Tochter des Wernigeröder Wirtschaftsförderers arbeitet für beauftragtes Architekturbüro in Berlin Eisstadion: Rathaus-Chef ist empört über Verdacht der Vetternwirtschaft
Es gibt eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen dem Wernigeröder Rathaus und dem Architektenbüro Graft. Der Verdacht, es könnte deshalb bei der Auftragsvergabe des Schierker Eisstadions nicht rechtmäßig zugegangen sein, sei "an den Haaren herbeigezogen", sagt Oberbürgermeister Peter Gaffert.
Wernigerode l Das geplante Eisstadion in Schierke ist erneut im Gespräch. Es geht um den Verdacht der Vetternwirtschaft.
Fakt ist: Recherchen der Volksstimme zufolge gibt es eine Verbindung zwischen der Wernigeröder Verwaltung und dem mit der Projektierung der Sportstätte beauftragten Architekturbüro Graft.
Zum Personal der Berliner Planer gehört die Tochter von Rüdiger Ganske, Wirtschaftsförderer im Wernigeröder Rathaus, Präsident des Landesskiverbands und bis 2009 Kurdirektor in Schierke. Seine Tochter Sascha Krückeberg, geborene Ganske, arbeitet nicht nur als Architektin für das Berliner Büro - sie ist auch die Ehefrau von Lars Krückeberg, einem der federführenden Architekten des Eisstadions.
"Das hat bei der Präsentation im April keiner geahnt", sagt Baudezernent Burkhard Rudo gegenüber Volksstimme. Er selbst habe es Wochen später erfahren. "Letztlich ist mir das völlig gleichgültig, weil Herr Ganske nicht in den Wettbewerb involviert war." Dass Ganske aufgrund seiner Vorgeschichte als Schierker Kurdirektor und in seiner Position als Wirtschaftsförderer Einfluss auf das Ergebnis ausgeübt haben könnte, hält Rudo für unmöglich. "Der Verdacht, hier könnte etwas mit unlauteren Mitteln zustande gekommen sein, ist unbegründet", so der Bauamtschef. "Jeder, der im Ansatz weiß, wie ein Vergabeverfahren funktioniert, kann das bestätigen."
Oberbürgermeister Peter Gaffert (parteilos) reagierte sofort auf die Gerüchte. "Ich warne davor, Verleumdungen in den Raum zu stellen", so Gaffert gegenüber Volksstimme. "Das ist an den Haaren herbeigezogen. Wir sollten uns vielmehr freuen, dass sich so ein Büro in der Provinz engagieren will." Er sagt jedoch deutlich, er habe zunächst nichts von der verwandtschaftlichen Beziehung gewusst - obwohl er Rüdiger Ganske seit Jahrzehnten kennt. Die Verflechtung wäre Gaffert zufolge nur problematisch, hätte Ganske in der Jury gesessen.
Der Wirtschaftsförderer selbst sieht den Trubel um seine Tochter und deren Ehemann gelassen. "Ich bin stolz darauf, dass sich das Büro an der Ausschreibung beteiligt hat", so Ganske. "Als Lars (Anm. d. Red.: Graft-Gründer Lars Krückeberg) dann gesagt hat, dass sie den Zuschlag erhalten, habe ich mich riesig gefreut."
Die Frage, ob er vor dem Wettbewerb über seine Beziehung zum Büro informiert habe, beantwortet Ganske entschieden mit "Ja". Oberbürgermeister Peter Gaffert und Baudezernent Burkhard Rudo gaben jedoch zuvor Volksstimme gegenüber an, damals nichts dergleichen gewusst zu haben. "Ich habe das natürlich nicht jedem erzählt", so Ganske. "Es kommt eben hinzu, dass Graft ein Büro ist, das die Illustrierten füllt." In den USA bauten die Architekten ein Atelierhaus für Brad Pitt. Wer den Verdacht der Vetternwirtschaft in die Welt gesetzt hat, weiß Rüdiger Ganske nicht: "Keine Ahnung, woher das kommt. Aber in so einer kleinen Stadt ist das normal."
Rückblick. Das Kompetenzzentrum Stadtumbau schreibt gemeinsam mit der Stadtverwaltung Anfang 2013 einen Wettbewerb für die Projektierung eines Eisstadions in Schierke aus. Europaweit können sich Architekten bewerben. Aus neun Bewerbern wählen Kompetenzzentrum und Stadtverwaltung vier Büros aus. "Per Losverfahren", wie Baudezernent Burkhard Rudo betont. Die Auswahl wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen.
