Volksstimme-Gespräch mit Sachsen-Anhalts Rechnungshofpräsident Ralf Seibicke zum Finanzkurs der Koalition "Es kam noch nicht viel heraus"
Magdeburg I Am Mittwoch beschließt der Landtag den neuen Haushalt. Sachsen-Anhalt gibt zu viel Geld aus und legt zu wenig für schlechtere Zeiten zurück, kritisiert der oberste Kassenprüfer des Landes Ralf Seibicke. Mit ihm sprach Volksstimme-Reporter Jens Schmidt.
Volksstimme: Herr Seibicke, Regierung und Unis haben Frieden geschlossen. Die Ausgaben sollten eigentlich um 275 Millionen Euro sinken - nun sind es noch maximal 75 Millionen Euro. Was sagen Sie zum Ergebnis?
Ralf Seibicke: Die Regierung hat ihre finanzpolitischen Ziele bisher nicht erreicht. Es finden zwar notwendige Diskussionen über Strukturveränderungen statt, entsprechende Entscheidungen sind aber immer wieder verschoben worden. Zum Beispiel leistet sich das Land weiterhin zwei voll ausgestattete Unikliniken, und selbst kleine Änderungen, wie die Konzentration auf eine Rechtsmedizin, werden nicht umgesetzt. Obwohl sogar der Wissenschaftsrat strukturelle Veränderungen bei den Hochschulen angemahnt hat.
Nun kann ein Land natürlich die politische Entscheidung fällen, dass es sich in einem Bereich - wie etwa den Hochschulen - mehr leisten will, als andere Länder. Dies bedeutet aber, dass der finanzielle Druck auf andere Bereiche - wie Kultur, Theater oder Polizei - noch mehr wächst. Das Land muss jedes Jahr seine Ausgaben um zwei Prozent senken, da 2020 der Solidarpakt endet. Diese Aufgabe bleibt uns erhalten.
Volksstimme: Die Polizeireform geriet ins Stocken, der Kultusminister braucht mehr Lehrer, der Sozialminister benötigt mehr Geld für die Kinderförderung als geplant und der Wissenschaftsminister gibt eine Bestandsgarantie für alle Hochschulen. Sind die Sparpläne Makulatur?
Seibicke: Ich habe die große Sorge, dass das Land seine Ziele bis 2020 nicht erreicht. Hinter das Personalentwicklungskonzept setze ich große Fragezeichen. Das ursprünglich gesetzte Ziel wurde ohnehin schon aufgeweicht: Laut neuestem Konzept werden wir uns 2020 etwa 1500 Stellen mehr leisten als im Durchschnitt der anderen Bundesländer. Das kostet uns 75 Millionen Euro im Jahr.
Es ist zwar gut, dass wir unser Haus jetzt ohne neue Schulden aufbauen; wir haben es aber bisher versäumt, das Fundament so zu legen, dass das Gebäude nicht beim nächsten Windstoß wieder umfällt.
"Dafür hat die Regierungskoalition offenbar nicht die Kraft"
Volksstimme: Was ist zu tun?
Seibicke: Wir müssten mehr tilgen und größere Rücklagen bilden. Die Bedingungen dafür sind günstig wie nie. Wir haben höchste Steuereinnahmen und niedrigste Zinsen. Dieser Vorteil summierte sich in den letzten Jahren auf etwa 300 Millionen Euro. Dieses Geld müsste für Tilgung, Steuerschwankungsreserve und Pensionsvorsorge eingesetzt werden. Doch das ist nicht passiert. Dafür hat die Regierungskoalition offenbar nicht die Kraft. Statt Ausgaben stärker zu kürzen, werden neue Ausgaben finanziert. Das wirft uns im Vergleich zu anderen Ländern zurück. Selbst Mecklenburg-Vorpommern, das wirtschaftlich nicht stärker ist als wir, steht mit solideren Finanzen da.
Volksstimme: Ist Sachsen-Anhalt finanzpolitisch ein hoffnungsvoller Fall?
