1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Der Streit ums Weltkulturerbe

Naumburg Der Streit ums Weltkulturerbe

Seit 17 Jahren kämpfen Naumburg und die Region um den Welterbe-Titel. In
diesem Jahr sollte es soweit sein. Doch das offizielle Gutachten für
die Unesco lässt kaum ein gutes Haar an der Bewerbung. Wie konnte es
dazu kommen?

Von Lion Grote 06.06.2015, 03:25

Naumburg l Es könnte alles so schön sein. Der Naumburger Dom, die Saale, die Unstrut und die vielen kleinen Kirchen und Adelssitze, die dem Burgenlandkreis ja immerhin seinen Namen geben. Und alles geadelt als Weltkulturerbe. Schön bleibt das alles weiterhin, nur die Sache mit dem Weltkulturerbe wird vermutlich vorerst nichts. Dabei ist der Titel der Bewerbung durchaus klangvoll: "Der Naumburger Dom und die hochmittelalterliche Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut".

Im Mai nun veröffentlichte der Internationale Rat für Denkmalschutz (Icomos) ein Gutachten zur Naumburger Welterbe-Bewerbung. Das Gutachten soll den Unesco-Mitgliedern helfen, über die Anerkennung als Weltkulturerbe zu entscheiden. Fazit: Nicht einzigartig, nicht authentisch, nicht welterbewürdig.

Tatsächlich nimmt das Gutachten die Bewerbung regelrecht auseinander. Schon der Begriff "Herrschaftslandschaft", der eine Art Motto der Bewerbung darstellt, ist aus Sicht von Icomos inhaltsleer: "Der Begriff wurde wissenschaftlich bisher nicht verwendet. Vermutlich, weil er nicht ausreichend markant ist. So gesehen gibt es eigentlich keine europäische Region, die sich nicht als `Herrschaftslandschaft` bezeichnen könnte." Das hat gesessen. Auch sonst ist das Gutachten wenig diplomatisch. Die mittelalterlichen Spuren seien entweder "kaum sichtbar", lägen "unter der Erde" oder sind wie im Falle von Schloss Goseck inzwischen "vollständig umgebaut". Die vielen Gebäude seien für sich genommen zwar ganz nett, aber bildeten "keine geschlossene Einheit". Die wenigen erhaltenen Spuren seien nicht "ausreichend wissenschaftlich belegt". Und überhaupt, das, was es rund um Naumburg gibt, gäbe es in Frankreich, Italien oder England ebenso. Schließlich sei auch der sogenannte Managementplan, in dem die Bewerber darlegen sollen, wie es in Zukunft weitergeht, das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt wurde: "Aus Sicht von Icomos scheint es kein Programm mit klaren Projekten und einem Budget für zukünftige Maßnahmen zu geben."

Das klingt nach einer großen Blamage für Sachsen-Anhalt. Dabei sollte das Land doch reichlich erfahren sein mit solchen Bewerbungen. Immerhin fünf wurden schon erfolgreich ins Ziel gebracht. Wäre es dann nicht besser, die Bewerbung zurückzuziehen? Ein ehrenhafter Abgang, statt peinlicher Wahlniederlage? Kommt gar nicht infrage, meint Götz Ulrich (CDU). Der Landrat des Burgenlandkreises ist auch Vorsitzender des Vereins "Welterbe an Saale und Unstrut" und damit einer der Chefs der Bewerbung. "Die Deutlichkeit des Gutachtens hat mich schon überrascht und das Ergebnis ist sicher enttäuschend", erzählt Ulrich. Die Idee aufzugeben aber sei ihm nie gekommen. Rückendeckung erhält Ulrich von Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD): "Der Antrag ist fundiert und wir werden ihn weiterhin unterstützen."

