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Flüchtlinge Kreis wird internationaler

Mit dem Thema Flüchtlingskrise beschäftigten sich am Mittwoch die Liberalen der Stadt Schönebeck und des Salzlandkreises.

Von Olaf Koch 07.01.2016, 02:02

Schönebeck l Wenn die Resonanz zum Dreikönigstreffen der Kreis-FDP am Mittwoch ein Zeichen für die bevorstehende Landtagswahl sein könnte, dann muss den Liberalen nicht Bange werden. Die beiden Säle „Bad Salzelmen“ und „Grünewalde“ reichten für die vielen Gäste, die gekommen waren, nicht aus. Es mussten kurzerhand noch Stühle in den kalten Saal geschoben werden, der sich dann wohl auch wegen des Themas langsam aufheizte.

Der FDP-Stadtverband von Schönebeck lädt am Tag des Feiertages Heilige Drei Könige zu einer Diskussionsrunde in ein Hotel der Elbestadt ein. Traditionell nehmen daran auch immer hochkarätige Politiker und Experten teil. So auch gestern: Es sollte um die Flüchtlingskrise und den daraus resultierenden Problemen gehen. Als Gäste saßen auf dem Podium der Landrat des Salzlandkreises, Markus Bauer (SPD), der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Sachsen-Anhalt, Wolfgang Ladebeck, und der Chef der D.D.R.-Security, Denis Radmer. Nicht, wie ankündigt, dabei war Eckhard Henschel aus Tornitz.

Weil die Gäste nicht über die große Politik diskutieren wollten, die sie sowieso nicht maßgeblich beeinflussen können, wurde sich auf den Salzlandkreis konzentriert. Dabei war der Landrat der exzellente Ansprechpartner. Gleich zu Beginn machte Bauer deutlich, dass es nicht nur um das Problem der Unterbringung gehe, sondern eben auch um die nachfolgende Integration. „Ich glaube, dass es in Deutschland in den nächsten Jahren eine Internationalisierung geben wird. Auch Europa wird sich verändern.“ Schon heute, so der Landrat, studieren an der Hochschule in Bernburg Studenten aus 100 Nationen. Sie lernen dort nicht nur, sondern leben Integration.

Für dieses Jahr werden nach ersten Schätzungen rund 3500 Flüchtlinge im Landkreis erwartet. „Die Zahl zeigt, dass wir vor einer großen Herausforderung stehen“, machte Bauer deutlich. So habe er zwar die verbale Unterstützung der Bundes- und Landesregierung, doch am Ende ist und bleibt die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge, die hauptsächlich aus dem Nahen Osten kommen, ein gesamtgesellschaftliches Problem, das auch Geld kostet.

Rund 3,5 Millionen Euro habe der Kreistag in diesem Jahr eingeplant, unter anderem für die Herrichtung von Gemeinschaftsunterkünften, die Anmietung von Wohnungen und den Neubau. Auf die Frage, ob die Kosten, die der Landkreis habe, auch von Bund und Land zu 100 Prozent getragen werden, malte Markus Bauer ein positives Bild. Bei einem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten sei ihm das versichert worden – was wohl auch anders gar nicht geht: Asylpolitik ist eine Bundesaufgabe. Der Bund muss am Ende die Kosten tragen.

Doch was bei all der täglichen Arbeit nicht immer bewusst ist: Auch die Mitarbeiter in den Verwaltungen stoßen langsam, aber sicher, an ihre Belastungsgrenzen. Mitarbeiter aus anderen Abteilungen würden abgezogen und für Flüchtlingsaufgaben eingesetzt. „Aber genau da liegt das Problem: Die ursprüngliche Arbeit dieser Kollegen muss ja von den anderen mitgemacht werden“, so der Landrat. Deshalb halte er nichts von der Idee, dass Mitarbeiter der Verwaltung, die mit Flüchtlingen arbeiten, zusätzlich 120 Euro im Monat erhalten sollen.

