Hotel-Jubiläum 300 Jahre "Weißer Hirsch"
Der „Weiße Hirsch“ in Wernigerode besteht länger als alle anderen Gasthäuser in Sachsen-Anhalt. Es ist mit 300 Jahren das älteste Hotel.
Wernigerode l Es schmückt den Marktplatz seit mindestens 300 Jahren – das Stadthotel „Weißer Hirsch“ in Wernigerode. Damit ist es das älteste erhaltene Hotelgebäude in Sachsen-Anhalt, das noch der Unterbringung und Beköstigung von Reisenden dient. Die Eigentümer des Hotels haben die Geschichte von einem Museologen recherchieren lassen.
„Das Haus hat viele Gesellschaftssysteme und sogar ein Großfeuer überstanden“, sagt Senior-Geschäftsführer Jörg Wieland. „Es hat immer als Hotel existiert. Das ist schon etwas Besonderes.“
Ein Gasthaus mit einer außergewöhnlich langen Tradition, so selten wie ein Hirsch mit weißem Fell. Diese Tiere sollen aus Persien stammen und von den Wernigeröder Grafen einst im Tiergarten am Schloss für die Jagd gezüchtet worden sein. Das Haus in der Stadtmitte nach dem begehrten Damwild zu benennen, war wohl eine clevere Marketing-Maßnahme der Witwe Fincken. Sie wird in der ersten urkundlichen Erwähnung als Besitzerin aufgeführt, weil sie im Jahr 1717 kurmärkischen Truppen freie Unterkunft gewährte – im Tausch gegen staatliche Privilegien und Zugeständnisse.
Den ersten bedeutenden Aufschwung erlebte der Gasthof mit dem Derenburger Johann Georg Dieck, der ihn 1793 übernahm. Er machte den „Weißen Hirsch“ zur größten Herberge der Stadt. Besonders wandernde Handwerksgesellen wie Stellmacher und Lohgerber kehrten bei Dieck ein. Die Geschichte des Hauses lässt sich heute in den Fluren an vielen Schautafeln bestaunen. Zu den Sammlungen tragen zufriedene Gäste bei, die dem Hotel gelegentlich historische Fundstücke und Kunstwerke überlassen.
Auf der mehrsprachigen Website www.hotel-weisser-hirsch.de findet sich eine Chronik mit den wichtigsten Ereignissen, zu deren schlimmsten sicher der große Stadtbrand in Wernigerode von 1847 gehört. Obwohl der „Weiße Hirsch“ restlos niederbrannte, wurde er fast binnen Jahresfrist wieder aufgebaut und eröffnet. Der Neubau im regional typischen Fachwerk-Stil hatte den Umfang des heutigen Stammhauses.
Wie die Besitzerin Schäfer damals, fühlt sich die Eigentümer-Familie Wieland der Tradition verpflichtet, deren Zukunft sie planvoll sichert. „Es war uns beispielsweise wichtig, die Fassade des Hauses möglichst originalgetreu wiederherzustellen“, erwähnt Monika Wieland, Ehefrau des Seniorchefs Jörg Wieland. Zusammen hatten sie das Hotel im Jahr 1991 von der Treuhandanstalt für die Privatisierung des volkseigenen Vermögens übernommen.
Vorher gehörte das Hotel jahrzehntelang der Handelsorganisation (HO) der DDR. Die hatte zwar die Bausubstanz vernachlässigt, aber fähige Leute hinterlassen. „Wir sind mit 26 HO-Mitarbeitern gestartet. Solide ausgebildete Kollegen, von denen einige heute noch bei uns arbeiten“, erinnert sich der 60-jährige Senior. „Damals gehörten wir zu den ersten Selbstständigen in Wernigerode, als Einzelunternehmen mit voller Haftung. Anders hätten wir keinen Kredit bei der Bank bekommen.“
Der erste Kontoauszug in der Selbstständigkeit zeigt einen Saldo von 8.969,92 DM. Für eine Familie mit schulpflichtigem Sohn ein unternehmerisches Risiko, aber Jörg Wieland kannte das Geschäft. Seit er 1979 im „Weißen Hirsch“ als Gastronom volontierte, hatte er sich zum Geschäftsführer emporgearbeitet. Als die Chance kam, das Hotel zu übernehmen, war die Selbstständigkeit der logische Schritt.
Am 1. Februar 1991 übernahmen die Wielands das Geschäft und bauten es in mehreren Schritten um. Über ein Jahrzehnt lang wuchs der „Weiße Hirsch“ durch Neubauten, bekam Veranstaltungsräume, Luxus-Suiten und einen Festsaal. Die vorhandenen Räume wurden modernisiert, eine Sauna und ein öffentliches Parkhaus gebaut. „Wir führen jetzt ein Hundert-Betten-Haus“, resümiert Jörg Wieland. „Unseren Personalbestand konnten wir seit der Übernahme verdoppeln. Wir sind in der Region etabliert.“
Die Gäste reisen zu 95 Prozent aus dem Inland an. Unter ihnen finden sich Harztouristen, aber auch Geschäftsleute und Kongressteilnehmer, die das 4-Sterne-Hotel schätzen. Nicht nur des schönen Ambientes, sondern auch des qualifizierten Personals wegen – regelmäßig gewinnen die Auszubildenden regionale und überregionale gastronomische Wettbewerbe. Rund jeder zweite Mitarbeiter hat im Haus gelernt.
Die Industrie- und Handelskammer zeichnete den „Weißen Hirsch“ 2014 als besten Ausbildungsbetrieb der Branche in Sachsen-Anhalt aus. Daran hat der Junior-Geschäftsführer Christian Wieland seinen Anteil. Er stieg 2004 in das Unternehmen ein.
Der gelernte Hotelfachmann und studierte Betriebswirt nahm selbst an Nachwuchsmeisterschaften teil, nun bereitet der 36-jährige Sohn von Monika und Jörg Wieland die Teilnehmer auf die Wettbewerbe vor. Mit Erfolg: Bei den Regionalen Jugendmeisterschaften des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes 2016 siegten in allen drei Wertungsgruppen Auszubildende aus dem ältesten Hotel Sachsen-Anhalts.
Dass das Hotel „Weißer Hisch“ 262 Jahre ohne und 38 Jahre mit den Wielands so erfolgreich geführt werden konnte, soll gebührend gefeiert werden. Bei beiden Festempfängen zum Jubiläum will sich das Familienunternehmen jedoch nicht selbst in den Vordergrund stellen, sondern vielmehr all den Partnern, Freunden und Sympathisanten des Hauses Dankeschön sagen.