Bildung und Kohle Claudia Dalbert: "Unsägliche Zustände"
Die Grünen wollen 2016 in die Regierung und für eine Einstellungsoffensive an den Schulen sorgen, sagt Fraktionschefin Dalbert.
Volksstimme: Linke und SPD sind offen für Rot-Rot-Grün. Und die Grünen?
Claudia Dalbert: Wir sind dafür sehr offen. Die Grünen sind eine linke Partei, daher wäre das eine gute Option. Wir stehen für eine sozialökologische Wende und würden in solch eine Konstellation zudem eine hohes Maß an Liberalität einbringen.
Erlebt Sachsen-Anhalt einen Regierungswechsel ?
Ich sehe gute Chancen. Allmählich entsteht eine Wechselstimmung. Das spüre ich bei meinen Reisen durchs Land. Viele Leute sagen: So kann es nicht weitergehen. Die Regierung hat abgewirtschaftet und ist mit Skandalen und Fehlentscheidungen belastet. Voran Ministerpräsident Haseloff durch IBG-Affäre und Fördermittelsumpf in Dessau. Innenminister Stahlknecht hat zu spät auf den Flüchtlingsstrom reagiert; Minister Webel lässt es zu, dass von acht Stellen zur Fördermittelüberprüfung nur eine halbe besetzt ist. Und Finanzminister Bullerjahn fährt mit seiner falschen Personalpolitik die Schulen an die Wand.
Was würden Sie in einer Regierung zuerst anpacken?
Die Schulen. Die verheerende Personalpolitik müssen wir dringend und sofort korrigieren. Wir werden schon ab September sehen, dass der Unterrichtsausfall dramatisch zunimmt. Das geht so nicht weiter. Wir brauchen deutlich mehr junge Lehrer, da in den nächsten Jahren viele Ältere ausscheiden.
Wie viele?
Jedes Jahr mindestens 800. Wir brauchen also in den nächsten zehn Jahren etwa 8000 bis 10 000 junge Lehrer. Da alle Länder Lehrer suchen, müssen wir den Nachwuchs selber ausbilden.
Wie wollen Sie das finanzieren? Notfalls auch mit neuen Krediten?
Das Volumen des Landeshaushalts steigt beständig. Es geht in allererster Linie um Prioritätensetzung und nicht um neue Schulden.
Reicht die Kapazität an der Uni Halle oder sollte auch Magdeburg wieder Lehrer ausbilden?
Das ist nicht einfach zu beantworten. Ich persönlich halte eine Konzentration in Halle für besser - wir werden sehen, ob das machbar ist. Wir brauchen aber auch mehr Beweglichkeit bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse.
Sollte sich das Land mehr für ausländische Lehrer öffnen?
Ganz klar: Ja. Das hilft, den Mangel zu bewältigen. Gerade für den Fremdsprachenunterricht und auch für den Deutschunterricht für Flüchtlingskinder brauchen wir auch ausländische Lehrer. Doch hier erlebe ich maximale Inflexibilität. Wenn etwa ein aus Frankreich kommender Lehrer selbst mit einem Masterabschluss keine Unterrichtserlaubnis vom Kultusministerium bekommt, dann sind das unsägliche Zustände. Dafür habe ich null Verständnis. Ein Master ist doch ein vollwertiger Abschluss. Sachsen-Anhalt sollte über jeden gut ausgebildeten Muttersprachler froh sein. Zudem müssen wir auch akzeptieren, dass in den meisten Ländern der Welt die Lehrer für ein Unterrichtsfach ausgebildet werden - und nicht verpflichtend für zwei Fächer wie in Deutschland. Wenn wir weiter stur auf unsere Vorgaben pochen und ausländische Pädagogen nochmal auf die Schulbank schicken, dann machen viele einen Bogen um unser Land.
Sie werben für Rot-Rot-Grün. Hätten die Grünen Probleme mit einem Ministerpräsidenten der Linken?
Ich persönlich nicht, da ich Herrn Gallert stets als verlässlichen Gesprächspartner erlebt habe. Richtig ist, dass bei Bündnis 90/Die Grünen viele Bürgerrechtler sind, die zu DDR-Zeiten gelitten haben und gegen die SED aufgestanden sind. Aber: Zum einen hat meine Partei ja hier schon einmal unter Tolerierung der PDS regiert. Und zum anderen hat sich die Linke in den letzten 25 Jahren stark verändert. In Sachsen-Anhalt erlebe ich sie als eine Partei, die sich sehr kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt.
Stünden Sie selbst für ein Ministeramt zur Verfügung?
Sicherlich.
Als Kultusministerin?
Wer was macht, wird am Schluss verhandelt. Erstmal geht es darum, ein gutes Ergebnis zu erzielen und in Koalitionsverhandlungen möglichst viele grüne Inhalte durchzusetzen.
Welches Wahlergebnis streben Sie an?
Mindestens das Ergebnis von 2011 - also 7,1 Prozent plus X.
Sie haben Schwarz-Grün nicht ausgeschlossen, obwohl die CDU auf die hiesige Braunkohle setzt.
Das wäre sicherlich einer der härtesten Knackpunkte. Aber die CDU ist eine demokratische Partei, daher schließe ich solch eine Option nicht aus.
Auch die Sozialdemokraten machen sich für den Erhalt der Braunkohle stark.
Das Thema Energie wird auch bei rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen eine harte Nuss. Die SPD ist ganz klar eine Kohlepartei. Aber ich denke, wir können eher mit ihr als mit der CDU einen Kompromiss finden.
Wir sind ja realistisch: Sachsen-Anhalt wird bis 2030 oder 2035 Braunkohle haben. Wir sind ein Rechtsstaat und können Tagebaue und Kraftwerke nicht einfach schließen. Wir wollen aber verhindern, dass neue Tagebaue eröffnet werden. Und wir wollen nicht, dass alte Kohlestinker ewig am Netz bleiben und Energieunternehmen sich mit den abgeschriebenen Kraftwerken eine goldene Nase verdienen.
Die SPD schaut auf die Arbeitsplätze. Sind diese den Grünen egal?
Natürlich nicht. Wir müssen uns daher heute schon einen Kopf machen, was wir Politiker tun können, damit die Betroffenen künftig Arbeit haben. Denn eines ist klar: Kohle hat keine Zukunft.
SPD und CDU wollen auch Energiesicherheit, die der Ökostrom aber noch nicht bietet.
Die Alternative heißt aber nicht Kohle. Die heißt Gas und Kraft-Wärme-Kopplung. Wir müssen die erneuerbaren Energien weiter ausbauen, wir brauchen viel mehr Schwung bei der Speichertechnik und bei intelligenten Netzen. Und: Wir müssen effizienter werden. Wir müssen unbedingt an die Häuser ran. Da lassen sich bei der Heizung bis zu 50 Prozent Energie sparen.