Die vier Büros dürfen einen Stegreifentwurf in Wernigerode vor einer Jury präsentieren. Zur Jury zählen Rudo, Oberbürgermeister Gaffert, Kulturdezernent Andreas Heinrich, Erdmute Clemens von der Tourismus GmbH, Schierkes Ortsbürgermeisterin Christiane Hopstock (CDU) sowie die Stadtratsfraktionsvorsitzenden Rainer Schulze (SPD), Karl-Heinz Mänz (CDU), Dieter Kabelitz (Linke), Helmut Porsche (Haus Grund) und zwei Vertreter des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie. Bis auf Dieter Kabelitz nehmen alle an der Jury-Sitzung am 9. April teil.
Lars Krückeberg stellt in dieser nichtöffentlichen Veranstaltung erstmals die Pläne der Architektengemeinschaft Graft vor. Dass es sich bei Lars Krückeberg um den Schwiegersohn des Wernigeröder Wirtschaftsförderers und einstigen Kurdirektors handelt, soll zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen sein.
"Ich habe das nicht gewusst", sagt Schierkes Ortschefin Christiane Hopstock gegenüber Volksstimme merklich betroffen. Ihr zufolge nimmt Rüdiger Ganske seit 2009 keine Aufgaben mehr für die Schierker Verwaltung wahr.
"Ich bin immer derjenige, der fragt, was es kostet", erinnert sich Helmut Porsche an die Wettbewerbspräsentation von Lars Krückeberg. "Und ich habe auch diesmal nachgehakt." Schon damals macht der Architekt deutlich: "Mit 3,5 Millionen Euro kann das Eisstadion nicht realisiert werden." Er und seine drei Partner rechnen mit Kosten von rund sechs Millionen.
In der Ausschreibung zum Wettbewerb war ein Preisrahmen von drei Millionen Euro angegeben. "Der Vorschlag von Graft war am beliebtesten", sagt Porsche rückblickend. "Ich habe aber persönlich für einen anderen, preisgünstigeren Entwurf gestimmt." Architektonisch ist die Skizze durchaus reizvoll, wie die Jury-Mitglieder bestätigen: Das gewölbte Membran-bespannte Dach soll einen nahezu unverbauten Blick auf den Harz ermöglichen. Die gesamte Konstruktion scheint zu schweben, der Rahmen liegt lediglich an zwei Punkten auf Fundamenten auf.
Dieser Entwurf ist mit sechs Millionen Euro mehr als doppelt so teuer wie vorgegeben, kann sich aber mit einem Minimalvorsprung (0,3 Prozent) vor dem Plan des zweitplatzierten Büros aus Bayern behaupten.
Wenige Wochen später spricht Lars Krückeberg vor den Mitgliedern des Schierke-Ausschusses, der sich erstmals im Mai trifft. "Das Büro", so berichtet die Volksstimme, "liegt im Rennen um den Zuschlag weit vorn, eine Entscheidung fällt auf der Stadtratssitzung Mitte Juli. Erst dann, so Baudezernent Burkhard Rudo, werde am Entwurf weiter gefeilt."
In der Stadtratssitzung vom 11. Juli beantragt Siegfried Siegel (SPD), beide Büros - den Erst- sowie den Zweitplatzierten - mit der Planung zu betrauen. Erst dann, so Siegel, soll der Stadtrat entscheiden, welcher Entwurf realisiert werde. Baudezernent Burkhard Rudo spricht sich wegen der doppelten Kosten gegen diese Lösung aus. Seine Begründung: Die Planung eines einzelnen Büros schlägt bereits mit 345000Euro zu Buche. Siegels Antrag wird mit großer Mehrheit abgelehnt.
Der Stadtrat beschließt, das Büro Graft mit der Planung zu beauftragen. Außerdem soll ein Dritter eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung aufstellen.
Im November wird bekannt, dass eine ähnlich schwebende Dachkonstruktion bereits in Wolfsburgs Autostadt errichtet wurde. Die Planung oblag Graft. Kurz darauf kursieren die Gerüchte über private Kontakte aus dem Wernigeröder Rathaus zu den Berliner Architekten.
Im Bauausschuss am Montag dann der Eklat. "Zwischen der Stadtverwaltung und den Architekten soll es private Verflechtungen geben", sagt Christian Härtel (Linke) im öffentlichen Teil der Sitzung. "Der Beschluss, den wir im Juli gefasst haben, steht für meine Fraktion auf der Kippe, sollte sich dieser Verdacht erhärten."
Burkhard Rudo verweist darauf, dass die Vergabe keine reine Entscheidung der Stadtverwaltung war. "Es verbietet sich, solche Vermutungen in den Raum zu stellen", so der Baudezernent.