Kuriosität Berliner Busse als Kleinbahn
Acht ausgediente Busse aus Berlin kamen ab 1933 in der Region als Kleinbahn auf die Schiene. Ein Stendaler hat es recherchiert.
Stendal l Am 4. April 1933 berichtete der „Berliner Beobachter“ vom „Wunder von Neuhaldensleben“. Gemeint war die Umrüstung von Berliner Straßenbussen zu Schienenfahrzeugen, die auf der Strecke Gardelegen - Neuhaldensleben - Weferlingen eingesetzt wurden.
„So etwas hat es in keiner anderen Region in Deutschland gegeben“, erläuterte Wolfgang List am Freitag in einem mit 50 Besuchern gefüllten Raum des Gertraudenstiftes. List hat die Bahnkuriosität zusammen mit dem Berliner Omnibusexperten Peter Müller-Mark recherchiert und einem Buch zusammengefasst. Vor Publikum stellte List die Schienenomnibusse erstmals vor.
Mit viel Fachwissen und reichlich Anekdoten gespickt, holte der Stendaler Hobbyhistoriker weit aus und gab zunächst einen allgemeinen Abriss über die Geschichte der Kleinbahnen in der Altmark, die ab 1897 nach Verabschiedung des preußischen Kleinbahngesetzes im Jahre 1892 entstanden.
„Hauptgrund war zunächst der Zuckerrübenanbau in der Wische“, sagte List. Zum Abtransport der Zuckerrüben eignete sich die Bahn hervorragend. Es entstand über private Investoren, aber auch mit Zuschüssen des Staates Preußen und der Provinz Sachsen ein dichtes Schienennetz. „Es hat zu Spitzenzeiten fast 400 Kilometer Kleinbahnschienen in der Altmark gegeben“, sagte der Experte. Das Netz habe die Hauptbahn mit 320 Kilometern sogar noch übertroffen.
List zeigte Fotobelege von Bauarbeiten, Streckeneröffnungen und dem Alltagsleben bei der Bahn. Aber auch Abschiedsfahrten bei späteren Streckenstilllegungen wurden oft auf Fotos festgehalten.
Einen Aufschwung brachten ab 1925 die Personentriebwagen, nachdem zuvor der Güterverkehr Vorrang hatte. Zur selben Zeit spazierte der Bahn-Betriebsdirektor Wilhelm Teitscheid durch Berlin und sinnierte darüber, wie es wäre, Doppeldeckerbusse auf die Gleise zu bringen. Es dauerte noch acht Jahre, bis er die Idee umsetzen konnte, weiß List.
Als die Busse in Berlin ausgedient hatten, weil die Fahrzeuge künftig statt Hartgummi mit Luftreifen fahren sollten, konnte Teitscheid acht ausgediente Busse erwerben. Sie wurden in Neuhaldensleben umgerüstet und 1933 für den Bahnverkehr zugelassen. Sie fuhren bis zum Kriegssommer 1939 auf der Strecke zwischen Gardelegen, Neuhaldensleben und Weferlingen.
In Archiven konnten die beiden Buchautoren allerdings keine Dokumente zum Verkauf der Busse finden. Der Betriebsdirektor Teitscheid hat nach Angaben von List aus Kostengründen auf das Experiment gesetzt, da der Kauf von Personentriebwagen viel teuerer gekommen wären.
Eine der vielen Anekdoten des Vortrags am Freitag betraf den Bahnhof Letzlingen, wo 1910 ein Kaiserpavillon geplant war, in dem Kaiser Wilhelm II. einen Aufenthaltsraum bekommen sollte, wenn er mal wieder zum Jagdschloss Letzlingen unterwegs war. „Obwohl es Skizzen und Pläne zum Bau gab, ist es nicht mehr dazu gekommen, weil der Kaiser später mit dem Auto fuhr“, sagte List. Die letzte Kleinbahn in der Altmark war im Übrigen am 9. Juni 2001 von Hohenwulsch nach Kalbe unterwegs.