Zirkus Hinter den Kulissen von Olaf und Elsa
Die Schwestern Janine und Josephin Sperlich leben im Wohnwagen. Vom 3. bis 5. März war ihr Zirkus in Salzwedel.
Salzwedel l Behutsam zieht Janine Sperlich einen weißen Strich über ihr Auge und schaut dabei in einen kleinen Spiegel auf dem Tisch im Wohnwagen. Ihre dunklen Haare sind zu einem ordentlichen Zopf gebunden. Dann blinzelt sie mehrmals und schaut auf. „Wir schminken uns immer selbst“, sagt die 17-Jährige und guckt sich wieder im Spiegel an.
Währenddessen nimmt ihre Schwester Josephin eine blonde Perücke ab. Das lange blaue Kleid ist nicht verschmutzt, obwohl Josephin damit über den Platz an den Kämmereiteichen gelaufen ist – und dieser trieft, matscht und ist vereist. „Das Wetter passt ja“, sagt Josephin und meint damit die Zirkusvorstellung, die in Kürze beginnt. Josephin spielt die Elsa in der neuen Show „Die Eiskönigin – Völlig unverfroren!“.
Sie ist Teil der 25-köpfigen Zirkusfamilie und schon dabei, seit sie denken kann. „Mit vier Jahren habe ich meine erste Nummer aufgeführt, eine Kautschuk-Akrobatik.“ Das sei ganz normal, sagt sie, auch ihr zweijähriger Sohn spielt ab und zu einen Clown. Josephins lange braune Haare fallen bis an die Hüfte. „Ach, ich bin ganz aufgeregt“, sagt die 26-Jährige.
Janine bearbeitet währenddessen ihr anderes Auge und zieht wieder einen dünnen weißen Strich darüber. Immer wieder geht die Wohnwa-gentür auf. „Hallo, ich bin die Popcorn-Frau“, sagt da eine mit blonden Haaren und fragt Josephin etwas. „Kannst du mir ein paar Brote machen?“, fragt ein Junge an Janine gerichtet.
Ziemlich aufregend, so ein Zirkusleben. „Na ja“, sagt Josephin und zuckt mit den Schultern, „wir kennen es ja nicht anders.“ Ein bis zwei Orte fahren die Akrobaten pro Woche im Schnitt an, um dort ihr Programm zu präsentieren. Und das bereits in der neunten Generation. „Es wird nie langweilig, immer neue Orte, neue Gesichter“, sagt Josephin.
Einen anderen Job möchte sie nicht ausüben. Der Zirkus ist ihr Leben. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, in einem Haus oder in einer Wohnung zu leben, wo immer alles gleich ist.“ Sie möchte lieber frei wie ein Vogel sein.
Nur im Winter, meist von Dezember bis Januar, sechs bis acht Wochen, wohnen die Sperlichs in einem Haus, ihrem Winterquartier in der Nähe von Schwerin, Mecklenburg-Vorpommern. „Da machen wir dann auch normale Sachen, gehen ins Kino, bowlen oder treffen unsere Freunde“, verrät Josephin. Ansonsten sei es schwer, Freundschaften zu pflegen. Aber manchmal tauschten die Schwestern Telefonnummern aus und verabredeten sich mit neuen Bekannten, wenn sie wieder mit dem Zirkus in dem Ort seien.
Das Winterquartier ist gleichzeitig die Postanschrift der Akrobaten. „Dorthin werden zum Beispiel die Schulunterlagen für die Kinder geschickt“, klärt Josephin auf. Denn wer möchte, kann per Fernschulung Abitur machen oder sogar studieren. „Wir wissen ja, dass es auch ein Leben außerhalb des Zirkus gibt und falls doch mal etwas schief läuft, haben wir wenigstens was in der Hand.“ Doch die Fernschule für Zirkuskinder hat ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen. Nur wenn die Zirkusfamilie in der Nähe ist, kann der Fernlehrer ins mobile Klassenzimmer kommen. Das ist ein eigens umgestaltetes Wohnmobil. Bereitschaftslehrer kommen dann an jeden anderen Ort außerhalb von Nordrhein-Westfalen.
Die Zeiten, in denen die Kinder dort unterrichtet wurden, wo der Zirkus gerade Halt machte, sind vorbei. Janine guckt vom Spiegel hoch und lacht. „Ja, das denken viele, dass es immer noch so ist und wir nichts lernen“, berichtet sie. Ihre Schwester erzählt sogar, dass es vorgekommen ist, dass Lehrer den Zirkuskindern nur Stifte und Papier zum Malen gegeben haben. „Sie haben gesagt, was solls, die Kinder sind ja morgen eh wieder weg, also brauchen die nichts lernen“, sagt Josephin und schüttelt den Kopf. Zum Glück sei das jetzt anders.
Doch wie kommen die Schulunterlagen in den Wohnwagen? „Unsere Nachbarin schickt uns die hinterher, schreibt einfach die Postleitzahl und den Platz drauf, wo wir gerade sind und der Postbote bringt uns dann die Pakete in den Wohnwagen“, erklärt Josephin. „Ich vergesse manchmal, dass es für Außenstehende schwer begreiflich ist“, sagt sie und grinst.
Daran denken, dass das Zirkusleben enden könnte, möchte die junge Mutter nicht. Ihr Beruf ist ihr Hobby. „Wenn ich in der Manege stehe, vergesse ich alles.“ Richtige Entspannung also. Doch bevor es so weit ist, herrscht Aufregung. In einer Stunde beginnt der Einlass für die Premierenshow in Salzwedel.
Janine klebt sich orangefarbene Steinchen um die Augen. Der Schneemann Olaf ist heute nur eine ihrer Rollen. Sie ist auch Akrobatin, Technikerin, Bauchtänzerin ... Janine und Josephin sind das, was gerade gebraucht wird. „Jeder kann alles“, sagt die 27-Jährige. Falls mal jemand ausfalle, springe ein anderer ein. Die Technik bedienen die Schwestern allerdings nicht so gern. Sie stehen lieber im Rampenlicht. „Es ist einfach wunderbar, wenn sich vor allem die Kinder am Ende so sehr freuen“, sind sich die beiden Frauen einig.
Wieder klopft es an der Wohnwagentür. „Ja, wir kommen“, sagen die Geschwister synchron. Gleich geht es los. Josephin wird sich wieder in die blonde Elsa mit dem blauen Kleid verwandeln und Janine wird wieder einen Schneemann spielen. In ihren Clogs laufen die beiden über den matschigen, triefenden und vereisten Platz an den Kämmereiteichen in Richtung Zirkuszelt, wo sie in einer Stunde wieder alles vergessen können – wenn sie in der Manege stehen.