Szenenapplaus gab es im Verlauf der mehr als zweistündigen Diskussion mehrmals für Polizeigewerkschafter Wolfgang Ladebeck. Als Anknüpfungspunkt zwischen Flüchtlingskrise und Polizei ging er auf den Vorfall in der Silvesternacht in Köln ein, als eine Horde Männer mit südländischem Aussehen zahlreiche Frauen belästigt und Straftaten begangen haben sollen. Schon in seinem ersten Redebeitrag kam der Gewerkschafter und Polizist in Laune: „Der Bundesinnenminister, ein Politiker, hat wegen Köln nun verkündet, dass die Polizei ihren Aufgaben nicht nachgekommen sein soll. Aber dieser Mann war es auch, der mit dafür verantwort- lich ist, dass es einen massiven Personalabbau bei der Polizei gibt.“

Den gab es nicht nur in Köln, sondern auch in Sachsen-Anhalt und im Salzlandkreis. Lange genug ist Wolfgang Ladebeck dabei, dass er den Niedergang des Polizeiwesens in den vergangenen 20 bis 25 Jahren mit eigenen Augen mitansehen musste: „Früher gab es im Land einmal 9500 Polizeibeamte, jetzt sind es nur noch 6000. Und vor Kurzem, war der Innenminister noch der Meinung, dass auch 4900 reichen würden“, zählte Ladebeck vor.

Diese Einschnitte haben die Bürger objektiv miterlebt, sie seien kein subjektives Empfinden, denn die Polizeipräsenz nimmt deutlich ab. Ein weiteres Beispiel des Polizeigewerkschafters: War es im Jahr 1995 noch so, dass in den Städten Schönebeck, Staßfurt und Aschersleben pro Dienstschicht vier Funkstreifen mit Besatzungen im Einsatz waren, sind heute im gesamten Salzlandkreis nur noch sechs Fahrzeuge unterwegs.

Als „Märchenstunden“ und „Geschwätz“ bezeichnete Wolfgang Ladebeck die Bekundungen von Politikern vor allem vor Wahlen: Jetzt angesichts der Flüchtlingskrise und der zusätzlichen Aufgaben für die Polizeibeamten soll die Zahl der Kollegen im aktiven Dienst wieder erhöht werden. „Doch wer mal genau nachrechnet, der sieht, dass da etwas nicht stimmt“, entgegnete er. In den nächsten Jahren werden durchschnittlich 365 Kollegen pro Jahr die Polizei verlassen, 250 aber nur neu eingestellt, vielleicht auch 300. „Das ist kein Aufbau, um es ehrlich zu sagen.“

Die Idee, zusätzlich Hilfspolizisten auf die Straße zu schicken, sieht Ladebeck ansatzweise positiv. Aber 20 Kollegen im ganzen Land? „Das ist doch eine Lachnummer“, meinte er. Tarifbeschäftigte in Uniform seien zwar nett anzusehen, doch ein ausgebildeter Polizist ist und bleibt eben ein Polizist.

Damit war Wolfgang Ladebeck am Ende auch bei der Motivation. Er sprach häufig vom Frust seiner Kollegen auf der Straße, die im Übrigen seit zehn Jahren auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichten müssen.

Dritter in der Runde war Denis Radmer, Inhaber einer Security-Firma. Er steht dem Vorschlag positiv gegenüber, dass bestimmte Aufgaben der Polizei an private Sicherheitsunternehmen übertragen werden. Zum Thema Flüchtlingskrise sagte er, dass er das Gefühl habe, dass die Bundesrepublik langsam an ihre Grenzen stoße.

Wie soll es nun weitergehen? Landrat Markus Bauer sagte deutlich, dass der vom Landkreis eingeschlagene Weg weiter verfolgt werde: nach Möglichkeit schnelle dezen-trale Unterbringung, um so einen Anfang von Integration zu wagen, die aber noch weiter deutlich ausgebaut werden müsste.