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Die neue IWH-Präsidentin Claudia Buch über ihr Institut, den Osten und die Finanzmärkte "Wir haben immer noch eine ernste Situation"

08.06.2013, 01:19

Claudia Buch ist seit wenigen Tagen neue Chefin des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Auf die renommierte Forscherin kommt viel Arbeit zu. Sie muss das Haus reformieren. Mit der Finanzexpertin sprach Volksstimme-Redakteur Torsten Scheer.

Volksstimme: Frau Buch, haben Sie schon eine Wohnung in Halle gefunden?

Claudia Buch (lacht): Nein. Dafür war noch keine Zeit. Ich habe eine sehr gute Lösung für den Übergang gefunden und muss mich erst einmal mit der Stadt vertraut machen.

Volksstimme: Wie sehen die kommenden Tage am IWH für Sie aus?

Buch: Ich werde zunächst viele Gespräche führen, möchte meine Mitarbeiter kennenlernen. Gemeinsam werden wir eine Bestandsaufnahme machen.

Volksstimme: Mit welchen Erwartungen sind Sie Ihr Amt angetreten?

Buch: Mir liegt das Thema Transformationsforschung am Herzen. Ich finde es sehr spannend, wie sich beispielsweise ein Institut, das sich 20 Jahre unter anderem mit dem gesellschaftlichen Wandlungsprozess in Ostdeutschland und Osteuropa beschäftigt, im Kontext der institutionellen Reform in Europa weiterentwickeln kann. Mein Wunsch ist es, mit meinen Mitarbeitern gute Ideen und ein gutes Konzept für die Zukunft des Instituts zu entwickeln.

Volksstimme: Das IWH gilt in der öffentlichen Wahrnehmung als ein reines Ost-Institut. Wie wollen Sie das Profil schärfen?

Buch: Es geht mir nicht um Ost oder West. Die Frage ist, was ist das Alleinstellungsmerkmal eines Forschungsinstituts? Beim IWH ist es die Forschung über den Umbau sozialistischer Planwirtschaften zu marktwirtschaftlichen Systemen. Diese Arbeit hat das IWH in hervorragender Weise getan.

Jetzt geht es darum, wie wir das erweitern können. Für mich spielt dabei der gesamte europäische Integrationsprozess eine große Rolle. Auch dieser bedeutet einen erheblichen Wandel.

Ein wichtiges Feld bleibt natürlich Osteuropa. Hier können wir etwa aus unserer Forschungserfahrung heraus sagen, welche Auswirkungen bestimmte wirtschaftspolitische Entscheidungen beispielsweise zur Struktur eines Finanzsystems haben. Wir brauchen ein besseres Verständnis der Rolle der Finanzmärkte für die Realwirtschaft. Auch in diese Richtung wollen wir unser Themenspektrum erweitern.

"Wir müssen fragen, was kommt hinterher raus."

Volksstimme: Ist das ein Angebot an die Landesregierung?

Buch: Natürlich. Politik braucht mehr evidenzbasierte Beratung. Das bedeutet: Wirtschaftspolitische Entscheidungen müssen konsequenter auf Basis guter Daten überprüft werden. Wir müssen uns nicht nur fragen, was kostet eine bestimmte wirtschaftspolitische Maßnahme, sondern, was kommt denn hinterher raus.

Nehmen wir die Förderung von Investitionen. Es gibt Unternehmen, die sich für eine bestimmte Investition nicht am Markt finanzieren können. Aber ich muss mich doch fragen: Habe ich die Unternehmen gefördert, die sich am besten um Fördermittel beworben haben, oder habe ich die Betriebe außen vor gelassen, die die Förderung wirklich gebraucht hätten?

Volksstimme: Das IWH war wegen angeblich mangelnder wissenschaftlicher Forschungsleistungen in die Kritik geraten. Unter anderem wurde die geringe Zahl wissenschaftlicher Publikationen im Vergleich zu anderen Wirtschaftsforschungsinstituten bemängelt. Die Leibniz-Gesellschaft forderte daraufhin, das Institut grundlegend zu reformieren, um weiter von Bund und Land finanziell unterstützt zu werden. Ihr Kommentar.

