Streit um Kandidatenliste zur Landtagswahl / Staßfurterin fordert Parteichef zum Mandatsverzicht auf, um selber ins Parlament zu rücken Ärger bei der Linken: Parteigericht moniert Fehler zum Nachteil der Frauen
Magdeburg. Der Landeschef der Linken, Matthias Höhn, ist beim Streit um die Änderung der Kandidatenliste für die Landtagswahl mit einem blauen Auge davongekommen. Die Landesschiedskommission seiner Partei befand, dass die "Änderung des Landeswahlvorschlags zwar fehlerhaft gewesen" war, sein Verhalten aber "aufgrund der besonderen Fallstellung nicht zu beanstanden" sei. Nach Auffassung des Parteigerichts war das Gebot der Geschlechtergerechtigkeit nicht ausreichend beachtet worden.
Das Nachsehen hat eine Frau: Bianca Görke, 44, aus Staßfurt verpasste den Einzug in den Landtag um ein Haar. Sie forderte gestern Höhn auf, für seinen Fehler geradezustehen. "Er sollte sein Mandat zurückgeben." Dann könnte Görke ins Parlament nachrücken. Höhn denkt gar nicht daran. Mehr noch: Er bezeichnete Teile der Entscheidung des Parteigerichts als "Unfug". Er sagte gestern der Volksstimme: "Wir überlegen im Landesvorstand noch, ob wir Widerspruch bei der Bundesschiedskommission einlegen oder nicht."
Der Beschwerdeführer, der Aschersleber Linke-Chef Wolfgang Menzel, nannte Höhns Handeln "zutiefst verwerflich".
Worum ging es?
Die Bundessatzung der Linken bestimmt im Paragrafen 10 zur Geschlechterdemokratie: "Bei Wahlvorschlaglisten sind einer der beiden ersten Listenplätze und im Folgenden die ungeraden Listenplätze Frauen vorbehalten." Dies hielt die Linke Sachsen-Anhalts bei ihrer Listenwahl im November 2010 auch penibel ein. Doch Ende Januar zog eine Bewerberin (Rang 27) zurück. Auf dem nächsten Listenplatz stand Swen Knöchel, danach auf Rang 29 folgte Bianca Görke. Höhn meldete den Rückzug einer Bewerberin dem Landeswahlleiter am 28. Januar. Diese wurde auf der Liste gestrichen. Görke erfuhr davon Mitte Februar. Ihr Protest, dass doch eigentlich sie auf den Frauen-Rang 27 hätte kommen müssen, war nur noch formeller Natur. Denn an der Liste durfte nichts mehr geändert werden – die Frist war am 31. Januar abgelaufen.
Formal blieb der Rang 27 nun unbesetzt, danach folgten auf 28 ein Mann, auf 29 eine Frau und so weiter. Praktisch wirkte die Streichung aber anders: Würde das Wahlergebnis so ausfallen, dass die Liste bis Rang 27 "zöge" , würde nun Rang 28 – also der Mann – in den Landtag einrücken. Der Rang 28 wäre nun so viel wert wie der Rang 27 – es war so, als ob der Mann einen Rang nach oben und damit auf den für Frauen reservierten "ungeraden" Platz gerückt wäre. Es kam auch so. Die Linke erhielt zur Landtagswahl 23,7 Prozent – 27 Listenkandidaten bekamen ein Mandat. Da die Frauen-Rangnummer 27 gestrichen war, konnte Swen Knöchel (Rang 28) einziehen.
Das Parteigericht befand vorigen Freitag, dass dies nicht im Geiste der Bundessatzung sei. Die Schiedskommission schrieb: "Es ist festzustellen, dass nach dem Rücktritt der Bewerberin für den Listenplatz 27 aus den Gründen der Geschlechterdemokratie (§ 10 Abs. 5 Bundessatzung) auf diesen Listenplatz die Bewerberin für den Listenplatz 29 hätte gesetzt werden müssen, für den Listenplatz 29 die Bewerberin vom Listenplatz 31 und so fort." Die Landesschiedsleute räumten aber ein, dass eine ausdrückliche Regelung in der Satzung fehle – die Lücke aber durch Auslegung zu schließen sei.
Wäre die Liste so verändert worden, wie es das Parteigericht für richtig befand, wäre Bianca Görke in den Landtag gekommen.
Hat der Landesvorstand die Bundessatzung verletzt und Frauen benachteiligt? Höhn sagte: "Ich halte den Verweis der Landesschiedskommission auf die Bundessatzung für Unfug." Diese Regelung bezöge sich allein auf die Aufstellung der Liste – nicht aber darauf, wenn nach der Aufstellung ein Kandidat ausscheidet. "Als wir die Liste aufstellten, haben wir die Regel ja eingehalten." Wenn jemand ausfalle, bestehe seine Aufgabe darin, dies beim Landeswahlleiter anzuzeigen. "Das führt automatisch dazu, dass der Rest der Liste aufrückt." Aus seiner Sicht "nicht mehr als eine Formalie". Höhn meinte, die Frauen nach oben zu rücken, hätte bedeutet, die Reihenfolge zu ändern. "Das darf nur die Landesvertreterversammlung – nicht der Landesvorstand." Eine neue Listenwahl sei aber – aus Satzungsgründen – zeitlich nicht mehr machbar gewesen. Rückendeckung erhält er von Landtagskollegin Eva von Angern, Chefin des Landesfrauenrats.
Unzufrieden mit dem Schiedsspruch ist auch Beschwerdeführer Menzel. Da Höhns Verhalten nicht weiter beanstandet wurde, obwohl er "einen so schweren Fehler" gemacht habe, prüft er ebenfalls den Gang zum Bundesschiedsgericht. Er forderte den Landesvorstand auf, sich wenigstens für eine Klarstellung in der Bundessatzung einzusetzen.