Literatur-Abend Briefe aus einem bewegten Leben
Die Stendalerin Beatrice Buchholz hat sich durch den Briefnachlass der Schriftstellerin Christa Johannsen gearbeitet.
Stendal l Nein, mit dem Titel ihrer Master-Arbeit macht Beatrice Buchholz lieber keine Werbung für ihr Forschungsthema. Zu wissenschaftlich, zu spröde. Dann schon lieber mit der Tatsache, dass sie rund 170 Briefe gesichtet, sortiert, gelesen, katalogisiert hat – Briefe, die zum Teil mit Schreibmaschine, zum Teil in Sütterlin, und Letzteres oftmals reichlich gekrakelt, geschrieben wurden; Briefe, auf denen allein die Kaffee- und Ascheflecke von einem wohl ziemlich schlaflosen Schriftstellerleben erzählen; Briefe, in denen sogar der Raum zwischen den eigentlichen Zeilen genutzt wurde für weitere Anmerkungen, Ergänzungen, Erläuterungen.
Es sind die Briefe Christa Johannsens, die die Studentin Beatrice Buchholz in den Bann gezogen haben. Johannsen – eine Halberstädter Schriftstellerin, die sich Magdeburg zur Wahlheimat machte – hat sie zwischen 1949 und 1981 an ihre Freundin und Lektorin Eleonore „Lore“ Häfner aus der DDR nach Westdeutschland geschrieben. Sie berichten vom Nachkriegsalltag, vom Aufbau des Sozialismus, von den Sorgen und Nöten einer Autorin, von ihrem Kampf gegen Provinzialismus und Engstirnigkeit.
„Ich war erstaunt, mit welcher Offenheit sie all das beschrieben hat, sie war sehr subjektiv, aber auch sehr deutlich und ehrlich, hat teilweise auch ganz schön vom Leder gezogen“, sagt Beatrice Buchholz. Dass solcherlei unverblümte Beschreibungen der DDR-Wirklichkeit unzensiert und ungehindert die Grenze passierten, gibt Anlass zu Spekulationen über Johannsens Verhältnis zur Staatsmacht. Doch darum geht es Beatrice Buchholz nicht. Die 26-jährige Philosophie- und Germanistikstudentin – die 2008 ihr Abitur am Winckelmann-Gymnasium in Stendal gemacht hat – sieht die Briefe vielmehr als Zeitreise. „Es ist spannend zu erfahren, wie sie gelebt hat, wie es ihr mit dem Schreiben ging, womit sie zu kämpfen gehabt hat, wer sie war...“
Dass das nicht so ganz einfach zu beurteilen und schon gar nicht immer alles zu glauben ist, weiß der Stendaler Autor Albrecht Franke nur zu gut. Er arbeitet an einer Biografie über Christa Johannsen – über die Frau, die „in meinem Leben eine große Rolle gespielt hat“, wie er sagt. „Bei ihr habe ich das literarische Arbeiten gelernt.“ Und in seiner persönlichen wie literarischen Beschäftigung mit Christa Johannsen musste er eben feststellen, dass sie ganz gern ironisierte und auch fabulierte. „Ich habe immer geglaubt, sehr viel über sie zu wissen, aber ich weiß heute, dass sie eine perfekte Lügnerin und Komödiantin war. Sie war persönlich sehr schwierig, konnte auch sehr verletzlich sein. Dies alles aber vor dem Hintergrund der Tragödie des 20. Jahrhunderts.“ Eine Tragödie war denn auch ihr Tod – lange wurde verschwiegen, dass sie sich das Leben nahm. Mitten in der Arbeit an ihrem daher letzten und unvollendet gebliebenen Roman über Albert Einstein.
Beatrice Buchholz, die im Magdeburger Literaturhaus den Brief-Nachlass Christa Johannsens erstmals erschlossen und katalogisiert hat, und Albrecht Franke wollen dieser zwiespältigen Frau Aufmerksamkeit verschaffen. „Denn sie war im Provinzmief von Magdeburg eine bedeutende Autorin“, sagt Franke. Und sie hat sich schon zu Lebzeiten einen Ruf verschafft – mit dem Roman „Leibniz“. „Der wird noch in hundert Jahren Bestand haben“, wagt Franke zu prognostizieren. Am Mittwoch, 12. Oktober, gestalten Buchholz und Franke im Magdeburger Literaturhaus einen Abend über und zu Ehren Christa Johannsens. Ihre Briefe sind die eine Grundlage – Albrecht Frankes persönliche Erfahrungen und Begebenheiten mit ihr die andere. „Wir nähern uns ihr von zwei Seiten“, sagt Buchholz „ich von der wissenschaftlichen, Albrecht Franke von der persönlichen Seite aus. Es soll ein Zwiegespräch zwischen uns werden.“
Und für Beatrice Buchholz ist es gleichzeitig eine gute Übung: Denn dieses Jahr wird sie ihr Studium der Germanistik abschließen und wird dazu auch ihre Masterarbeit über Christa Johannsen verteidigen müssen. „Da werde ich sicher aufgeregter sein als für die Veranstaltung in Magdeburg, denn hier sind wir ja immerhin zu zweit.“ Und dann wird sie auch froh sein, das Studium und die Wissenschaft hinter sich zu lassen. Denn das literaturwissenschaftliche Denken und die Herangehensweise als Germanistin blockierten eben doch die Kreativität. „Ideen für einen Roman kommen einem da nicht gerade“, sagt sie lachend. Dennoch kam das literarische Schreiben, das Beatrice Buchholz zu Schulzeiten im Schreibzirkel des Winckelmann-Gymnasiums erlernte und kultivierte, auch während des Studiums nicht zu kurz. Schließlich leitet sie in Magdeburg die Schreibwerkstatt „LiteraTeens“. „Und um Hilfe beim Schreiben zu geben, muss man auch selber schreiben“, sagt sie. Kurzgeschichten sind es vor allem, die sie verfasst. Vielleicht werden es auch einmal wieder mehr Gedichte, so wie einst zu Schulzeiten.