Leipziger Studie untersuchte Darstellung der Ostdeutschen in überregionalen Zeitungen Der Ossi als Problembär der Nation
Die Ostdeutschen werden in überregionalen Medien dezidiert negativ dargestellt - das ist das Ergebnis einer Studie unter Leitung der Politikprofessorin Rebecca Pates (45), die in dieser Woche veröffentlicht wurde. Die gebürtige Britin, seit 2001 an der Universität Leipzig, warnt: Diese Ausgrenzung im eigenen Land ist hochgefährlich. Mit ihr sprach Andreas Debski.
Frage: Vier Jahre mediale Ossi-Forschung liegen hinter Ihnen und Ihrer Projektgruppe - was sind die markanten Ergebnisse?
Rebecca Pates: Es gibt grob zusammengefasst drei Tendenzen in der medialen Darstellung des Ostdeutschen, zwei davon dezidiert negativ. Der "gute Ossi" ist der Umbruchserfahrene, welcher als Vorbild gelten soll für jene, die sich gegen strukturelle Änderungen wehren. Die anderen zwei typischen Darstellungen des Ossis stellen ihn aber als Problembär der Nation dar - wenn die Sprache auf strukturelle Probleme kommt, wird der Ossi als schlechtes Beispiel angeführt. Man braucht sich nur Berichte über Hartz IV, den demografischen Wandel oder Rechtsextremismus anschauen. Die Funktion dieser Darstellung ist eine Warnung: Werdet um Himmels willen nicht so wie dieser Ossi. In der Konsequenz heißt das, und das ist der zweite gefährliche Punkt: Der Ostdeutsche wird mit dem "normalen Deutschen" verglichen und damit als Nicht-Deutscher angesehen.
Frage: Der Ostdeutsche ist also im eigenen Land ein Ausländer?
Pates: Genau. Der Ossi wird als Mitglied einer Personengruppe dargestellt, die nicht auf der Höhe der Zeit, vormodern und stets dem Wessi unterlegen ist. Die Ostdeutschen werden als eigene, als defizitäre Volksgruppe dargestellt - also wie Ausländer. Damit weist man auf den Ossi als eine ausgegrenzte Gruppe im eigenen Land, die durchaus auch angefeindet wird.
Die Realität wird durch den Ost-West-Fokus umgedeutet.
Frage: Das könnte Wasser auf die Mühlen vieler Ostalgiker sein.
Pates: Darum darf es in einer Forschungsarbeit aber nicht gehen. Wir haben vier Jahre lang überregionale Beiträge in Zeitungen untersucht und sind zu diesen Ergebnissen gekommen. Das Kuriose an den Darstellungen ist, wie die Realität durch den Ost-West Fokus umgedeutet wird. Beispielsweise werden ostdeutsche Frauen als gebär- und heiratsunwillig bezeichnet - in Deutschland und in Europa gibt es aber in diesen Fragen ein markantes Süd-Nord-Gefälle, das aber als West-Ost-Gefälle dargestellt wird. Ähnliches gilt für den Rechtsextremismus. Der ostdeutsche Mann steht gemeinhin für den bösen Neonazi - dabei bleibt unbeachtet, dass Rechtsextremismus vor allem in ländlichen und strukturschwachen Räumen erstarkt. Davon gibt es auch im Westen einige, und in denen haben rechtsextreme Gruppierungen genauso Zulauf. Doch das passt nicht in das mediale Bild über den Problembären.
Frage: Sie sagen, der Ostdeutsche wird nahezu ausschließlich negativ dargestellt. Gibt es nichts Gutes über die Darstellung des Ossi zu berichten?
Pates: Vor allem die Super Illu weist häufig auf den Umbruch-Ossi, der sich am eigenen Schopf aus dem Dreck zieht, hin. Also jeweils die Positivbeispiele - aber auch das führt zu einer eindimensionalen Sicht, die noch dazu ausschließlich für den Ost-Markt bestimmt ist. Bei den überregionalen Medien ist er, insofern er positiv dargestellt wird, "Knecht der Avant- garde": Der passive Mensch, der Pionier des Prekariats, der nur dann gelobt wird, wenn es um die Einführung neuer Sozialgesetzgebung geht, im Sinn von: "Sogar der Ossi hat den Umbruch überstanden, dann werden es die Deutschen auch schaffen."
Frage: Was folgt daraus - für das Selbstbild und für mögliche Änderungen in der Außendarstellung?
Pates: Es bräuchte zunächst einmal eine neue Selbstklassifizierung. Mit der dritten Generation Ost ist dafür ein guter Anfang gemacht: Denn hier werden die Probleme benannt und mögliche Lösungswege beschrieben; hier wird gezeigt, wie heterogen die Ostdeutschen in der Wirklichkeit sind.
Frage: Bringt das aber etwas, wenn das Image sowieso ruiniert ist?
Pates: Am besten wäre es natürlich, das Klischee zu durchbrechen. Das geht aber nicht, indem sich einzelne Ostdeutsche ändern oder anders darstellen, sondern nur, wenn der Ost-West-Vergleich weniger bemüht wird als Nord-Süd-Unterschiede, solche zwischen protestantischen und katholischen Gegenden oder ländlich dominierten versus städtisch dominierten Kulturen, die sich in der Bundesrepublik entwickeln.
Frage: Die beiden Spitzenpositionen der Bundesrepublik werden momentan von zwei Ostdeutschen besetzt, von Joachim Gauck und Angela Merkel.
Pates: Ausnahmen bestätigen die Regel. Im Allgemeinen steht dagegen: Das Problem heißt Ostdeutscher. Schauen Sie doch einmal, wie viele Ossis es in Führungspositionen geschafft haben. Das liegt auch daran, dass Spitzenfunktionen innerhalb der eigenen Ethnie besetzt werden, in unserem Fall also unter Westdeutschen.
Spitzenfunktionen werden innerhalb der eigenen Ethnie besetzt.
Frage: Wie passt dazu, dass Sachsen und Thüringen in Bildungsstudien stets weit vorn liegen?
Pates: Wer sagt denn, dass die in Sachsen und Thüringen gut ausgebildeten tatsächlich auch oben ankommen? Das ist wie bei Frauen: Die besten Schul- und Hochschulabschlüsse gehen an Frauen, auch sie sind auf Führungsebenen unterrepräsentiert. Vielleicht ist es an der Zeit für eine Quote für Ostdeutsche?
(Interview: Andreas Debski, Übernahme von der Leipziger Volkszeitung)