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Menschenrechtlerin Serap Çileli sprach in Magdeburg über Zwangsheirat und Ehrenmord Für eine Liebe ohne Segen der Familie riskieren muslimische Frauen ihr Leben

Von Alexandra Kunze 15.10.2011, 04:22

Das Vorwort zu einer Erfolgsgeschichte war es nicht, was da vor 50 Jahren geschrieben wurde: Das so genannte Anwerbeabkommen, am 30. Oktober 1961 zwischen Deutschland und der Türkei geschlossen, sollte türkische Arbeiter für eine begrenzte Zeit nach Deutschland locken. Ein halbes Jahrhundert und zwei Gastarbeiter-Generationen später wird diese Geschichte mitunter als "misslungene Integration" betitelt. "Die vergangenen 50 Jahre waren eine verlorene Zeit", findet auch Serap Çileli.

Die mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Frauenrechtlerin war für Donnerstagabend vom Presseclub Magdeburg und der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Landeshauptstadt eingeladen, um aus ihrem aktuellen Buch "Eure Ehre - unser Leid" zu lesen. Volksstimme-Redakteur Steffen Honig moderierte das Gespräch zwischen Çileli und den etwa 100 Gästen zu den Themen Zwansgheirat und Ehrenmord.

Als Kind türkischer Einwanderer kennt Çileli das anhaltende Spannungsfeld zwischen patriarchalischen türkischen Familienstrukturen und der individualisierten deutschen Gesellschaft: Als 12-Jährige wird sie mit einem ihr unbekannten Mann verlobt, es folgten ein Suizidversuch, der zweite unbekannte Mann, mit dem sie 15-jährig verheiratet wird. Irgendwann steigt Çileli aus, flüchtet ins Frauenhaus, bricht mit ihrer Familie. Heute, als 45-Jährige, hilft sie Frauen, die Ähnliches erleben. Und lebt mit einem Mann zusammen, den sie liebt.

Etwa 500 Menschen hat Çileli nach eigenen Angaben betreut, seit sie 2005 den Verein "peri" (dt. "gute Fee") gegründet hat. Meist sind es von Zwangsheirat bedrohte Muslima zwischen 16 und 21 Jahren, die Hilfe suchen - unter anderem bei der Wiederherstellung der Jungfräulichkeit. Denn der komme bei muslimischen Eheschließungen eine entscheidende Rolle zu. "Die sexuelle Ehre des Mannes liegt zwischen den Beinen seiner muslimischen Frau", sagt Çileli. Es ist eine Welt mit tradierten Normen, von der die 45-Jährige spricht. Eine Welt, in der ein Mann mehr wert ist als eine Frau, in der Gewalt gegen Frauen akzeptiert und die sich um Respekt, Ehre und Ansehen dreht. Wird diese Ehre verletzt, so Çileli, werde das notfalls mit Mord bestraft.

Die Opfer dieser Welt heißen Hatun Sürücü, 2005 mit drei Kopfschüssen getötet, oder Gülsüm S., 2009 ermordet. Beide Frauen mussten sterben, weil ihr westlicher Lebenswandel die Ehre der Familie beschmutzt haben soll.

"Die Hilferufe junger Muslime hat sehr stark zugenommen", sagt Çileli aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre. Einen Grund meint sie in einer sich intensivierenden Religiosität zu erkennen: Während sich 2005 noch 57 Prozent der in Deutschland lebenden Migranten als "sehr religiös" beschrieben hätten, zitiert Çileli eine Studie, sei die Zahl innerhalb von fünf Jahren auf 72 Prozent gestiegen. Eine innerlich getriebene Säkularisierung, ähnlich der westeuorpäischen Aufklärung, habe es in der türkischen Gesellschaft ohnehin nie gegeben, sagt sie.

Von Deutschland fordert sie das klare Signal, keinen Gottesstaat zu dulden. "Wir müssen von jedem, der in Europa lebt, Respekt und Achtung vor dem Grundgesetz und unseren Wertvorstellungen fordern." Antidemokratische Strömungen aus falsch verstandener Toleranz unter einen "multikulturellen Naturschutz" zu stellen sei ebenso wenig förderlich wie ein Kulturrelativismus, der etwa die kulturelle Herkunft von Straftätern bei der Beurteilung ihrer Taten berücksichtigt oder die Befreiung muslimischer Mädchen vom Sportunterricht unterstützt.

Es sind Äußerungen wie diese, weswegen Serap Çileli mitunter in rechtsgerichteten Kreisen zitiert wird - und mancher ihrer eigenwilligen Lösungsansätze. Als Moderator Honig etwa wissen will, wie bestehende Parallelgesellschaften zu knacken seien, lautet Çilelis Antwort: per quotierter Wohnpolitk. Strukturen ghettoähnlicher Stadtviertel könnten so vielleicht aufgeweicht werden, sagt sie.

Doch Çileli wehrt sich gegen ihre Instrumentalisierung durch rechte Kräfte. "Rechtsradikalen möchte ich keinen Nährboden geben, im Gegenteil", stellt sie klar. "Ich setze mich für die Menschenrechte muslimischer Frauen ein."

Sie hätte das Geld, das für rund 4 Millionen Muslime in Deutschland in etwa 3000 Moscheen und Gebetshäuser investiert wurde, lieber in Präventionsarbeit, Sozialberatungsstellen und Kriseneinrichtungen gesteckt. Ehrenmord und Zwangsheirat zu ächten sei verlogen, so Çileli, wenn nicht entsprechende Hilfsangebote für Betroffene geschaffen würden.

www.cileli-serap.de