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Kommunalpolitiker erkunden Zerbst mit dem Rollstuhl Freie Fahrt unmöglich

Von Sebastian Siebert 17.06.2015, 03:07

Zu einem Experiment luden die Mitarbeiter und Bewohner des AWO Seniorenzentrums in Zerbst Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD) ein. Mit dem Rollstuhl sollte er die Stadt erkunden.

Zerbst l Dass das Leben im Rollstuhl weitaus mehr beschränkt ist, als durch das Gefährt an sich, das wollte Rudi Schilling den Stadtvätern einmal nahebringen. So lud er als Bewohner des AWO-Seniorenzentrums den Zerbster Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD) ein, mit ihm eine Erkundungstour durch die Nuthestadt zu machen. Dittmann sagte zu und brachte gleich noch den für Tiefbau zuständigen Sachbearbeiter Dietmar Habelmann mit. Während Dittmann den Initiator schob, setzte sich Habelmann in einen Rollstuhl. Auch die Mitglieder des Stadtseniorenbeirates Ruth Bachmann, Ute Voigt, Silvia Dähne - die auch die Einrichtungsleiterin ist - sowie die Vorsitzende Cordula Bergt nahmen an dem Ausflug teil. Regina Frens (Freie Fraktion Zerbst), Günter Benke (SPD) und Heinz Reifarth (FDP) vom Sozialausschuss begleiteten die Gruppe, wobei sie abwechselnd schoben und geschoben wurden.

"Die Ampelphasen sind erschreckend kurz", sagte die Landesvorsitzende der AWO, Petra Grimm-Benne, die zum ersten Mal mit dem Rollstuhl im Straßenverkehr unterwegs war. Zwar habe sie im Rollstuhl schon einmal an einer Gymnastikstunde teilgenommen, aber das sei etwas ganz anderes.

"Man ist davon abhängig, dass derjenige der den Rollstuhl fährt, es auch ordentlich macht", sagte Landtagskandidat Oliver Lindner (SPD). Schließlich habe man durch die tiefe Sitzposition einen ganz anderen Blickwinkel auf den Verkehr. "Man kann nicht mehr über die Autos am Straßenrand blicken", beschrieb er seine Erfahrungen aus dem Experiment. Auch wenn man in einem elektrischen Rollstuhl niemanden brauche, um sich fortzubewegen. "An einigen Stellen ist man darauf angewiesen, dass jemand mal über die Autos auf den Verkehr blickt", fügte er an.

An jeder Straße baue sich ein Hindernis auf, sagte Rudi Schilling. Das merke man erst, wenn man im Rollstuhl unterwegs ist. Dabei geht es nicht nur um Rollstuhlfahrer. "Menschen mit Rollatoren und Mütter mit Kinderwagen haben die gleichen Probleme", fügte er an. Es seien vor allem Stufen, welche die Fortbewegung erschweren. Auch kleine Schlaglöcher können tief genug sein, dass sich ein Rad darin verkante. "Nein", sagte er auf die Frage, ob er solche Situationen allein bewältigen könne. "Dafür brauche ich Hilfe."

Zusätzliche Senkungen

Nicht immer soll jedoch jemand dabei sein. Wenn Rudi Schilling seine Frau auf dem Friedhof besuchen will, "ist das ja ein persönlicher Moment", weiß Einrichtungsleiterin Silvia Dähne. Ein paar zusätzliche Bordsteinsenkungen würden schon helfen, sich besser in der Stadt bewegen zu können, erklärte sie weiter. Dass nicht alles sofort umsetzbar sei, sei ihnen allen klar, betonte die Leiterin. Es gehe vielmehr darum, um Verständnis für die Situation der Rollstuhlfahrer zu bekommen. Dennoch hatte sich die Initiatorin speziell die Lusoer Straße für ihr Experiment ausgesucht. Diese liegt in der Nähe des Heims und ist in einem schlechten Zustand. "Der Zustand dieser Straße ist mir sehr vertraut", sagte Bürgermeister Andreas Dittmann, während er mühsam den Rollstuhl von Rudi Schilling über das defekte Pflaster bugsierte. Schließlich sei er Anwohner. Er selbst habe Erfahrungen, jemanden im Rollstuhl über diese Straße zu schieben. "Meine Mutter saß zuletzt im Rollstuhl gefesselt", ergänzte er.

Diese Straße stehe für das kommende Jahr im Prioritätenplan und soll dann saniert werden. "Bei Neu- und Umbauten ziehen wir immer den Kreisbehindertenrat mit ein", erläuterte Dittmann. "Dessen Anregungen lassen wir einfließen", fügte er an. Auch Rudi Schilling kann das bestätigen. "An neuen Straßen gibt es weniger Hindernisse", sagte er. "Barrierefreiheit ist eine ewige Baustelle", sagte Dittmann. Der Ausflug diente jedoch der Sensibilisierung. Dafür dankte er.