Podiumsdiskussion zum Mauerfall vor 25 Jahren mit Gesprächsgästen von beiden Seiten der Landesgrenze Geschichtsstunde mit Gänsehautcharakter
Nicht nur Zeitzeugen, sondern auch die Jugend bekam bei der Grenzöffnungsfeier am Mittwochabend in Hessen ein Podium. Rund 200 Personen verfolgten die Diskussion in der "Weinschenke".
Hessen l "Wenig Erinnerungen" an den Tag der Grenzöffnung vor 25 Jahren hat Bettina Duderstadt aus Osterwieck. Sie ist damals erst zehn Jahre alt gewesen, berichtete sie. "Es ist aufregend gewesen, im Westen zu sein. Ohne Grenzöffnung hätte ich nie meinen aus Braunschweig stammenden Mann kennengelernt, und ich würde nicht in Hornburg arbeiten", berichtete die ehemalige Fallstein-Gymnasiastin.
Dieselbe Schule besuchte Christina Warthmann, aus Berßel stammend und 1988 geboren: "Ich arbeite heute als Tierärztin und kann alle Freiheiten genießen."
Florian Weinert ist am Tage des Mauerfalls drei Jahre alt gewesen. Dieser habe ihm das derzeitige Leben erst ermöglicht. "Ich konnte meinen Studiengang selbst aussuchen. Die Freiheit gewonnen zu haben, ist sehr wertvoll", betonte der in Wolfsburg arbeitende Osterwiecker Ingenieur.
Die Wolfenbütteler Lehrerin Britta Siebert ("Mein Vater floh aus Halberstadt") hatte am 9. November 1989, gerade 14 Jahre alt, "Tränen in den Augen". Auch ihr zeigte der Tag der Grenzöffnung, dass "Freiheit von großer Wichtigkeit" sei.
Oliver Grund (37) aus Roklum meinte: "Positive Veränderungen hat es eigentlich nur für Ostbürger gegeben." Und augenzwinkernd: "Nach der Grenzöffnung konnte man nicht mehr auf der Hauptstraße Fußball spielen."
Grund erinnerte an eine besondere Grenzgeschichte. Mit seinen Eltern und Verwandten ging er am 11. November bei Stapelburg über die Grenze. Mit Ingo Holzheuer aus Hessen und Hans Löhr (Stötterlingen) kamen diese "Ausflügler" nach Veltheim und erlebten am Folgetag die Öffnung der Grenze vom Hessendamm aus.
Der Winnigstedter Olaf Richter, Krankenpfleger im Klinikum Wolfenbüttel, erinnert sich noch an den "Geruch der Zweitakter und Braunkohle". Die offene Grenze erreichte er am frühen Nachmittag des 12. November. "Im Ostharz, in ganz Sachsen-Anhalt gibt es viel zu entdecken. Wir unternehmen dort viel. Eine Bereicherung", merkte der Betriebsratsvorsitzende positiv an.
Die Offiziere versprachen, nicht zu schießen
Von den Zeitzeugen ging Klaus Bogoslaw, damals und auch heute Bürgermeister in Hessen, auf die am Vorabend der Grenzöffnung im Kontrollhäuschen geführten Gespräche mit Offizieren und anderen Personen ein und hob hervor: "Die Grenzöffnung musste friedlich erfolgen. Die Offiziere versprachen, nicht zu schießen."
Moderatorin Sabine Goes vom NDR Hannover hinterfragte Einzelheiten. Bogoslaw, für den die Situation in der DDR "insgesamt unerträglich" wurde: "Junge Grenzposten wurden abgezogen. An die Grenze kamen unbewaffnete Offiziere. Es ist der Verdienst der Hessener, Veltheimer und Rohrsheimer Bürger, dass hier die Grenze geöffnet worden ist." Nach knisternder Spannung gab es Beifall im Saal.
Der Hessener Bürgermeister ist zum Zeitpunkt der Grenzöffnung durch die Anspannungen "nervlich am Ende" gewesen, sah später "strahlende Gesichter" und betonte: "Was kann es Schöneres geben." Und: "Den Freiheitsbegriff musste ich neu definieren!"
Für Bernd von der Heide aus Bornum ist ein Erlebnis mit einer DDR-Rentnerin in Wolfenbüttel unvergessen geblieben: "Die Frau weinte vor einem bekannten Fischgeschäft und sagte: Diese Auslagen in den Schaufenstern, das habe ich nicht geglaubt." Der ehemalige Schulleiter des Osterwiecker Fallstein-Gymnasiums traf am Tag der Grenzöffnung am Wachturm Doris und Peter Rühland aus Hessen, fuhr sie spontan nach Wolfenbüttel und bummelte mit ihnen durch die Stadt.
Für Pfarrer Stephan Werther, der im Wendeherbst die Hessener Kirche für kritische Gesprächs- und Diskussionsrunden öffnete sowie eine schnelle Beseitigung des Sperrgebietes forderte, gab es damals "Freude und Spannung."
Enrico Kretschmar, 1990 erster frei gewählter Hessener Bürgermeister, dankte Werther "für die kleine Revolution in der Gemeinde." Er ging auf eigene Erlebnisse "dicht vor der Grenze" mit "Blick Richtung Wolfenbüttel" ein. Kretschmar kämpfte wiederholt mit den Tränen, dankte den Entscheidungsträgern und dem Militär, dass kein Schuss gefallen ist. "Am 12. November konnten wir da einfach durchfahren Richtung Westen. Das war schön", brachte er es gerührt auf den Punkt.
Der Winnigstedter Ex- Bürgermeister Erick Bewig machte deutlich: "Diese Tage wird man nie vergessen. Die Öffnung habe ich verschlafen. Weil ich am Tage nicht nach Hessen durchkommen konnte, bin ich nach Veltheim gegangen. Veltheim war schon fest in Roklumer Hand."
Bernd Kahnert, damals Kommandeur des Bundesgrenzschutzes, erinnerte an die mit DDR-Aussiedlern halb belegte Kaserne in Braunschweig, an die ersten Kontakte mit DDR-Offizieren und die "unglaubliche Hochstimmung und Verbrüderung" in der Bevölkerung. "Das sind für mich die glücklichsten Tage gewesen. Ich habe immer an die Wiedervereinigung geglaubt", betonte der Wolfenbütteler.
Bevor im Saal die Nationalhymne gesungen wurde, sprach ein zufriedener Organisator Ernst-Henning Jahn Dankesworte.
Blitzer "begrüßen" die Gäste im Harzkreis
Vor dem gemütlichen Teil der Veranstaltung wurde die gute Stimmung doch noch für einen Augenblick getrübt. Horst Holzheuer, vor 25 Jahren ein kritischer Oppositioneller, ergriff das Mikrofon und "schämte sich für die Leute hier im Landkreis Harz", weil ausgerechnet an diesem Nachmittag Radarfallen an der Bundesstraße 79 in Hessendamm aufgebaut waren, durch die fast alle Gäste der Hessener Gedenkveranstaltung fahren mussten. Er bekam breite Zustimmung.