Seibicke: So pessimistisch sehe ich das nicht - zumal das Land schon einmal gezeigt hat, dass es auch anders geht. Von 2002 bis 2006 hatte es die damalige CDU-FDP-Koalition geschafft, das Ruder herumzureißen und eine Zäsur zu setzen. Damals wurde erstmals und so tiefgreifend wie später nicht wieder strukturell gespart. Übrigens: Zum Teil auch mit Hilfe und Zustimmung der damaligen SPD-Opposition. Offensichtlich gab es eine breite Einsicht, dass es so nicht weitergehen konnte. Die Ausgaben für die Kinderförderung wurden um etwa 40 Millionen Euro gesenkt, Weihnachts- und Urlaubsgeld für Beamte wurde gestrichen, es gab Einsparungen im Hochschulbereich und der Abbau von Stellen in der Landesverwaltung wurde erstmals konsequent angepackt.
Volksstimme: Und danach?
Seibicke: Nach 2006 hatte Finanzminister Bullerjahn die Probleme erkannt und richtigerweise erstmals eine langfristige Personalentwicklungsplanung vorgelegt; doch die Regierung hatte es nicht geschafft, mehr Geld zurückzulegen. Obwohl die Steuern stiegen und man gut von den Einsparungen aus den Jahren 2002 bis 2006 profitiert hatte. Als die Wirtschaftskrise durchschlug, musste Sachsen-Anhalt wieder neue Schulden machen. Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen kamen ohne neue Kredite durch diese Zeit.
Volksstimme: Immerhin ist Sachsen-Anhalt schon viermal ohne neue Schulden ausgekommen, auch 2013 wird das klappen. Aber in der von Ihnen gelobten Zeit von 2002 bis 2006 war die Neuverschuldung immens hoch.
Seibicke: Damals brachen aber auch die Steuereinnahmen um etwa 500 Millionen Euro ein. Würde das jetzt wieder passieren, müsste das Land wieder neue Schulden aufnehmen. Obwohl wir heute dank deutlich gesunkener Zinssätze gut 250 Millionen Euro weniger Zinsen zahlen müssen als damals, hat das Land keine Polster, da ständig neue Ausgaben beschlossen werden. Siehe Kinderförderung: 2004 wurden 129 Millionen Euro dafür jährlich ausgegeben; 2014 werden es 226 Millionen Euro sein.
Volksstimme: Ist das nicht gut angelegtes Geld?
Seibicke: Politisch kann man solche Schwerpunkte setzen - doch dann müsste das Land anderen Bereichen noch mehr Geld als ohnehin erforderlich wegnehmen. Das ginge nur über Strukturveränderungen, indem man also Einrichtungen zusammenlegt oder schließt. Papiere gibt es dazu viele. Doch umgesetzt werden diese bei weitem nicht.
"Papiere gibt es viele. Doch umgesetzt werden diese bei weitem nicht"
Volksstimme: Die Regierung ist stolz darauf, erstmals einen strukturell ausgeglichenen Haushalt zu haben.
Seibicke: Und der Landesrechnungshof würdigt ausdrücklich, dass die Regierung dieses Ziel, auch aufgrund erheblicher eigener Anstrengungen, erreicht hat. Allerdings ist dies zum großen Teil auch den extrem gefallenen Zinsen am Kapitalmarkt zu verdanken, und auch die Einnahmen liegen auf Rekordniveau. Wir haben also beste Bedingungen zur Haushaltskonsolidierung. Soll heißen: Die Sparbemühungen sind zwar erkennbar, sie sind aber zu wenig ambitioniert.
Im Doppelhaushalt 2011/ 2012 waren von Beginn an sehr hohe Steuerinnahmen eingeplant und somit war jeglicher Spardruck von den Ministerien genommen worden. In diesem Frühjahr kündigte die Regierung eine Trendwende an - doch wie wir bei den Hochschulen sehen, kam noch nicht viel dabei heraus. Außerdem: Das Land bekommt jährlich 80 Millionen Euro Konsolidierungshilfen. Zumindest diese Summe müsste doch in Tilgung und Vorsorge fließen, aber selbst das wird derzeit nicht erreicht.
Volksstimme: Ab 2020 dürfen alle Länder in normalen Zeiten keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Ist die Schuldenbremse realitätsfremd?
Seibicke: Keineswegs. Künftig gilt ganz klar: Will der Staat mehr ausgeben, muss er seine Einnahmen erhöhen. Will oder kann er das nicht, gibt es auch keine neuen Ausgaben. Neue Programme auf Pump sind dann nicht mehr zulässig. Der Rechnungshof meint, die Schuldenbremse gehört in die Verfassung.