Ehemaliger Erdgasmitarbeiter kämpft um Anerkennung seiner Beschwerden als Berufskrankheit "Manchmal zornig, manchmal mutlos"
Etwa 1400 Menschen arbeiteten zu DDR-Zeiten in der altmärkischen Erdgasförderung. Bis zu 250 von ihnen, so der gebürtige Altmärker Hermann Bubke, haben dabei durch Quecksilber gesundheitliche Schäden erlitten. Vergebens kämpfen sie bis heute um eine Anerkennung als Berufskrankheit. Einer von ihnen ist Klaus Müller, der heute in Elsenfeld lebt.
Salzwedel/Elsenfeld l Der Briefwechsel zwischen Klaus Müller und diversen Behörden, angefangen bei der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) über das Sozialgericht Würzburg bis hin zum Bundesministerium für Arbeit und Soziales, ist umfangreich. Jahrelanges Bemühen und zunehmende Verbitterung werden darin deutlich. "Ich habe so langsam den Eindruck, dass keiner mit dieser Angelegenheit etwas zu tun haben will", schrieb Klaus Müller an das Bundes-Arbeitsministerium. Da war ihm einmal mehr bestätigt worden, dass Erkrankungen durch Quecksilber zwar grundsätzlich anerkennungsfähig sind. Unfallversicherungsträger, also die Berufsgenossenschaft Holz und Metall und die Sozialgerichte, lehnen jedoch einen Zusammenhang zwischen seinen heutigen Beschwerden und dem Kontakt mit Quecksilber, dem Klaus Müller seit den 1970er Jahre ausgesetzt war, ab.
Der heute 65-Jährige gehörte damals zu einem Servicedienst, der Messeinrichtungen auf Förderstellen in der gesamten damaligen DDR reparierte. "Greifswald, Heringsdorf, Boizenburg, aber den größten Teil dieser Zeit habe ich in Salzwedel und der Altmark verbracht", erzählt Klaus Müller. Auf den Feldstationen reparierten er und seine Kollegen Hähne und Heber für die Pumpen. "Vor allem die Messeinrichtungen für den Spülungsdruck waren oft kaputt", erinnert er sich. Hermann Bubke zitiert in seiner Studie (Studie zur Kontamination von Arbeitnehmern mit Quecksilber bei der Erdgasförderung in der Altmark - die Red.) einen IM "Gert" , der 1972 in einem Informationsbericht über die Gefahren von chronischen und akuten Vergiftungen durch die Quecksilberbeimengungen des Erdgases schrieb, "die besonders bei Reparaturarbeiten möglich sind". "Wir hatten auch keine richtige Schutzbekleidung. Anfangs verfügten wir nur über Stoff-, aber nicht über Gummihandschuhe. Die erste Arbeitsbekleidung haben wir selbst gewaschen", so Klaus Müller weiter.
"Ich dachte immer, dass mein rechter Arm einschläft"
"Damals haben wir uns keine großen Sorgen gemacht", blickt Klaus Müller auf die Zeit zurück, in der er als junger Mann auf den altmärkischen Erdgasfeldern tätig war. "Einmal wurden wir Anfang der 1970er Jahre in der Salzwedeler Poliklinik untersucht. Es fanden aber nur Gehör-, Seh- und Farbtests statt. Blut und Urin wurde uns nicht abgenommen. Ich hatte das Gefühl, dass die Ärzte gar nicht wussten, worum es ging." Auch während der Untersuchungen in der Betriebspoliklinik seien keine Werte auf dieser Basis ermittelt worden. Besagter IM "Gert" stellt laut der Bubke-Studie in einem Bericht vom Mai 1972 fest, dass "im Betriebsteil Salzwedel des VEB Erdöl-Erdgas ... die Unterstützung des Gesundheitswesens beziehungsweise der Betriebssanitätsstelle nicht ausreichend sind".
