Grünen-Spitzenkandidat Sven Giegold warnt vor Folgen des Freihandelsabkommens mit den USA "Konzerne könnten Deutschland verklagen"
Die EU verhandelt mit den USA über ein Freihandelsabkommen. Im Interview mit Volksstimme-Reporter Matthias Stoffregen warnt Sven Giegold, EU-Spitzenkandidat der Grünen, vor Hormon-Fleisch und Klagerechten für US-Firmen.
Volksstimme: Herr Giegold, was stört Sie am Freihandelsabkommen, das die EU und die USA derzeit verhandeln?
Sven Giegold: Das Abkommen wird hinter verschlossenen Türen verhandelt, wichtige Dokumente sind nicht öffentlich und das Parlament kann am Ende zu einem möglichen Verhandlungsergebnis nur noch Ja oder Nein sagen.
Es stört mich außerdem, dass geplant ist, Konzernklagerechte einzuführen. Mit solchen Rechten könnten Unternehmen die Bundesrepublik verklagen, wenn wir als Land zum Beispiel höhere soziale oder ökologische Standards per Gesetz beschließen. Das ist auch keine Panikmache. Derzeit verklagt der Energiekonzern Vattenfall Deutschland auf 3,7 Milliarden Euro wegen des Atom-Ausstiegs. Bis heute können das amerikanische Konzerne nicht, weil wir ein entsprechendes Abkommen nicht haben. Das ist jetzt aber geplant und das widerspricht den Ideen der Demokratie.
Sachsen-Anhalt ist ein landwirtschaftlich geprägtes Land - was bedeutet ein mögliches Freihandelsabkommen für die Landwirtschaft?
In den USA herrschen völlig andere Regeln in der landwirtschaftlichen Produktion. Dort wird Fleisch verkauft, das unter Einsatz von Hormonen produziert wurde. Geschlachtete Hühner werden in den USA zunächst in Chlor gebadet, bevor sie dem Verbraucher zum Verzehr angeboten werden. Und auf den Feldern züchten die amerikanischen Farmer gentechnisch veränderte Nutzpflanzen. Sollte das Freihandelsabkommen nun beschlossen werden, wollen die Amerikaner, dass diese Produkte in Europa auf den Markt kommen. Für die Verbraucher würde das bedeuten, dass jeder Supermarkt-Besuch zum Lesen des Kleingedruckten führt, wenn sie weiterhin Lebensmittel kaufen wollen, die unter hohen Verbraucherschutzstandards hergestellt wurden.
Ist jetzt schon absehbar, dass es zu einer Absenkung der Standards kommt?
Das ist völlig unklar. Das Verhandlungsmandat sagt, wir wollen möglichst liberale Standards - was auch immer das heißt. Der zuständige EU-Kommissar sagt, er will die Standards nicht senken. Sollte das Abkommen beschlossen werden, dürfte es aber in jedem Fall schwieriger werden, die Standards weiter zu erhöhen. Denn Firmen könnten sich dann auf das berufen, was die EU und die USA einmal in dem Abkommen beschlossen haben.
Kann das EUParlament noch Einfluss nehmen beim Abkommen?
Das Europaparlament hat leider bereits die Grundlinien des Verhandlungsmandats beschlossen. Sozialdemokraten, Konservative und Liberale haben gemeinsam der EU-Kommission einen Blanko-Scheck ausgestellt, sie hat bei den Verhandlungen freie Hand. Wir Grünen wollten, dass in den Verhandlungen alles ausgeklammert wird, was Verbraucherschutz, Umweltschutz und soziale Grundregeln angeht. Das haben die anderen Parteien leider abgelehnt.
Glauben Sie, dass es bei der Europawahl eine starke Wahlbeteiligung gibt?
Es wird schwierig. Viele Bürger glauben immer noch an den Spruch `Hast Du einen Opa, schick` ihn nach Europa`. Früher hatte das Europaparlament nichts zu sagen. Inzwischen beneiden mich viele Kollegen im Bundestag, weil wir oft die Richtung bestimmen und verändern. Das heißt, die Wahlentscheidung macht einen großen Unterschied - das wissen viele nur leider noch nicht.
Wie sieht das Wahlziel der Grünen aus?
Giegold: Wir wollen wieder zweistellig werden. Das ist unser Wahlziel. Bei der Bundestagswahl hatten wir leider ein sehr schlechtes Ergebnis und das möchten wir ganz deutlich toppen. Und Europa verdient auch eine Partei, die pro-europäisch ist, Europa aber gleichzeitig sozial und ökologisch verändern will.