Beate Thieswald-Schechters autobiographische Handlung spielt in Calbe Die Autorin und ihr vages Bild vom Ahorn im Pfarrhof
Mit ihrem Vater war Beate Thieswald-Schechter als kleines Kind ein einziges Mal in Calbe gewesen. Nun lässt die Schriftstellerin eine Erzählung ihrer "Ostdeutschen Geschichten" in der Saalestadt spielen. Das Buch der 45-Jährigen trägt autobiographische Züge und erzählt über das Leben in der DDR.
Calbe l Es ist der Sommer 1964, als Hans als Wehrdiensttotalverweigerer zur Musterung muss. Als Christ wächst er in einer Pfarrersfamilie auf und hat es nicht leicht mit dem Leben im Arbeiter- und Bauernstaat. Er ist weder Pionier, noch hat er Jugendweihe gemacht oder ist in der FDJ integriert. Als ihn schließlich an diesem Maitag drei Ärzte befragen und untersuchen, bleibt er bei seinen Überzeugungen und geht dabei mit seiner Verweigerung ein großes Risiko ein, das seinen weiteren Lebensweg grundlegend ändern könnte. Doch auch ein Arzt trifft eine gewagte Entscheidung.
"Mein Vater hat uns das Pfarrhaus von außen gezeigt und auch den großen Ahornbaum im Hof, den er selbst als Junge gepflanzt hat."
"Hans, der den Wehrdienst verweigert, ist mein Vater", sagt Beate Thieswald-Schechter. Gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder wuchs sie im protestantischen Pfarrhaus in Braunsroda im damaligen Kreis Naumburg auf. Dort arbeiteten ihre Eltern als Pfarrer und Gemeindepädagogin. Heute lebt die 45-jährige Familienberaterin mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Frankfurt/Main.
Mit dem Schreiben als große Leidenschaft verarbeitet die Schriftstellerin ihre Familiengeschichte in der DDR, die sowohl schöne als auch schwere Momente hatte und die das Leben aller Familienmitglieder prägte. So sei ihr beispielsweise das Abitur verweigert worden. Im Sommer 1989 floh Beate Thieswald-Schechter mit ihrem damaligen Freund und anderen während eines Ungarn-Urlaubs über Österreich aus der DDR.
In den drei Erzählungen ihres Buches "Ostdeutsche Geschichten" stehen die Protagonisten vor einer Veränderung und müssen sich entscheiden. Sie stehen vor der Aufgabe, etwas Ungewöhnliches zu tun. Etwas, von dem sie nicht wissen, wie es ausgeht und mit dem sie etwas riskieren. Die drei Geschichten ereignen sich zu Beginn, in der Mitte und zum Ende der DDR-Zeit. "Sie haben insofern zu meiner Vita einen Bezug, als es sich in allen Geschichten um reale Personen aus meiner Familie handelt", sagt Thieswald-Schechter.
In ihrer Kindheit sei sie mit ihrem Vater ein einziges Mal in Calbe gewesen. "Er hat uns das Pfarrhaus von außen gezeigt und auch den großen Ahornbaum im Hof, den er selbst als Junge gepflanzt hat", sagt die Schriftstellerin. Dieses sehr unbestimmte Bild des Pfarrhauses mit dem Ahorn im Hof sei das einzige Bild, das sie von Calbe überhaupt habe. "Insofern ist ganz klar, dass auch jede örtliche Beschreibung in der Geschichte vollkommen erfunden ist", sagt Thieswald-Schechter. So gibt es zwar in ihrer Erzählung in Calbe ein Freibad aber ebenso eine Bachstraße oder einen Mühlenweg. So schätzt sie das Calbenser Leben wie folgt ein: "In ihrem Städtchen ist nichts weit entfernt, und jeder kennt jeden." Doch danach deckt sich die Beschreibung nicht mit der Wirklichkeit: "Eine hässliche Baracke ist diese Poliklinik, eben ganz modern." Sie habe von ihrem Vater lediglich erfragt, ob es damals eine Poliklinik im Ort gegeben habe.
"Dass Calbe zum Teil mittelalterlichen Charakter haben soll, weiß ich nur von meinem Vater, der ab und zu dort hinfährt, beispielsweise zu regelmäßigen Klassentreffen."
"Leider kenne ich also Calbe nicht persönlich. Dass die Stadt zum Teil mittelalterlichen Charakter haben soll, weiß ich nur von meinem Vater, der ab und zu dort hinfährt, beispielsweise zu regelmäßigen Klassentreffen", sagt die Wahl-Frankfurterin.
Die Autorin hat ebenfalls ein Kinderbuch mit dem Titel "Raupi" geschrieben, das sich um eine Episode aus ihrem Leben dreht. Ihr Bruder hatte einst ein selbst gebasteltes Kuscheltier in einem Interzonenzug vergessen. Als Zehnjährige bastelte sie für ihren Bruder eine neue Raupe, verfasste dazu eine Geschichte über die Erlebnisse des Tierchens und schickte es per Paket an ihn. Ihr sei es ein Anliegen, ihre gemachten Erfahrungen an jüngere Menschen weiterzugeben. Mittlwerweile schreibt sie an einem weiteren Kinderbuch.
"Ostdeutsche Geschichten" ist 2014 im Hamburger Eigenverlag "tredition" erschienen. 168 Seiten, 9,80 Euro, ISBN: 978-3-7323-2098-1