Tierschützer beklagen, dass Ordnungsbehörden Vierbeiner oft zu Unrecht als "gefährlich" hinter Gitter bringen. Von Matthias Fricke Hundegesetz: Aktionismus bei "Bagatellfällen"
Gleich mehrere Tierschutzvereine kritisieren den Umgang mit dem seit drei Jahren in Kraft getretenen Hundegesetz. Vor allem bei den Beißvorfällen würden die Ämter ohne Augenmaß handeln und auf Bagatellfälle mit Aktionismus reagieren.
Magdeburg l In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren der Verein Bündnis für Tiere, der Magdeburger Tierschutzverein und der Landesverband der Partei Mensch Umwelt Tierschutz den Umgang der Ordnungsbehörden mit dem Hundegesetz des Landes. Tenor: Auch in Bagatellfällen werden bürokratisch und ohne Differenzierung Hunde als "gefährlich" eingestuft. Auf Hundebesitzer kommen dann immense Kosten hinzu, weil neben einem teuren Wesenstest auch Sachkundeprüfungen und weitere kostenintensive Unterlagen von den Behörden verlangt werden.
"Den oft durch den bürokratischen Aufwand überforderten Hundebesitzern wird nicht nur das Herz gebrochen, wenn der Hund letztlich eingezogen wird, auch die sozialisierten Tiere gehen zu Grunde", sagte Josef Fassl, Landesvorsitzender der Partei Mensch Umwelt Tierschutz.
"Hier wird oft ohne jeden Sachverstand vom Schreibtisch aus entschieden."
Auch die Magdeburger Tierärztin Dr. Heidi Ziobolka, eine von 24 Gutachtern für Wesenstests im Land, bestätigt: "Hier wird oft ohne jeden Sachverstand vom Schreibtisch aus entschieden. Im Gesetz heißt es, dass das Tier eine ,über das natürliche Maß hinausgehende Aggressivität\' zeigen muss, um als ,gefährlich\' eingestuft zu werden." Dies sei bei vielen Fällen aber gar nicht so. Überwiegend gibt es ein Fehlverhalten des Menschen, für das Halter und Hund mit unbilligender Härte bestraft werden. Bereits die rund tausend Euro Unkosten, die solch ein Verfahren nach sich zieht, bedeute für viele ein Ruin.
Ein Beispiel ist der dreijährigen Colli-Mix "Roger". Sein Besitzer Erhard Schlennstedt (68) hatte sich den Hund nach dem Tod seiner Frau angeschafft. Das Tier ist gut sozialisiert, was der Wesenstest später auch bestätigte.
Im August 2011 kam es in Magdeburg auf einer Hundeauslaufwiese zu einer Rangelei zwischen "Roger" und einem Chihuahua-Dackel-Mix. Zu diesem Zeitpunkt war Schlennstedts Sohn mit dem Vierbeiner Gassi. Infolge des Vierbeiner-Streits trug der Chihuahua-Dackelmix eine kleine Risswunde am Ohr davon. Die Behandlungskosten einschließlich Notdienstzuschlag und Umsatzsteuer in Höhe von 51,99 Euro stellte die Halterin des kleinen Hundes dem Besitzer von "Roger" in Rechnung. Diese bezahlte Erhard Schlennstedt auch.
Doch damit war die Sache nicht erledigt. Der Rentner bekam Post vom Ordnungsamt. Sein Hund wurde im November 2011 als "gefährlich" eingestuft.
Das vor drei Jahren verabschiedete "Gesetz zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren" sieht in diesem Fall vor, dass der Besitzer eine Sachkundeprüfung und einen Wesenstest mit seinem Tier ablegen muss. Letzterer wurde im April 2012 mit Erfolg abgelegt.
Allerdings stand noch eine Sachkundeprüfung aus. Diese sah der Senior allerdings als weniger wichtig an, denn er konnte mit dem Wesenstest nachweisen, dass "Roger" sozialisiert ist.
