Wissenschaftler der TU Berlin nimmt den Komplex Uhland- und Einsteinstraße unter die Lupe / Vorstellung der Arbeit in Genthin denkbar Überhöhte Wahrnehmung: "Klein-Moskau" liegt nicht am Kanal
Genthin l Als "Plattenkind" bringt er den richtigen Riecher mit. René Kreichauf (24) hat den Wohnkomplex Uhlandstraße/Einsteinstraße erforscht und stellt fest, dass es ethnische Segregation (Absonderung) auch in Kleinstädten gibt. Das Problem würde aber von der Bevölkerung "höher wahrgenommen, als es real wirklich ist", sagt der Stadtplaner von der Technischen Universität Berlin, der seine Bachelor-Arbeit zu dem Thema geschrieben hat.
Anders als in Großstädten fehle kleinen Städten die Anonymität, erklärt Kreichauf. Mehr Auseinandersetzung und höhere Stigmatisierung des Stadtteils wären die Folge. In den 13 Interviews, die er geführt hat, zeigt sich, dass die Genthiner das Wohngebiet oft als "Russenviertel" und "Klein-Moskau" abstempeln. Dabei gehören weniger als vier Prozent der Stadtbevölkerung zu den Spätaussiedlern, schätzt die Stadt.
Die überhöhte Wahrnehmung hat durchaus reale Ursachen: Einwohnerverluste von 40 bis 50 Prozent seit 1990, 20 Prozent Leerstand und wenig Aufwertung durch den Stadtumbau Ost. "Es wird hauptsächlich abgerissen", berichtet Kreichauf, der selbst elf Jahre im Plattenbaugebiet Wolfen-Nord gelebt hat. Hinzu kommt, dass das Gebiet durch die Bahntrasse und fehlende Verbindungen von der Altstadt räumlich abgekoppelt ist. Das forciere Segregation, sagt er. Als Merkmal treffe es auch auf Großstädte zu.
Bürgermeister Wolfgang Bernicke schätzt, dass in Genthin 500 bis 600 Spätaussiedler aus den GUS-Staaten sesshaft geworden sind. Mehr als 80 Prozent davon lebten im Wohngebiet Süd, schätzt er und spricht von Migration, statt von Segregation. Die Stadt Genthin hatte sich 2009 bis 2011 aktiv an einer Forschung zu Integrationspotenzialen von Kleinstädten beteiligt. Kreichauf knüpft nun daran an.
Die Reaktionen der Bewohner auf seine Forschung schildert er so: "Am Anfang skeptisch, dann aber locker". Sie hätten ihn später als "Sprachrohr" benutzt. Drei Deutsche und sechs bis sieben Spätaussiedler haben aktiv mitgemacht. Kreichauf hat die Arbeit in Genthin noch nicht vorgestellt, hält es aber für eine gute Idee. Immerhin wurde Sie mit 1,0 benotet und ausgezeichnet. Und dann wäre da noch ein anderer Grund, nach Genthin zurückzukehren, wie er gesteht: "Einen ordentlichen Schnaps trinken."