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Trümpers Austritt Muss ein „Sonnenkönig“ aushalten?

Zum Partei-Austritt des Magdeburger Bürgermeisters Lutz Trümper aus der SPD befragte die Zerbster Volksstimme Zerbster SPD-Mitglieder.

Von Sebastian Siebert 16.10.2015, 12:36

Zerbst l „Natürlich ist der Austritt Lutz Trümpers für die SPD in unserem Land kein Grund zum Jubeln“, antwortet der Zerbster Bürgermeister Andreas Dittmann auf die Volksstimme-Anfrage. „Da ich an der Beratung am Dienstag teilgenommen habe, kann ich den Schritt erst recht nicht nachvollziehen.“ Dass es keine Kuschelrunde gewesen sei, sei angesichts des Themas logisch. Es sei die Realität in den Landkreisen und Gemeinden im Klartext zur Sprache gebracht worden, schreibt er weiter. „Es war von uns Kommunalvertretern aber auch zur Kenntnis zu nehmen, welch absurdes Theater in der Landesregierung und beim Koalitionspartner gespielt wird. Es mag ja sein, dass der Ministerpräsident der Auffassung ist, dass es eine Leistungsgrenze bei 10 000 Flüchtlingen gibt. Das ändert nur nichts an der Tatsache, dass dennoch 30 000 kommen werden und zwar einfach weil das dem Verteilerschlüssel innerhalb der Bundesrepublik geschuldet ist“, betonte Andreas Dittmann. Dem habe man seitens des Landes Rechnung zu tragen, da helfe nicht jammern sondern machen. „Meine Ansage hierzu war in der Runde, dass die Landesregierung auch beschließen könne, dass der Winter ausfällt, weil wir kein Geld für den Winterdienst haben. Der Winter wird dennoch kommen“, berichtete er.

Deshalb sei es in der Diskussionsrunde auch um die Anerkennung von Realitäten, der Forderung nach einer Übernahme aller mit der Flüchtlingsaufnahme entstehenden Kosten durch Land und Bund und die Schaffung von ausreichenden Erstaufnahmekapazitäten, die unseren Witterungsverhältnissen und einem Mindestmaß an Humanität entsprechen gegangen.

„Mit dem Austritt hat sich Lutz Trümper leider die Möglichkeit genommen, dies künftig in so direktem Gespräch in die Fraktion zu bringen. Vor allem habe ich aber gerade nicht den Dissens zwischen ihm und Katrin Budde feststellen können und auch keinen Maulkorb“, schätze Dittmann ein. Vielmehr habe er die Bitte vernommen, dass „wir unser Agieren miteinander abstimmen. Das ist keine unlautere Bitte, sondern natürlich gerade in der aktuellen Phase eine Frage von gegenseitigem Respekt“. All die Probleme, die Lutz Trümper angesprochen habe, „hätte er auch am Sonnabend beim Parteitag vortragen und so das Wahlprogramm mitgestalten können. Ich bin auch nicht immer glücklich mit allen Positionen der Landtagsfraktion oder der Landespartei, aber gerade dann äußere ich diese auch klar und deutlich.“ Das geschehe beim KiFöG, bei den Kommunalfinanzen oder der Schulpolitik. Man müsse es aber auch aushalten, wenn es Antworten gebe, die einem nicht gefallen. „Austeilen und Einstecken gehören zur selben Medaille.“

Ronald Mormann, SPD-Landtagsmitglied und Kreisvorsitzender der SPD Anhalt-Bitterfeld, glaubt, dass die Flüchtlingsfrage nur ein Vorwand sei: „Auch ein selbsternannter ‚Sonnenkönig‘ muss aushalten, wenn er in der Flüchtlingsfrage nicht die Mehrheitsmeinung seiner Partei widerspiegelt.“ Der Umgang mit Menschen in Not sei eine Frage der Identifikation, eine Frage des Selbstverständnisses der SPD. „Ich glaube, dass dieses Thema für seinen Parteiaustritt nur vorgeschoben ist. Er hat seine verschiedenen Ämter in den letzten 25 Jahren maßgeblich der SPD zu verdanken. Das gilt sowohl für seine heutige Funktion als auch insbesondere für seinen persönlichen Wohlstand.“ Trümper befinde sich in seiner letzten Amtszeit und da spare er sich den gehobenen dreistelligen monatlichen Betrag an die Partei, der er alles zu verdanken hat, wirft Mormann dem Oberbürgermeister vor. „So platt, so einfach ist das.“ Mit Loyalität und Ehrenkodex habe das nichts zu tun. Das habe es schon in allen Parteien gegeben. „Und natürlich schadet es der SPD. Zumindest war dies sein Ziel“, attackiert Mormann Trümper scharf. Ob es so komme, entscheide der Wähler. „Wer sich vom Acker macht, kann ihn auch nicht mehr bestellen!“, so Mormann.