Stattdessen verweisen Land und Verein auf sachliche Fehler im Gutachten. So wird behauptet, dass Schloss Neuenburg in den vergangenen 25 Jahren "fast neugebaut" worden sei, mittelalterliche Spuren dadurch nicht mehr erkennbar seien. "Das ist einfach nicht richtig", ärgert sich Ulrich. "Der Kardinalsfehler" aber ist für ihn ein anderer: "In dem Gutachten wird zu stark auf den Bereich der Kulturlandschaft und Begrifflichkeiten eingegangen. Der Naumburger Dom, die vielen anderen mittelalterlichen Gebäude und ihre Beziehung zueinander werden kaum beachtet." Tatsächlich findet sich im Gutachten nicht allzu viel über den Dom, der ja eigentlich das Zentrum der Bewerbung bildet. Das, was zu finden ist, klingt immerhin ungewöhnlich positiv: "Der Naumburger Dom symbolisiert in außergewöhnlicher Weise die Macht der Kirche und die Ambitionen lokaler Machthaber sowie die Ausbreitung kirchlicher Baustile von West- nach Osteuropa."

Auch den Vorwurf der Planlosigkeit will Götz Ulrich nicht auf sich sitzen lassen: "Natürlich gibt es viele geplante Projekte für die Förderung und den Erhalt der möglichen Welterbestätten in der Zukunft. Die aber im Vorfeld in aller Ausführlichkeit darzulegen und deren Finanzierung zu sichern, halte ich für überzogen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das bei den vielen Bewerbungen weltweit anders läuft."

Und der Begriff "Herrschaftslandschaft"? Wie erklären die Antragsteller den? Minister Dorgerloh ärgert sich merklich über die Bewertung des Gutachtens: "Bei dem Begriff `Herrschaftslandschaft` hat der Welterbeverein nach einem plastischen Oberbegriff gesucht. Damit sollte ja keine neue wissenschaftliche Kategorie begründet werden." Es ist ein rauer Ton, der zwischen dem Land und Icomos herrscht. Denn den Vorwurf des Dilettantismus will sich niemand gefallen lassen. Immerhin haben an der Naumburger Bewerbung zahlreiche angesehene internationale Wissenschaftler mitgearbeitet, betont auch Dorgerloh.

Einer von denen ist Thomas Gunzelmann, einer der führenden Experten für Kulturlandschaften vom bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Er war bei der Begutachtung dabei und hatte damals schon ein mulmiges Gefühl. "Man kann den Gutachter ja ein bisschen einschätzen. Und ich habe da eigentlich schon mit einem negativen Ergebnis gerechnet."

Hatte Naumburg also einfach nur Pech, den falschen Gutachter bekommen zu haben? Für Naumburg verantwortlich war die Spanierin Ana Luengo, Präsidentin des Weltverbandes der Landschaftsarchitekten. Damit hat auch Gunzelmann Probleme. "Sie ist sicher eher eine Expertin für freie Landschaften, nicht für bebaute." Und auch Götz Ulrich vom Welterbeverein ist nicht glücklich mit der Gutachter-Wahl: "Ein Gutachter kann sich einfach nicht in jedem Gebiet auskennen. Die Gutachterin ist ja Landschaftsarchitektin und hatte vielleicht nicht die ausreichende Fachkenntnis, um alle historischen Gebäude und Kunstwerke richtig bewerten zu können." Ana Luengo war trotz mehrmaliger Anfragen nicht zu einem Gespräch mit der Volksstimme bereit.

Doch selbst von Icomos kommen Zweifel. "Die Gutachten sind sicher etwas subjektiv. Es ist nicht auszuschließen, dass ein anderer Gutachter zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre." Das sagt Berthold Burkhardt, Vorstandsmitglied des deutschen Icomos-Komitees. Ein derart negatives Gutachten hat auch Burkhardt noch nicht erlebt. Doch er versucht zu beruhigen. "Es ist für europäische und vor allem deutsche Bewerbungen immer schwerer akzeptiert zu werden, weil es hier schon so viel Welterbe gibt." Deutschland steht in der Statistik weltweit auf Platz sieben.

Und nun? Klar ist, dass sich die Bewerber der endgültigen Wahl im Juli stellen wollen. Eine Erwiderung auf das Gutachten wird derzeit vom Welterbeverein und dessen wissenschaftlichem Beirat erarbeitet. Die Empfehlung von Icomos ist, so deutlich sie auch ist, für die Unesco nicht bindend. Doch die Chancen für Naumburg und die Region, den Welterbetitel zu bekommen, sind sicher nicht gestiegen. "Im Idealfall gibt die Unesco den Antrag zur Überarbeitung zurück", sagt Experte Thomas Gunzelmann. Das wäre eine zweite Chance. Und eine Entscheidung, mit der vermutlich alle Beteiligten leben könnten.