Magdeburg l Mathias Fangohr führt eine ganz normale Beziehung. "Mein Mann und ich haben an der Berliner Chaussee ein Haus gekauft." Im Haus wohnt seit einigen Wochen ein dritter Mann: russischer Flüchtling, 25 Jahre jung. Das ist alles andere als ein Normalfall.
Der Mann aus Sibirien ist wegen schwulenfeindlicher Übergriffe nach Deutschland geflohen. Im Flüchtlingsheim in Magdeburg sieht er sich erneut Angriffen ausgesetzt. Er flieht aus dem Heim. Ein Berliner Verein, der sich um homosexuelle Flüchtlinge kümmert, sendet via Facebook ein Hilfeersuchen nach Magdeburg. Es erreicht die schwul-lesbische Gemeinde. Fangohr und sein Partner gewähren umgehend das mögliche Höchstmaß an Hilfe.
Sie erwirken mit Vereinsunterstützung und psychologischem Gutachten das Recht, den Mann bei sich zu Hause aufnehmen zu dürfen. "Und hier wird er bis zum Abschluss seines Asylverfahrens bleiben", sagt Fangohr entschlossen und erzählt von den Nöten des Russen. Er traut sich nicht in die Straßenbahn. Er traut sich nicht in Deutschkurse. Er hat Angst, seine Peiniger aus dem Heim zu treffen.
Die Geschichte macht klar, was einem Schwulen irgendwo auf der Welt, aber auch vor unserer Haustür widerfahren kann und wie ernst es einem wie Mathias Fangohr ist, das zu ändern. Fangohr selbst hat so schlimme Erfahrungen nicht sammeln müssen, aber er hört regelmäßig von Anfeindungen, auch von Übergriffen. "Schulhöfe sind zum Beispiel ein großes Thema."
Angst vor Ausgrenzung hat auch Fangohr, als er schon mit 14, 15 Jahren merkt, dass er homosexuell ist. "Ich bin in einem Dorf in der Altmark aufgewachsen und habe mich nicht getraut, mit jemandem darüber zu sprechen." Der 17-jährige Mathias verlässt das Elternhaus auch aus diesem Grund jung und tritt eine Lehre zum Restaurantfachmann in Gifhorn an.
Der Befreiungsschlag gelingt. Als er seinen Eltern mit 18 den ersten Freund vorstellt, fällt die Reaktion positiver als erwartet aus. "Mein Vater hat mir erst später gesagt, dass er damals doch ein Problem damit hatte." Das ist Geschichte, zumal sich der Sohn prächtig entwickelt.
Fangohr holt das Abi nach, finanziert ein Studium zum Diplom-Sozialpädagogen mit Nebenjobs in der Gastronomie - in Magdeburg und bei sechs Auslandssemestern im norwegischen Bergen. Dort vergleicht er das norwegische mit dem deutschen Sozialsystem, leitet nebenher im Grand Hotel das Bankett, lernt Norwegisch, stellt fest, dass das Schwulsein in Norwegen nicht besonders, sondern rundweg akzeptiert ist und beschließt sein Studium in Magdeburg schließlich mit Bestnote. Heute arbeitet Fangohr als Referent der grünen Landtagsabgeordneten Dorothea Frederking. Die Grünen entdeckt er schon als Jugendlicher in Braunschweig als politische Heimat. "Wir sind mit Volker Beck durch die Straßen gezogen und haben für die Öffnung der Ehe demonstriert."
Was Fangohr gelernt hat, ehe er 2011 wieder in Magdeburg anlandet, ist der offensive Umgang mit seiner Homosexualität. Fangohr ist keiner, der seine Neigung in Lack und Leder zu Markte trägt. Er stellt sich, wie die meisten seiner ehrenamtlichen Mitstreiter im Lesben- und Schwulenverband und im CSD Magdeburg e.V., ohne Verkleidung, dafür mit offenem Visier an die Spitze der Bewegung weil er überzeugt ist, dass es noch viel zu bewegen gilt.
"Es ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen"
Fangohr kann nicht fassen, welche Debatten zu Zeiten seiner Heimkehr aus Norwegen nach Magdeburg anno 2011 ums Rathaus toben. Bereits seit einem Jahrzehnt richten dazumal Lesben und Schwule in Magdeburg einmal im Jahr den Christopher Street Day als Fest auf eine weltoffene und tolerante Stadt aus. Dem Oberbürgermeister ist die Party zu schrill. Er lehnt das Angebot zur Schirmherrschaft Jahr für Jahr und schließlich generell ab. Die Regenbogenfahne, das Symbol der Homosexuellenbewegung weltweit, darf nicht am Rathaus wehen - bis 2011. Eine öffentliche Debatte löst Veränderung aus. Der CSD wächst - aus seiner Nische in der Liebig- zunächst in die Hegelstraße und 2014 auf den Alten Markt. Die Regenbogenfahne weht am Rathaus. CDU-Mann Wigbert Schwenke setzt ein Achtungszeichen, als er in diesem Jahr die CSD-Schirmherrschaft übernimmt. Die Feier auf dem Marktplatz zählt über 2000 Gäste, nicht nur Homosexuelle. "Wir sind aus der Nische raus", strahlt Fangohr.
Die Vorbereitungen für den CSD 2015 haben begonnen. Die Aktivisten organisieren ihn und zahllose weitere Veranstaltungen im Ehrenamt. "Der CSD-Verein hat in Magdeburg 80 Mitglieder. Die Nominierung zum ,Magdeburger des Jahres` verstehe ich als große Ehre für alle. Und wir alle freuen uns darüber sehr."