wiederaufbau ist nun vor allem eines gefragt: Möglichst frei von emotionalen und ideologischen Scheuklappen über den Umgang mit den Kirchenresten nachzudenken - und zwar im Interesse der Stadtentwicklung.
Dabei geht es nicht darum, ob die Kirche noch ein Gotteshaus braucht. Vielmehr sollte die Frage beantwortet werden, wie unsere Innenstadt noch ein Stück belebter werden kann. Freigelegte und vielleicht einmal begehbare Kirchenmauern sind freilich keine Rettung.
Aber wer den Zuspruch für die Festungsreste in der Maybachstraße, der Festung Mark oder am Dom beim Fürstenwall beobachtet, sieht, dass solche Orte einen Beitrag leisten können, Menschen in die Stadt zu ziehen. Erst wenn man ausgegraben hat, können wir alle wirklich beurteilen, ob die Ulrichskirchen-Reste zur Dauerschau vor Ort taugen oder nicht. Diese Chance sollte nicht vertan werden.