Medizintechnik Sachsen-Anhalt Forschung an Prothesen mit Gehirnsteuerung
Wird die Medizintechnik Sachsen-Anhalts Boombranche der Zukunft? Die Chancen stehen gut. In Magdeburg gibt es ein neues Institut, einen neuen Studiengang und ausreichend Forschungsgelder. Das Land organisiert seit sechs Monaten ein Netzwerk für Unternehmen.
Magdeburg l Ein Campus, ein Rettungswagen, neun Schüler und eine Scheibe Lachsschinken. "Nun stellen wir uns mal vor, das wäre menschliches Gewebe", erzählt Informatiker Peter Knüppel und muss selbst schmunzeln. Dann hält er ein Gerät, so groß wie ein winziger Lötkolben, an das Fleisch. Der Schinken schmort. Knüppel führt so die Funktion eines Elektroskalpells vor. "Thermische Energie entsteht durch den Stromfluss. So können die Ärzte schneiden und gleichzeitig Blutungen stillen."
Die Schüler - eine Abordnung von der Schulzeitung des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums Weferlingen auf Recherchetour an der Magdeburger Universität - nicken fasziniert bis leicht ungläubig. Erst recht, als Knüppel das iPad-Tablet vorführt, das dank Spezial-App radioaktive Lichtblitze registriert. Und auch die Sache mit der Drohne, die mittels Gehirnströme die Gemütszustände "konzentriert" und "entspannt" Hoch-Runter-Flugbewegungen ausführt, ist schwer zu schlucken. Tatsächlich, so etwas gibt es? Keine Science-Fiction, sondern echte Wissenschaft.
Der Rettungswagen ist unter anderem so etwas wie das Showmobil der Medizintechniker an der Magdeburger Universität. Vor zwei Jahren entstand er an dem frisch gegründeten Institut für Medizintechnik in Zusammenarbeit mit Industriepartnern. Computer-Server vernetzen alle Geräte und machen aus dem Fahrzeug fast einen rollenden OP-Saal. Ziel der Entwicklung: Wie könnte die moderne Telemedizin mit mobiler Bild- und Tonübertragung unter anderem Schlaganfall-Patienten bereits auf dem Weg ins Krankenhaus helfen?
Es gibt in Magdeburg eine lange ingenieurtechnische Tradition des Maschinenbaus, der Elektrotechnik und der Physik. Und es gibt ein Universitätsklinikum, an dem medizinisch geforscht wird. Eine Zusammenarbeit gab es viele Jahre "eher sporadisch projektbezogen", sagt Prof. Georg Rose, Leiter des Medizintechnik-Institutes. In Zukunft sollen diese beiden Bereiche mehr gemeinsam forschen.
Als Studienrichtung in Magdeburg gibt es die Medizintechnik erst seit Oktober 2014. Rose kam 2006 nach Magdeburg. Zuvor arbeitete er acht Jahre in der Forschung bei Philips in Aachen. "Ich hatte 2006 zunächst einen internationalen Masterstudiengang in englischer Sprache aufgebaut, konnte die einheimischen Studierenden damit aber nicht erreichen", erzählt er.
Im Herbstsemester fing er mit einem Bachelor-Studiengang noch einmal neu an. Mit Erfolg. 170 Bewerber, 53 wurden immatrikuliert. Fünf haben inzwischen allerdings wieder abgebrochen. Das Studium ist kein Zuckerschlecken. Im Mittelpunkt: Mathe, Physik und Informatik. Hinzu kommen unter anderem Elektrophysiologie, Anatomie, Radiologie für Ingenieure und Hospitationen bei Ärzten. Aber das Erstsemester macht auch nette Ausflüge: "Wir waren mit ihnen bei Siemens Healthcare in Erlangen und am Helmholtz-Institut München", so Rose.
Stolz ist der Professor auf den 2013 ins Leben gerufenen "Forschungscampus Stimulante" - das ist ein Zusammenschluss von öffentlichen und privatwirtschaftlichen Forschungspartnern. Das Bundesforschungsministerium fördert "Stimulante" als eines von nur zehn Projekten dieser Art in Deutschland. Rose: "Mit jährlich vier Millionen Euro Forschungsgeldern - zwei Millionen vom Bund und zwei Millionen aus der Industrie - ist es die größte Drittmittel-Einwerbung an der Magdeburger Universität."
Und das Ende der Fahnenstange sei noch lange nicht erreicht. Dabei gehe es um INKA ("Intelligente Katheter") und die Optimierung von Wirbelsäulenoperationen bei Bandscheibenvorfällen. "Wir haben viele Ideen und schreiben quasi täglich neue Anträge", so Rose schmunzelnd. Unter anderem seien zwei "EU Horizon 2020"-Anträge "unterwegs".
Drei "Stimulante"-Beispiele aus der aktuellen Forschung: Rose selbst und Prof. Hermann Hinrichs (Leibnitzinstitut) arbeiten an Prothesen, die direkt durchs Gehirn gesteuert werden. Rose: "Wir nutzen dabei Elektroden, die nicht auf der Kopfhaut aufgeklebt, sondern direkt ins Gehirn implantiert werden." Ziel: Ein künstlicher Arm soll eine Kaffeetasse mittels Prothese zum Mund führen, nur weil der Patient daran denkt.
Dr. Norbert Elkmann (Fraunhofer) und Prof. Martin Skalej (Neuroradiologie) arbeiten an Verfahren zur bildgesteuerten thermischen Zerstörung von Tumoren an der Wirbelsäule. Dabei muss eine Elektrode in den erkrankten Wirbelkörper eingeführt werden. Entwickelt wird OP-Technik, welche mit Hilfe von Robotersystemen dem Arzt dabei höchste Präzision garantiert.
Prof. Oliver Speck (Biomedizinische Magnetresonanz) und Prof. Frank Wacker (Neuroradiologie) forschen an Elektroden, die bei der minimal-invasiven Zerstörung von Lebertumoren helfen. Auch diese Elektroden müssen präzise in den Erkrankungsherd herangeführt werden. Dazu muss der Patient aber während der Operation auch noch in einer MRT-Röhre liegen. Das heißt: Die Elektroden dürfen nicht magnetisch sein.
Solche und andere Werkzeuge zu entwickeln und dann hierzulande zu produzieren und nicht nur klinisches Testlabor für Großunternehmen aus dem Westen zu sein, ist das große Potential der Medizintechnik in Sachsen-Anhalt. Das ist auch dem Wirtschaftsministerium nicht verborgen geblieben. Ebenfalls im Herbst 2014 wurde deshalb ein Netzwerk - das "Cluster Gesundheitstechnik Sachsen-Anhalt" - ins Leben gerufen.
Mit knapp 500.000 Euro Fördermitteln wird die Vernetzung von insgesamt 32 Partnern unterstützt. Mit dabei sind neben öffentlichen Instituten und Forschungseinrichtungen Unternehmen wie "Hasomed" und "InnoMed" aus Magdeburg, EKF-diagnostic aus Barleben, Primed aus Halberstadt und Sonotec Ultrasensorik aus Halle, um einige Beispiele zu nennen. Viele dieser Firmen beschäftigen um hundert Mitarbeiter.
Wirtschaftsminister Hartmut Möllring (CDU) sieht in der Medizintechnik einen "absoluten Zukunftsmarkt, auf dem Firmen aus Sachsen-Anhalt künftig noch stärker mitmischen sollen". Der Schlüssel dafür sei die enge Vernetzung der zumeist kleinen Unternehmen untereinander und mit der Wissenschaft. Hier setze das vom Land geförderte Cluster an.