Tausende Tiere erstickten im sauerstoffarmen Flachwasser Tote Fische: Die stinkenden Folgen des Hochwassers
Magdeburg l Nach dem Hochwasser zeichnet sich aktuell eine ökologische Katastrophe ab. Überall in den Flutgebieten sterben tausende Fische an Sauerstoffmangel. Anglervereine sind mit der Beseitigung der Tierkadaver überfordert.
"So eine stinkende, pechschwarze Brühe habe ich noch nicht gesehen." Der Stendaler Amtstierarzt Toralf Schaffer saß gestern zusammen mit Petra Martin vom Fischseuchenbekämpfungsdienst Sachsen-Anhalt im Boot von Fischer Gernot Quaschny und schipperte mit fassungslosem Blick über den Klietzer See (Landkreis Stendal). Sonst ein Vergnügen inmitten einer Landschaft mit Seerosen, seltenen Vögeln und glasklarem Wasser, nun eine Herausforderung: Tote Fische, abgestorbene Seerosen. "Hier ist alles tot! Es gibt keinen Wels und keinen Wasserfloh mehr."
Gernot Quaschny, der den 40 Hektar großen See seit fünf Jahren bewirtschaftet, berichtete vom gleichen Zustand der Seen in Scharlibbe, Schönfeld und Kamern, durch die der Trübengraben bis zur Havel bei Jederitz fließt und das faulige Deichbruchwasser mitbringt. "Es gibt keinen Sauerstoff mehr, alles ist abgestorben." Zum Beweis taucht Petra Martin das Oximeter ins Wasser: 0,0 Prozent Milligramm Sauerstoff pro Liter, "das ist das Todesurteil für Fische und Pflanzen".
50 Tonnen Kadaver im See und auf den Feldern
Es werde Jahre dauern, bis wieder Leben im See ist, glaubt Gernot Quaschny, der auch noch einen Elbabschnitt sowie den Schelldorfer See bei Tangermünde bewirtschaftet. Drei Tonnen tote Fische wurden allein am Klietzer See eingesammelt, "der Rest der schätzungsweise 50 Tonnen liegt auf dem Grund und auf den Feldern, wo das Wasser stand".
Die stinkende Fischflut ist keineswegs auf das Überflutungsgebiet bei Fischbeck begrenzt, sondern ein landesweites Phänomen an Elbe, Mulde und Saale. Nach dem Gesetz sind die Anglervereine als Fischereiberechtigte verpflichtet, ihre Fangbiete sauberzuhalten - also auch Fischkadaver zu entfernen. In Biederitz (Jerichower Land) war der ortsansässige Anglerverein am zurückliegenden Wochenende ebenso um Schadensbegrenzung bemüht wie die Angelfreunde in Magdeburg. In den südlichen Umflutgebieten der Landeshauptstadt wurden am Wochenende drei Tonnen toter Fisch eingesammelt, in Biederitz an der Ehle waren es 2,5 Tonnen. So werden die nahen Ortschaften etwas von den schlimmen Gerüchen befreit.
Denn die Tierkadaver verbreiten einen fast unerträglichen Gestank. Mehrfach mussten sich Angler beim Einsammeln trotz Atemschutzmaske übergeben.
Mit Gummihose und Köcher war in Magdeburg auch Harald Rohr unterwegs. Der Angler ist Mitglied des Präsidiums des Landesanglerverbandes und dort für Fragen des Gewässerschutzes zuständig. "Wir müssen wohl mit weit mehr als 100 Tonnen Fischverlust rechnen", glaubt er.
Betroffen sind vor allem kleine Weißfische. Rohr: "Fischarten wie Hecht, Karpfen oder Zander waren zumeist klug genug, sich am Grund festzusetzen und die Flut über sich hinwegziehen zu lassen." Tausende tote Weißfische werden vor allem in den flachen Überflutungsgebieten bei Breitenhagen an der Saale und bei Fischbeck im Elbe-Havel-Land zurückbleiben. Rohr: "Das sind so riesige Gebiete, die kann kein Anglerverein absammeln. Dort muss man einfach der Natur ihren Lauf lassen." Lediglich um die Siedlungen herum sind Säuberungsarbeiten angeraten, um dem Gestank Einhalt zu gebieten. "Der Rest wird einfach später untergepflügt", so Rohr.
Der Gewässerexperte glaubt nicht an unnatürliche Ursachen des Fischsterbens. "Das ist ein normaler Prozess. Das aufgewühlte Wasser enthält viele kleine Sedimente, die chemisch reagieren und den vorhandenen Sauerstoff binden. Viele Fische, die wir gefunden haben, sind einfach erstickt." Versuche, in betroffenen flussnahen Gewässern das Fischsterben durch künstliche Sauerstoffzufuhr zu verhindern, seien schwer umsetzbar.
Pumpen können die Lage nicht bessern
Das haben Bemühungen von Feuerwehr und Anglerverein auch am Heinrichsberger Kiesloch (Bördekreis) bei Loitsche gezeigt. Dort wurde versucht, mit Pumpen Wasser anzusaugen und dann mit Sauerstoff angereichert wieder in den See zu spritzen. Doch Messungen des Umweltamtes vom Landkreis ergaben, dass der Sauerstoffgehalt des Wassers nicht ausreichend stieg. Immerhin konnten die Angelfreunde dort viele lebende Fische, die an der Oberfläche nach Luft schnappten, einfangen und in der Elbe wieder aussetzen. Zwei Tonnen Fisch wurden so am Heinrichsberger Kiesloch gerettet werden.
Jürgen Mencke, Referent in der Oberen Fischereibehörde des Landesverwaltungsamtes, spricht wie Harald Rohr ebenfalls von einem natürlich ausgelösten Fischsterben. "Die gute Nachricht ist, dass sich Fische schnell zersetzen. Kräftiger Regen ist da hilfreich." Seuchengefahr bestehe nicht. Ein Einsammeln der Kadaver auf großen Überflutungsflächen sei nicht nötig und auch technisch nicht möglich.
Direkt in Dorfnähe ist das aber sinnvoll. Hilfe erhalten die Anglervereine bei den Behörden der Landkreise und Städte, weil dort die Zuständigkeit für die Gefahrenabwehr liegt. Und die Fischer? Mencke: "Das Land hat ein Hilfsprogramm für Fischereibetriebe aufgelegt. 5000 Euro Soforthilfe und Unterstützung für Ertragsausfälle."
Die Frage, ob Auffischprogramme den dezimierten Bestand vermehren könnten, sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu beantworten. "Das ist stark von der jeweiligen Fischart und Region abhängig. Da kann man auch viel verkehrt machen. Wir werden das im Herbst besprechen und entscheiden, wenn sich die Lage an den Flüssen wieder stabilisiert hat", sagt der Referent Jürgen Mencke.