Demo und Gegendemo 500 Menschen für Herz statt Hetze
500 Menschen demonstrierten gestern auf dem Sperlingsberg gegen eine Demonstration der Bürgerbewegung Altmark.
Stendal l Es ist gegen 14.15 Uhr, eine Viertelstunde vor dem offizellen Start von „Herz statt Hetze“ auf dem Stendaler Sperlingsberg, als David Lenard das Mikrophon an die Lippen nimmt. Ein erstes Dankeschön des Versammlungsleiters all denen, die sich zu Füßen der Sperlingsida versammelt habn, um Gesicht zu zeigen, für ein weltoffenes und jeden Flüchtlig willkommen heißendes Stendal, für „Stendal mit Herz“. Lenards zweite „Amtshandlung“: Er zählt durch und kommt auf „500 oder auch ein paar mehr Teilnehmer“. Applaus brandet auf.
Auch als Oberbürgermeister Klaus Schmotz (CDU) ans Mikrophon tritt, ist noch Bewegung in den Straßen, die auf den Platz führen. Das Ziel der meisten dieser Stendaler: Die Sperlingsida. Stendals Stadtoberhaupt ist der erste einer ganzen Reihe von Rednern, die sich an diesem sonnigen Oktobersonntag bekennen: „Unser Stendal ist gefragt, Hilfe zu leisten für Menschen, die von Krieg und Terror aus ihrer Heimat vertrieben wurden... Wir helfen, weil wir es wollen und weil wir es können.“
Kurz darauf, die Kundgebung auf dem Sperlingsberg läuft etwa eine halbe Stunde, beginnen die Glocken der Stendaler Kirchen zu läuten. Sylvia Gohsrich spricht dazu. „Die Glocken der evangelischen Kirchen der Hansestadt Stendal läuten an gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass, und wir sagen wie schon viele Menschen vor uns, egal welcher Religion oder als Konfessionslose: Unserer Kreuze haben keine Haken!“
Etwas später als geplant, um 15.05 Uhr begrüßt Martin Knaak die Teilnehmer der Demonstration der Bürgerbewegung Altmark auf dem Winckelmannplatz. Rund 220 Menschen sind es laut Angaben der Polizei. Anhänger der Magida aus Magdeburg sind dabei, schwarz-rot-goldene und schwarz-weiß-rote Fahnen werden geschwenkt. Er sei dort, weil ihm einige Dinge in Deutschland nicht gefallen. Die Renten seien zu niedrig, die Kindergartenplätze zu teuer und die Löhne zu gering. Gegen Flüchtlinge habe er nichts, aber wieso werde in Stendal eine Zast gebaut, die THW, Zoll und einem Motorradclub den Platz streitig machen. Er fragt auch, warum Flüchtlinge auf das Gelände des Landesbildungszentrums in Tangerhütte kommen. Bislang ist allerdings nur die ehemalige Lernbehinderten Schule als Quartier im Gespräch.
Auf dem Sperlingsberg tritt Regionalbischof Christoph Hackbeil ans Mikrophon. Beeindruckt von der Zahl der Stendaler, die wie er dorthin gekommen waren. „Unsere Präsenz hier und heute ist ein Zeichen, dass bei uns kein Platz ist für Fremdenfeindlichkeit. Wir zeigen Herz statt Hetze.“ Das Wir, von dem Hackbeil spricht, schließt die vielen Ehrenamtlichen ein, die sich um die Flüchtlinge kümmern. „Ich glaube, dass wir stark sein können, mit einem starken Gebot im Rücken: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“
Die Gelegenheit, sich hier zu positionieren, nutzen Vertreter aller im Stendaler Stadtrat vertretenen Parteien. So auch Juliane Kleemann (SPD): „Lasst uns immer mit der Kraft der Argumente unterwegs sein und nicht mit dem Argument der Kraft.“ Oder Katrin Kunert (Die Linke): „Wir müssen uns für die Schwachen in der Gesellschaft einsetzen und dazu gehören auch die Flüchtlinge.“ Oder Marcus Faber (FDP): „Mehr als 500 Stendaler stehen heute hier. Stellen Sie sich vor, es kämen fünf Personen dazu. Das ist die Dimension, über die wir hier reden, wenn wir von den zu uns kommenden Flüchtlingen sprechen.“ Oder Olaf Lincke (Piraten): „Liebe Stendaler, ich bin stolz auf euch. Für euch sitze ich im Stadtrat. Wir sind menschlich und kämpfen für alle Menschen.“
Zwei Gastredner betreten unterdessen auf dem Winckelmannplatz das Pult. Zunächst Viktor Seibel, der fast eine dreiviertel Stunde spricht, und danach Bastian Graziani, der sich beeilen muss, denn laut Anmeldung müssen sich die Demonstrationsteilnehmer um 16 Uhr auf den Weg zum von ihnen „Spaziergang“ titulierten Marsch durch Stendal machen. Um 16.05 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung. Bis zu 370 Personen sind laut Polizei dabei. Zunächst geht es auf der Breiten Straße in Richtung Sperlingsberg. Dort warten hinter einer Kette aus Polizeibeamten und Einsatzfahrzeugen die Teilnehmer der Gegenveranstaltung „Herz statt Hetze“. Ihnen ist der Blick auf die Vorüberziehenden nur zwischen den Polizei-Kleinbussen hindurch möglich. Dennoch können die „Spaziergänger“ die vom Sperlingsberg herüberhallende Begrüßung nicht überhören: „Stendal zeigt Herz“ skandierten die Stendaler im Sprechchor.
„Heute seid ihr tolerant, morgen fremd im eig‘nen Land“, skandieren die „Spaziergänger“. Der Vorbeimarsch verläuft ohne Zwischenfälle und weiter geht es auf dem Schadewachten, am Dom vorbei zur Hallstraße. Beobachter sind so gut wie gar keine am Wegesrand oder Fenster, trotzdem heißt es: „Bürger lasst das Glotzen sein, auf die Straße, reiht euch ein.“
An der Hallstraße kommt es am rückwärtigen Zugang zum Stadthaus zu einer unerwarteten Begegnung mit Gegendemonstranten, die allerdings zügig von Polizisten abgeschirmt werden. Der Fachschaftsrat der Fachhochschule hat spontan eine Demonstration mit etwa 50 Teilnehmern angemeldet. „Ohne Nazis wärt ihr nur zu dritt“, heißt einer ihrer Sprechchöre. „Wir kommen wieder“, heißt die Antwort.
Um 16.45 Uhr endet der Rundgang wieder am Winckelmannplatz. Ansprachen gibt es keine mehr, Martin Knaak beendet die Veranstaltung um 16.50 Uhr. Um 18 Uhr werden die letzten Sperrgitter an der Breiten Straße abgebaut, es kehrt die Normalität eines Sonntagabends ein.