1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Burg
  6. >
  7. Sie wollen einfach bleiben dürfen

EIL

Familie Nabizadeh soll Deutschland verlassen / In Afghanistan haben sie nichts mehr Sie wollen einfach bleiben dürfen

09.09.2014, 03:20

Burg ist Zufluchtsort für die Familie Nabizadeh. Ihre geplante Abschiebung ist ausgesetzt, sie sind geduldete Flüchtlinge. In ihre Heimat Afghanistan wollen sie nicht zurück, auch wenn der Weg von Deutschland über Ungarn zwangsläufig wieder dort enden kann. Ein Fall, der zeigt, wie uneindeutig das deutsche Asylrecht ist.

Burg l Sie müssen warten. Mehr kann Familie Nabizadeh nicht machen. Sie leben als geduldete Flüchtlinge in Burg und wissen nicht, was nach den drei Monaten passieren wird. "Wir möchten gern in Deutschland bleiben", sagt Abdul Nabizadeh in seiner kleinen Dreiraumwohnung, die die Stadt Burg seiner Familie stellt.

Ihre Geschichte ist die Fortsetzung einer Abschiebe-Odyssee. Ihr Neffe Egbhal, mit dem sie zusammen geflüchtet sind, kam nach der ersten Abschiebung aus Deutschland allein ohne die Angehörigen wieder (Volksstimme berichtete) und hat mittlerweile eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Er wohnt zusammen mit Onkel und Tante und will nicht, dass sie abgeschoben werden. "Das ist ungerecht. Wir sind zusammen geflohen und wollen zusammen hier bleiben", sagt der Neunzehnjährige.

Abdul Nabizadeh, seine Frau und die beiden Kinder haben Ende Juli eine drei Monate lange Duldung bekommen. Die Verabschiedung aus Deutschland ist damit nur verschoben.

Die vier gehören damit zu 88 geduldeten Flüchtlingen, die im Jerichower Land Schutz gefunden haben und auf einen positiven Bescheid der Ausländerbehörde des Landkreises warten.

Ein Familienmitglied hat Bleiberecht bekommen

Aus Khandahar ist Abdul Nabizadeh mit seiner Frau, seinem Sohn und vier Neffen im Frühjahr 2010 geflohen. In Afghanistan herrscht seit 30 Jahren Krieg. Der zweifache Familienvater hat Angst vor den Taliban und möchte nie wieder in das Land zurückkehren, in dem er und seine Frau Faride aufgewachsen sind, in dem sein Sohn Habas geboren wurde. "Die Taliban kommen und holen die Kinder", erzählt die Mutter verängstigt. Beim Nachbarn wurden die Kinder entführt, berichtet der Vater. "Die Taliban handeln mit den Organen", erzählt er.

Auf der Flucht war die Familie getrennt worden, reiste über unterschiedliche Länder nach Deutschland ein, wo sie bei einem Verwandten in Hamburg unterkommen wollten. Eghbal hatte Deutschland zuerst erreicht und einen Asylantrag gestellt. Im Frühjahr 2011 wurde die Familie in Burg zusammengeführt. Doch schon im Winter des gleichen Jahres wurden alle nach Ungarn ausgeflogen. In Ungarn hatte seine Tante Faride mit Egbhals Cousin Habas ihre Fingerabdrücke hinterlassen, weshalb die deutsche Einwandererbehörde die Zuständigkeiten an Ungarn abgegeben haben.

Jan Braune, vom Integrationshilfeverein Sachsen-Anhalt, der den Fall der Familie kennt, erklärt: "Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge prüft grundsätzlich zuerst, welcher Staat den Asylantrag bearbeitet. Dabei wurde festgestellt, dass in Ungarn ein Verfahren läuft." Daher wurde der Asylantrag der Familie in Burg gar nicht geprüft. Jan Braune sieht da schon einen Widerspruch: "Das Verfahren hätte da anlaufen müssen, wo der Großteil der Familie angekommen ist." Die Familie sei damals, im Winter 2011 zu Unrecht ausgewiesen worden.

