Heimatchronist Eckehard Schwarz erinnert an Hochseeschiff 1984: MS Arendsee sinkt vor Luanda
Arendsee (esw) l Wer an Arendsee und Schiffe denkt, dem fällt zuerst der Mississippi Dampfer Queen Arendsee ein, der seit 23 Jahren die Urlauber zu einer Rundfahrt auf dem Arendsee einlädt.
Als besondere Auszeichnung sahen es zu DDR-Zeiten Binnenstädte an, wenn ein Hochseeschiff mit ihrem Namen über die Weltmeere fuhr. Am 23. Mai 1978 wurde nach jahrelangen Bemühungen des damaligen Rates der Stadt Arendsee unter der Baunummer 280 das Motorschiff "Arendsee" in Anwesenheit der Bürgermeisterin Elfriede Oesterheld und von Stadtverordneten von der Rostocker Neptun-Werft an den VEB Deutfracht/Seereederei übergeben und in Dienst gestellt. Als eines von 19 Schiffen der "Poseidon"-Serie, deren Namen alle auf -walde oder -see enden, hatte es die Aufgabe, für den Außenhandel der damaligen DDR Stückgüter oder bis zu 148 Container und kleine Partien von Kühlgut zu transportieren.
Im Liniendienst der DDR
Bis 1980 verkehrte das 120 Meter lange und 17 Meter breite Schiff im Liniendienst DDR- Mittelmeer. Danach wurde es im Liniendienst der Deutschen Seereederei mit den Staaten in Ost- und Westafrika eingesetzt. Es transportierte Stückgüter und Container, Lebensmittel, Düngemittel, Fahrzeuge sowie Industrieanlagen von Rostock, Hamburg oder Rotterdam nach Afrika.
Die Rückladung bestand zumeist aus Kaffee, Tee, Kakao, Ölsaaten und Edelhölzern. Durch gegenseitige Kontakte entstanden enge Freundschaften zwischen Arendseer Bürgern und der Besatzung um Kapitän Heinz Wagner. Die vermeintliche friedliche Mission der MS Arendsee wurde am 30. Juli 1984 jedoch jäh unterbrochen. Zu diesem Zeitpunkt überbrachte das Schiff für das im Bürgerkrieg befindliche Angola laut Pressemitteilung Lastkraftwagen, Nahrungsmittel und andere "Solidaritätsgüter". In den Morgenstunden des 30. Juli explodierten auf der Reede von Luanda, der Hauptstadt Angolas, Haftminen mit angeblich amerikanischen Firmenschildern unter dem Rumpf des angolanischen Küstenmotorschiffes "Lundoge" und der "Arendsee".
Zwei riesige Lecks
Über die Rettungsaktion verbreitete die Presse am 8. August 1984 folgenden Bericht des Kapitäns des zur Hilfe geeilten Schlepp- und Rettungsschiffs "Neotrasimy" V.D.Durnjew."... Als wir uns dem Schiff näherten, hatte es bereits zwei Lecks, deren Ausmaß mutete unwahrscheinlich an. Elf Quadratmeter maß das Leck im Bereich der Maschinenabteilung und zehn das andere zwischen dem zweiten und dritten Frachtraum. Ich beschloss, das in Not geratene Schiff ins Schlepp zu nehmen. Als es vertäut war, bemerkten wir, dass das Schiff rasch zu sinken begann. Trotzdem gelang es uns, die ,Arendsee` ins Schlepp zu nehmen. So konnten wir das in Not geratene Schiff auf eine Sandbank setzen. Jetzt befindet sich der Schiffsbug in 20 Meter Tiefe und das Heck sitzt auf der abschüssigen Seite der Sandbank. Damit das Frachtschiff nicht in noch tieferes Wasser abrutscht, stemmt sich die "Neotrasimy" mit ihrem Bug gegen das Schiff. Ohne Unterbrechung arbeiten seine Schiffsschrauben und halten so den Frachter fest." "... Bei der Untersuchung des versenkten Schiffes haben unsere Taucher im Heckteil noch eine Mine gefunden. Jeden Augenblick konnte eine weitere Explosion stattfinden. Man muss bedenken - die vielen Menschen, der Treibstoff und die Fracht, die sich hier befinden. Nur durch die aufopferungsvolle Arbeit aller Seeleute konnte eine weitere Tragödie verhindert werden. Wir entfernten die Mine, brachten sie ans Ufer, wo wir sie vernichteten. Die Arbeit wird Tag und Nacht nicht unterbrochen. Auf der ,Arendsee` haben unsere Havariegruppen mit der Arbeit begonnen."
Sämtliche Güter gerettet
Es gelang sämtliche Güter zu retten, die MS "Arendsee" musste jedoch aufgegeben werden. Diese Rettungsaktion ging 1984 durch die Weltpresse und machte dadurch, wenn auch ungewollt, den Namen Arendsee überall bekannt. Natürlich war der Anschlag sehr gut geeignet für eine politische Kampagne gegen Südafrika. Was nicht im "Neuen Deutschland" stand und keinem Arendseer gesagt wurde, war, dass wahrscheinlich die "Solidaritätsgüter" nichts anderes als Waffen und militärische Ausrüstungen waren.
Die Stadtväter hielten bis zur Wende auch nach dem Untergang des Schiffes Kontakt zum Kapitän und seiner Mannschaft. So besuchte eine Abordnung im September 1984 aus Anlass der Feierlichkeiten zur 800-Jahr-Feier der Stadt.