Deutsch-Arabische Gesellschaft würdigt in Berlin den Arabischen Frühling Kienzle: "Angst vor dem Islam ist Wahnsinn"
Ulrich Kienzle steht ihm kaum nach, und so sind die beiden Journalisten beim Neujahrsempfang der Deutsch-Arabischen Gesellschaft am Dienstagabend in Berlin Veranstalter und Stars zugleich: Scholl-Latour ist Präsident der Gesellschaft, Kienzle sein Vize.
Der Empfang soll gleichzeitig eine Feier des Arabischen Frühlings sein. Daran wollten Hunderte teilhaben, der Französische Dom am Gendarmenmarkt ist wohl auch deshalb proppenvoll. Dass der Raum von der evangelischen Kirche für die Würdigung der Revolutionen in der muslimischen Welt gern zur Verfügung gestellt wird, zeigt die religionsübergreifende Sympathie, mit der der Arabische Frühling in Deutschland verfolgt wird.
Freilich gibt es hierzulande weiterhin die unterschwellige Furcht, Islamisten könnten die Umbrüche von Tunesien bis Ägypten für ihre Zwecke instrumentalisieren, Ansätze gibt es bereits. Ulrich Kienzle sagt aber: "Die Angst vor dem Islam ist Wahnsinn." Weiter erklärt er im Podiumsgespräch mit Peter Scholl-Latour und dem Tunesier Fatli Ayeti von der islamischen El-Nahda-Bewegung: "Da werden die Muslim-Brüder dämonisiert, statt zu differenzieren. Wir müssen lernen, mit dem Islam zu leben."
Scholl-Latour gibt zu bedenken: "Wieso heißt es eigentlich, wir könnten nicht mit islamischen Bewegungen zusammenarbeiten? Was ist denn mit Saudi-Arabien?"
Der Tunesier Ayeti ist erkennbar bemüht, Bedenken gegen islamische Organisationen wie seien El-Nahda zu zerstreuen und um Vertrauen zu werben. Er postuliert mit Entschiedenheit: "Islam und Demokratie sind nicht inkompatibel!" Die begonnenen Veränderungen bräuchten ihre Zeit, doch er sei sicher, dass sich Freiheit und Demokratie letzlich überall im arabischen Raum durchsetzen würden.
Nahost-Kenner Scholl-Latour stellt generell fest: "Die Europäer haben auf einmal die arabische Welt entdeckt. Die Idee einer Mittelmeer-Union wurde als Utopie betrachtet, aber deren Notwendigkeit ist heute klar. Und die Europäer entdecken, dass hinter den Forderungen nach Freiheit eine profunde islamische Natur steckt." Scholl-Latour meint zudem, dass es ohne die Einbeziehung Israels in die aktuellen Prozesse keine Lösung der Nahost-Frage gibt.
Bei den arabischen Freiheitsbewegungen vermisst der noch immer agile 87-Jährige "eine Führungsgestalt", wie es einst der Ägypter Gamal Abdel Nasser gewesen sei und "so wie die Türken Erdogan erfunden haben". Zum Thema Führungskräfte steuert Kienzle gleich noch persönliche Erfahrungen bei: "Saddam Hussein war bestimmt ein Diktator. Aber der irakische Führer war in Wirklichkeit anders, als in den Medien dargestellt."
Und der syrische Herrscher Assad habe in einem Punkt Recht: Bei den Auseinandersetzungen in Syrien gehe es auch darum, Geschichte zu bereinigen. Ergänzung Scholl-Latours: "Bisher gibt es in Syrien 5000 Tote. bei einem Bürgerkrieg hätten wir es bald mit 50000 Toten zu tun."
Ein zusätzliches Problem: Laut Kienzle ist die arabische Welt gespalten in den ägyptischen, den sunnitischen und den schiitisch dominierten saudi-arabischen Flügel. So würden etwa die radikalen Salafisten in Ägypten kräftig von Saudi-Arabien unterstützt.
Noch Fragen, Kienzle und Scholl-Latour? Gewiss, eine ganze Menge. Endgültige Aussagen über den Fortgang der arabischen Revolutionen aber lassen sich selbst von ausgewiesenen Experten derzeit nicht treffen. Es bleibt spannend.