Abdul Nabizadeh, seine Frau Faride und Habas blieben in Ungarn, während der Neffe Egbhal aus dem Flüchtlingslager in der Nähe von Budapest flieht.

Der Junge kommt zurück nach Burg, will seinen Schulabschluss machen.

"Schmutzig" war es in dem Heim in Debrecen, erzählt sein Onkel Abdul Nabizadeh. "Wir wurden behandelt wie Kriminelle", erzählt er. Es gab keinen Platz für die Familie, hunderte Flüchtlinge drängten sich dicht an dicht, "die Matratzen lagen auf dem Boden einfach nebeneinander." Der Bericht des Vereins Pro Asyl zu den Zuständen ungarischer Flüchtlingsheime bestätigt das. Noch bis zum Juli 2013 wurden in Ungarn "nahezu alle Antragsteller inhaftiert" heißt es in dem Bericht.

Die Zustände in ungarischen Flüchtlingslagern sind den deutschen Ausländerbehörden bekannt. Doch bisher werden nur Rückführungen nach Griechenland verhindert. "Im Jahr 2013 wurden 197 Personen im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Ungarn überstellt", heißt es aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von Sindy Hoppe. Das Bundesamt führt Antragsteller im Rahmen der Dublin-Verordnung nur in Länder zurück, in denen "keine systemischen Mängel des Asylverfahrens- und der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorliegen. Derzeit ist Griechenland jedoch der einzige Staat, in den Deutschland Flüchtlinge nicht ausfliegt.

In Ungarn droht Obdachlosigkeit

Die Familie Nabizadeh hielt Kontakt zu dem geflohenen Neffen Egbhal in Burg.

Ihre kleine Tochter Mazona kam im Januar 2013 in Ungarn zur Welt. Als die Familie eine Aufenthaltsgenehmigung für Ungarn bekommt, mussten sie aus dem Flüchtlingsheim ausziehen und lebten auf der Straße. "Es gab keine Arbeit, und auch keine Wohnung für uns", erzählt Abdul Nabizadeh. 18 Monate hatten sie bis dahin in Ungarn verbracht. Sie beschließen, zurück nach Deutschland zu gehen. Hier geht der Neffe mittlerweile wieder zur Schule. Sie beziehen eine gemeinsame Wohnung, der Neffe hilft den Verwandten bei Amtsgängen, der Onkel berichtet Egbhals Mutter in der Heimat, wie gern alle zusammen in Burg bleiben würden. Der neunjährige Habas ist Schüler der Pestalozzi-Grundschule in Burg. Zusammen mit seinem Vater besucht er das Gesprächscafé im evangelischen Gemeindehaus. Der kleine Junge hilft dem Vater oft, die richtigen Worte der neuen Sprache zu finden. Deutschlernen, das möchte der Familienvater auch, um Geld verdienen zu können. In Afghanistan arbeitete er als Goldschmied. "Auch mit einer Duldung können Asylbewerber arbeiten", sagt Jan Braune, "nur viele wissen das leider nicht". Umständlich sei das Ganze allerdings, weil erst die Ausländerbehörde das Arbeitsverbot aus den Papieren streichen und die Ausländerbehörde des Kreises eine Genehmigung erteilen muss, erklärt er.

Die Ausländerbehörde des Landkreises möchte sich zum laufenden Verfahren nicht äußern. Der Landkreis sei lediglich ausführend tätig, sagte Pressesprecher Henry Liebe.

Die drei Monate Duldung seien nach Meinung von Jan Braune ein positives Zeichen. Bis zum 29. Oktober, dem Tag der "Rückführung", heißt es warten. Auf das Ende der Odyssee. "Hier in Burg fühlen wir uns wohl", sagt Abdul Nabizadeh. Nicht in Ungarn und nicht in Afghanistan.