Doch diese Nachlässigkeit erwies sich als fataler Fehler: "Roger wurde mit richterlichem Durchsuchungsbeschluss beschlagnahmt und ins Tierheim gebracht." 16 Tage lang blieb er in einer einzelnen Zelle von seinem Herrchen getrennt, der Aufenthaltsort des Tieres blieb geheim. Erst zahlreiche Protestschreiben im Internet bewegten die Stadt Magdeburg zum Einlenken und gab den Hund unter dem Hinweis, "Formfehler" begangen zu haben, wieder frei. Das Tier kam erkrankt und verstört wieder nach Hause zurück. Ein tierärztliches Attest bestätigt dies.
Auf die Sachkundeprüfung besteht das Ordnungsamt auch weiter. Das Frauchen des betroffenen Dackelmix\' reagierte übrigens im Internet: "Nicht Roger ist das Problem, sondern der Sohn des Besitzers, der nie was macht, wenn der Hund über die Stränge schlägt. Es tut mir leid, dass er nun im Tierheim ist. Ich wollte nur, dass der Sohn einen Hundeführerschein macht."
"Es muss eine Sachkundeprüfung für jeden Ersthunde-halter geben."
Aber genau das sieht das Hundegesetz nicht vor und wird von Experten sowie Tierschützern gleichermaßen bemängelt. In der gemeinsamen Erklärung fordern sie deshalb: "Es muss eine Sachkundeprüfung für jeden Ersthundehalter geben. Außerdem sollte die Entstehung des Beißunfalls genauer analysiert werden. Erst wenn feststeht, dass der Hund sich über das normale Maß aggressiv verhalten hat, ist eine ,Gefährlichkeit\' festzustellen."
"Roger" ist kein Einzelfall. Erst vergangene Woche hat der Tierschutzverein nach einer ähnlichen Auseinandersetzung zwischen Behörden und Hund gerade noch rechtzeitig vermitteln können. "Die Menschen verstehen zum einen die Ämter nicht und zum anderen ist vielen die Konsequenz des Gesetzes nicht bekannt", erklärt die Vorsitzende des Magdeburger Tierschutzvereins von 1893, Gudrun Müller.
Erst durch ihre Hilfe ist es Hans-Jürgen Gerber (71) gelungen, seine "Katharina", eine Schäferhund-Mischung, aus der "Haft" der Behörde zu befreien. Der Vorfall war bereits im April 2009 und der angeleinte Hund des Rentners hatte einem kleinen Pinscher eine 15 Millimeter lange Risswunde in der Kniefalte zugefügt. Die Hundehalter waren sich mit ihren Vierbeinern auf einem matschigen Feldweg begegnet.
"Das laute ständige Kläffen schien Katharina aufzuregen, deshalb wollte ich schnell weitergehen. Aber da ruckte sie an und ich habe einen kurzen Kontakt zwischen den Tieren nicht verhindern können", erklärt der Rentner. Er erhielt vom Halter eine Rechnung über die Tierarztkosten, die er auch beglich.
Die folgenden Schreiben des Ordnungsamtes ignorierte Hans-Jürgen Gerber, weil er sie nicht so recht verstand und ihm auch die Konsequenzen nicht bewusst waren. Erst als der Hund vom Ordnungsamt abgeholt wurde, suchte der Senior Hilfe beim Tierschutzverein. Dieser habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass der Hund schnell den Wesenstest ablegen kann. Diesen bestand "Katharina". Für die Sachkundeprüfung musste der 71-Jährige nach Halle fahren. Nach sechs Wochen und rund tausend Euro an Ausgaben erhielt der Mann seinen Hund zurück.
"Das Gesetz wird 2014 novelliert und dann kommt alles auf den Prüfstand."
Innenministeriumssprecherin Anke Reppin sagte zu den Vorwürfen: "Das Gesetz wird 2014 novelliert und dann kommt alles auf den Prüfstand. Ansonsten ist es bereits dann gerechtfertigt, wenn es möglich erscheint, dass der Hund zukünftig ein schädigendes Verhalten zeigt."
Im Land gab es seit Inkrafttreten des Gesetzes 1266 Wesenstests, nur 34 wurden nicht bestanden. Tierärztin Heidi Zibolka: "Das zeigt, dass Beißvorfälle selten etwas mit Aggression zu tun haben." Meist sei es das Fehlverhalten der Menschen.