Einige Jahre später jedoch wurden bei Klaus Müller während einer Betriebsuntersuchung schlechte Leberwerte festgestellt. Der junge Mann war fassungslos. "Dafür hatte ich keine Erklärung. Ich war leidenschaftlicher Sportler, habe deshalb auch sehr gesund gelebt und kaum Alkohol getrunken." Doch als sich Klaus Müller die genauen Untersuchungsergebnisse abholen wollte, "da waren die Unterlagen plötzlich weg". Ende der 1970er, Anfang der 1980 Jahre musste Klaus Müller wegen Nierenblutens in der Klinik "Waldfrieden" bei Gommern behandelt werden. 1999/2000 zeigten sich neue Symptome: "Ich dachte immer, dass mein rechter Arm einschläft." "Schwerwiegende Quecksilbervergiftungen führen als Spätfolgen zu Polyneuropathien, das heißt zu nachhaltigen Schädigungen des zentralen Nervensystems und des Bewegungsapparates", schreibt Hermann Bubke in seiner Studie. Klaus Müller kam schließlich das Gefühl in den Fingern abhanden. Fatal, denn inzwischen montierte er für einen anderen Arbeitgeber Rolltore und arbeitete in vier bis fünf Metern Höhe. Immer wieder sei ihm das Werkzeug heruntergefallen, so dass er es schließlich an seinem Körper festband. "Bis 2008 war ich immer wieder krankgeschrieben", fasst er die folgenden Jahre zusammen. Innerhalb von 18 Monaten musste er vier Mal in eine Rehabilitationsklinik.
Im Jahr 2000 stellte er den ersten Antrag auf Anerkennung seiner Beschwerden, der Anfang eines jahrelangen Kampfes. Am 28. Oktober 2004 entschied die Berufsgenossenschaft gegen eine Anerkennung. Klaus Müller legte Widerspruch ein. Dieser wurde abgewiesen.
"Ich werde, solange ich kann, um Gerechtigkeit kämpfen"
Die Ermittlungen des Präventionsdienstes der BGHM bestätigten, dass Klaus Müller von 1970 bis 1980 der Einwirkung von Quecksilber ausgesetzt war, so Udo Pluhm, Geschäftsführer der Bezirksverwaltung Dessau-Roßlau der BGHM. "Jedoch konnte leider nicht der Nachweis geführt werden, dass die viele Jahre nach Expositionsende festgestellten Erkrankungen des Herrn Müller durch die berufliche Quecksilberbelastung verursacht worden sind."
Klaus Müller leide unter anderem an Diabetes, einer dadurch bedingten Erkrankung des peripheren Nervensystems, einer angeborenen beidseitigen Doppelniere, degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule, Problemen im Lendenwirbelbereich und Nervenkompressionen im Bereich der Handwurzel. "Eine durch entsprechende Quecksilbereinwirkung zu erwartende Schädigung der Nierenfunktion und/oder des Zentralnervensystems konnte bei Herrn Müller dagegen nicht bestätigt werden", so Udo Pluhm weiter. Es sei unter den zahlreichen Diagnosen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft somit kein Krankheitsbild nachweisbar, das ursächlich auf eine berufliche Quecksilberexposition zurückzuführen sei. Pluhm weist darauf hin, dass mehrere Sachverständige zu dieser Einschätzung gekommen seien, der für medizinischen Arbeitsschutz zuständige Staatliche Gewerbearzt des Landes Sachsen-Anhalt, ein vom Sozialgericht Würzburg beauftragter Gutachter und Ärzte, die im Auftrag der BGHM tätig wurden. Fazit für Udo Pluhm: Die Erkrankungen des Herrn Müller sind durch andere außerberufliche Ursachen entstanden.
Klaus Müller verwies jedoch gegenüber der BGHM auf Untersuchungsergebnisse der DRK-Klinik Würzburg, deren Ärzte während seines zehntägigen Aufenthaltes im Juni dieses Jahres zu dem Schluss kamen, dass seine Taubheit im rechten Arm sowie in den Füßen hauptsächlich durch die Quecksilbervergiftung verursacht wurden. Mehrfach sei ihm bestätigt, dass die Berufsgenossenschaft die Ärzte auswähle. Sorgen bereitet ihm der Hinweis, dass bei der Übermittlung von Daten von der BGHM an das Sozialgericht Würzburg ein Datenverlust nicht ausgeschlossen wird.
Das Land Sachsen-Anhalt lehnte einen Hilfsfond für die durch den Kontakt mit Quecksilber geschädigten Mitarbeiter der Erdgasförderung ab (die Volksstimme berichtete). Ebenso wenig wird es eine umfassende Untersuchung der Quecksilber-Kontamination geben.
Klaus Müllers Leberwerte sind auch heute noch sehr schlecht. Mitunter lasse das Gedächtnis nach. "Manchmal bin ich zornig, manchmal mutlos", beschreibt Klaus Müller seine heutige Gemütslage. Im August war er erneut in einer Rehabilitationsklinik. Doch er will nicht aufgeben. "Ich werde, solange ich kann, mit allen Mitteln um Gerechtigkeit kämpfen."