Im Jalloh-Prozess fordert die Verteidigung des angeklagten Revierleiters Freispruch / Morgen wird nach zwei Jahren Prozessdauer das Urteil erwartet Nebenklage: Gericht ist bei der halben Beweisaufnahme steckengeblieben
Magdeburg l Fast sieben Jahre nach dem Tod des afrikanischen Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle neigt sich das zweite Verfahren in der Sache dem Ende entgegen. Das Urteil am Magdeburger Landgericht ist für den morgigen Donnerstag angekündigt. Gestern plädierten Verteidigung und Nebenklage.
Oury Jalloh, ein Asylbewerber aus Sierra Leone, war am 7. Januar 2005 in Gewahrsam genommen worden, weil er in Verdacht stand, Frauen auf der Straße belästigt zu haben. Ein Vorwurf, der sich später als unbegründet erwiesen hatte. Der betrunkene Mann wehrte sich gegen seine Festnahme und wurde daraufhin in einer Arrestzelle im Revier auf einer Liege festgebunden. Die Matratze, auf der er lag, ging später in Flammen auf. Der Brand im Arrestbereich im Keller des Polizeireviers wurde zu spät bemerkt. Der Afrikaner verbrannte.
Dem diensthabenden Revierleiter, Andreas Sch. wird vorgeworfen, seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben. Verteidiger Attila Teuchtler widersprach gestern: "Der Angeklagte war an dem Vorgang nicht direkt beteiligt. Er war zunächst bei der Frühberatung des Revierleiters und hatte später keinen Grund, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verhaftung zu haben." Die Verhaftung selbst sei rechtmäßig gewesen, weil die Beamten von einer sexuellen Belästigung ausgegangen waren. Selbst wenn das im Nachhinein ein Irrtum war, sei das Eingreifen der Beamten rechtmäßig gewesen.
Jalloh sei später im Revier in Schutzhaft genommen worden, weil er sich selbst geschädigt habe. Teuchtler: "Er hat schon im Polizeiwagen mit dem Kopf gegen die Scheibe geschlagen. Dies hat sich im Revier fortgesetzt." Der Verteidiger geht davon aus, dass Jalloh seine Matratze selbst in Brand gesteckt hat, um Aufmerksamkeit zu erregen. Teuchtler zitierte Gutachter, die von einem Tod in nur wenigen Sekunden ausgehen. "Hilfe durch den Angeklagten war somit nicht möglich." Der Vorfall sei ein Unglücksfall gewesen, eine Verkettung von unglücklichen Umständen. Der Verteidiger rief das Gericht dazu auf, das Verfahren nach zwei Jahren zu beenden. Der Angeklagte sei inzwischen schwer erkrankt. Der Verteidiger forderte Freispruch.
Die Nebenklage hält den Polizisten hingegen der Körperverletzung mit Todesfolge und Freiheitsberaubung für schuldig. Ein Strafmaß wurde gestern aber nicht gefordert. Beide Nebenklage-Anwälte weisen auf mehrere ungeklärte Umstände hin, die das Gericht aus ihrer Sicht nicht ausreichend würdigte. Das Gericht habe sich zu früh darauf festgelegt, dass Jalloh den Brand selbst gelegt habe. Rechtsanwalt Philipp Napp: "Die Kammer ist bei der Beweisaufnahme auf halben Weg steckengeblieben."
So hätte noch untersucht werden müssen, ob es DNA-Spuren an dem Feuerzeug durch Anhaftung an der Brandleiche gegeben habe. Hintergrund ist: Die Nebenklage hält für möglich, dass das Feuerzeug erst nachträglich im Brandschutt abgelegt wurde, um zu vertuschen, dass der Brand von Dritten gelegt wurde. Zum Auffinden des Feuerzeuges gibt es gegensätzliche Zeugenaussagen.
Napp nannte Beispiele, die auf eine absichtliche Vernichtung von Beweismitteln schließen lassen. So seien Teile der Brandrückstände im Müll entsorgt worden. "Die Videoaufzeichnungen der Beweisaufnahme brechen in dem Moment ab, als die Leiche umgedreht wurde. Genau in diesem Moment hätte das Feuerzeug zu sehen sein müssen, wenn es da gelegen hätte", so der Anwalt.
Der Angeklagte war in einem ersten Verfahren 2008 am Landgericht Dessau freigesprochen worden. Der Bundesgerichtshof hatte das Urteil aufgehoben. Seit Januar 2011 steht er in Magdeburg vor Gericht. In seinem Schlusswort sagte Andreas Sch. gestern: "Ich bedaure noch immer zutiefst, dass ich Jalloh nicht retten konnte."