Buch: Das Institut hat eine Überprüfung hinter sich, die nicht positiv ausgegangen ist. Dass überhaupt die Empfehlung getroffen wurde, das IWH weiter zu finanzieren, ist allein schon ein Kraftakt gewesen.

Wir müssen jetzt gegenüber der Wissenschaft und der Politik dokumentieren, dass das Institut dieses Vertrauen rechtfertigt. Zudem haben wir in Deutschland neben einem stärkeren Wettbewerb unter den Wirtschaftsforschungsinstituten auch eine Diskussion darüber, welche Institute in welcher Größe gebraucht werden. Das macht die Sache für uns nicht einfacher.

Volksstimme: Wird das IWH den Lackmustest im kommenden Jahr bestehen?

Buch: Wir sind auf einem sehr guten Weg. Ich bin optimistisch.

Volksstimme: Haben Sie auch einen Sparauftrag?

Buch: Überhaupt nicht. Wir haben ein Budget, mit dem wir natürlich sparsam umgehen müssen. Aber es gibt derzeit auch Möglichkeiten, neue Mitarbeiter einzustellen, weil einige offene Stellen in der Vergangenheit nicht besetzt worden sind.

Volksstimme: In welcher wirtschaftlichen Verfassung sehen Sie Ostdeutschland?

Buch: Der in den 1990er Jahren vollzogene starke Angleichungsprozess bei den Einkommen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verlangsamt. Daraus wird häufig abgeleitet, der Osten habe den Anschluss nicht geschafft. Das aber ist nicht das Bild, das sich mir darstellt, wenn ich mich in den neuen Bundesländern und insbesondere in Sachsen-Anhalt bewege.

In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren hat sich die Lebensqualität vieler Bürger sehr verbessert. Es ist nicht der Durchschnittsvergleich, der für mich interessant ist, sondern vielmehr das, was in den Regionen passiert. Wir brauchen ein viel differenzierteres Bild als einen simplen Ost-West-Vergleich.

"Strukturprobleme sind noch nicht gelöst."

Volksstimme: Frau Buch, Sie gelten als ausgewiesene Finanzmarktexpertin. Der Deutsche Aktienindex DAX explodiert geradezu. Ist die internationale Finanzkrise ausgestanden?

Buch: Wir haben immer noch eine ernste Situation. Die Ankündigung der Europäischen Zentralbank, gegebenenfalls stabilisierend in die Finanzmärkte einzugreifen, hat sicher zur Beruhigung der Märkte beigetragen. Aber die Strukturprobleme im Bankensektor sind noch nicht gelöst. Es gibt Überkapazitäten, die Margen sind zu gering, die Banken haben es schwer, sich aus eigener Kraft mehr Eigenkapital zu beschaffen. Das wiederum bedeutet, sie sind anfällig gegenüber Schocks.

Volksstimme: Wie kann man die Lage beherrschen?

Buch: Man muss die richtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen treffen. Wir müssen beispielsweise alles daransetzen, dass es auf europäischer Ebene einen vernünftigen Abwicklungsmechanismus für Banken gibt, die dauerhaft nicht überlebensfähig sind. Die große Frage aber ist, woher kann möglicherweise wieder ein Schock von außen kommen, der zu Ansteckungseffekten führt. Diese Frage wird niemand abschließend beantworten können.

Volksstimme: Verbunden mit der IWH-Präsidentschaft ist ein Lehrstuhl an der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität. Wie werden Sie diese Rolle ausfüllen?

Buch: Das ist wie bei allen Berufungen dieser Art ein reduziertes Lehrdeputat. Meine Lehre wird im nächsten Wintersemester beginnen. Ich würde gern Vorlesungen zur Lage der internationalen Finanzmärkte anbieten.