SPD-Landtagsmitglied Holger Hövelmann sieht in der Entscheidung einen Verlust für seine Partei, hält aber auch für wichtig, gegenteilige Meinungen akzeptieren zu müssen. „Ich hätte mir gewünscht, dass Lutz Trümper für seine Position in und mit der SPD diskutiert und streitet.“ Dabei müsse er auch aushalten können, dass die eigene Position nicht die Mehrheit findet. „In meiner Zeit als Landrat von Anhalt-Zerbst lag ich auch hin und wieder inhaltlich mit meiner Partei über Kreuz“, erinnerte das Landtags- und Kreistagsmitglied aus Zerbst. Es sei stets eine Herausforderung gewesen, kommunale Problemsichten auf das Land zu übertragen, ob bei den Kommunalfinanzen, der Schulentwicklungsplanung oder bei fehlenden Geldern für die Sanierung kommunaler Straßen, gibt er seine Sicht wieder. Manchmal sei es gelungen, manchmal auch nicht. „Die Gründung der Kommunalen Beschäftigungsagentur zum Beispiel habe ich mit breiter Kreistagsmehrheit gegen die Position meiner Bundespartei entschieden.“ Als ehemaliger Landrat und ehemaliger Innenminister kennt Hövelmann die kommunale als auch die landespolitische Sicht. „Land und Kommunen haben unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen. Sie haben aber die gemeinsame Aufgabe, das Land insgesamt zu entwickeln“, betont er. Die konkrete Problemlage vor Ort, ob es ausreichend Kita-Plätze gebe, ob eine Schule erhalten werde oder nicht, ob die Müllgebühren steigen oder sinken, seien aktueller und präsenter als ein für alle Situationen gleichermaßen anzuwendendes Landesgesetz, konstatiert er. „Da gibt es unterschiedliche Sichten, das wird auch in Zukunft so sein.“

Politik und Politiker müssen in der Lage sein, den Streit sachlich und ergebnisorientiert auszutragen, ist er überzeugt. „Die SPD verliert mit dem Oberbürgermeister der Landeshauptstadt die Möglichkeit, die besondere Problemlage einer kreisfreien Stadt intern diskutieren zu können. Damit geht auch kommunale Kompetenz für die SPD verloren.“ Er fordert von anderen SPD-Kommunalpolitikern nun, diese Lücke zu schließen. Für Zerbst sei er froh, „dass sich unser Bürgermeister Andreas Dittmann kritisch konstruktiv einbringt und klar und unmissverständlich kommunale Sorgen und Probleme anspricht, damit Lösungen gefunden werden. Denn darum geht es doch, das können die Menschen im Land von uns allen erwarten.“

SPD-Landtagskandidat Oliver Lindner hatte schon am Mittwoch auf seiner Facebookseite gepostet, dass „man nicht aus der SPD austritt. Wer die grundsätzlichen Überzeugungen teilt, hält auch Diskussion und Widerspruch aus. Eine lebendige Partei muss auch unbequeme Positionen aushalten, wenn sie nicht im grundsätzlichen Widerspruch stehen. Wer mit der aktuellen Lage unzufrieden ist, ändert sie und haut nicht in den Sack“. Auf Nachfrage sagte er: „Die Debatte über eine Begrenzung von Flüchtlingszahlen ist wenig hilfreich, weil das Land und auch Deutschland kaum kurzfristig darauf Einfluss nehmen können. Wir können keine Mauer in Europa errichten. Mittel- und langfristig ist es richtig, die Fluchtursachen zu bekämpfen, eine solidarische Verteilung in Europa zu regeln und die Flüchtlingslager im Nahen Osten umfangreicher zu unterstützen.“ Die Aufgabe sei selbstverständlich groß, dennoch kenne er viele Bürgermeister, die unaufgeregt mit der Situation umgehen. Er nannte Dittmann als „gutes Beispiel“.

Und: „Ich finde es besser, diese Aufgabe zu gestalten anstatt zu jammern und zu klagen. Es ist unsere Aufgabe, diese Herausforderung anzunehmen. Dafür werden Politiker übrigens auch gewählt.“