Hordorf-Unglück Zehn tödliche Sekunden
Heute vor fünf Jahren stieß bei Hordorf ein HEX-Regionalzug mit einem Güterzug zusammen. Es gab zehn Tote und 22 Verletzte.
Oschersleben l Zehn Sekunden waren es, die über Leben und Tod entschieden. Zehn Fahrsekunden hätte der HEX-Personenzug eher kommen müssen, um die 300 Meter entfernte rettende Weiche zu erreichen, an der die Strecke zweigleisig wird. Zehn Sekunden, die zehn Menschen aus dem Leben rissen.
Heute vor fünf Jahren, am späten Abend des 29. Januar 2011, übersah Titus S., Lokführer eines aus Salzgitter kommenden Güterzuges, im dichten Nebel auf eingleisiger Strecke zwischen Halberstadt und Oschersleben zwei Haltesignale und prallte nahezu ungebremst auf einen HEX-Personenzug, den er eigentlich passieren lassen sollte. Durch den Aufprall, der noch im sieben Kilometer entfernten Oschersleben zu hören war, starben der Triebfahrzeugführer und die Zugbegleiterin des HEX sowie acht der etwa 50 Reisenden. 22 weitere Menschen wurden zum Teil lebensbedrohlich verletzt. Der Güterzug-Lokführer wurde nur leicht verletzt.
Den Anwohnern aus Hordorf, die kurz nach der Katastrophe zur Unglücksstelle geeilt waren, um Hilfe zu leisten, bot sich ein Bild der Verwüstung. Der zweigliedrige HEX-Triebwagen war durch den Zusammenprall mit den zwei Güterzug-Lokomotiven völlig zerstört und von den Schienen geworfen worden. Schwer beschädigt war auch die vordere Lok des Güterzuges der Firma VPS (Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter). Dieser sollte rund 1400 Tonnen Kalk aus Rübeland ins Stahlwerk Salzgitter bringen und war insgesamt 2700 Tonnen schwer.
Bereits kurze Zeit nach dem Unglück begannen Rettungskräfte, Feuerwehren und Technisches Hilfswerk bei eisiger Kälte und dichtem Nebel mit der Bergung der Verletzten und Toten, von denen zunächst zwei identifiziert werden konnten. Kriminalpolizei und Fachleute des Eisenbahnbundesamtes starteten ihre Untersuchungen. Schnell war klar: Der Zusammenstoß ereignete sich an einer sogenannten Überleitstelle. Dort verengt sich die zweigleisige Strecke auf ein Gleis. Der Unglücksabschnitt ist normalerweise übersichtlich und anspruchslos – allerdings herrschte zum Unglückszeitpunkt dichter Nebel. Sicherheitstechnik, die das Unglück hätte verhindern können, war auf der Strecke zu diesem Zeitpunkt noch nicht installiert.
Der Lokführer des Güterzuges, Titus S., wurde im November 2012 vom Landgericht Magdeburg wegen fahrlässiger Tötung in zehn Fällen und fahrlässiger Körperverletzung in 22 Fällen zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Das Gericht folgte damit den Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Gerüchte, S. habe sich vor dem Unfall auf der hinteren der beiden Loks aufgehalten, zerstreuten sich im Prozessverlauf ebenso wie Hinweise, er sei durch ein Telefonat mit dem Handy abgelenkt gewesen. Wohl aber hatte Titus S. die beiden Halte-Signale übersehen. Einen Antrag auf Schmerzensgeld lehnte das Gericht ab, die Prozesskosten seien Belastung genug. Zwei Nebenkläger legten Revision ein, die der Bundesgerichtshof im August 2013 abwies.
Norbert Kurzel ist damals wie heute Ortsbürgermeister von Hordorf. Er selbst sei erst später zum Unfallort gelangt, der Anblick der zu dieser Zeit bereits aufgebahrten Toten habe sich aber in sein Gedächtnis eingebrannt. Die Frage, wie das Dorf heute mit dem Unglück umgeht, lässt sich aus seiner Sicht nicht so einfach beantworten. „Ein Großteil der Bevölkerung betrachtet die Sache sicher mit einem größerem Abstand, da sie nicht unmittelbar betroffen waren. Anders verhält es sich sicher mit jenen, die damals im Einsatz waren und geholfen haben“, sagt der Landwirt.
Die Hordorfer Feuerwehrleute, damals mit die ersten am zerstörten HEX, blicken nach vorne. Die Hordorfer Wehr sei gestärkt aus den Ereignissen vor fünf Jahren hervorgegangen, sagt Wehrleiter Andy Graeger, der auch damals im Einsatz war. „Niemand hat bei uns den Kopf in den Sand gesteckt oder gar den Dienst quittiert.“ Im Gegenteil, die Wehr sei gewachsen, sagt Graeger.
Eine offizielle Gedenkfeier gibt es heute nicht. Vertreter von HEX und Hordorfer Feuerwehr wollen jedoch heute 15.30 Uhr am Gedenkstein einen Kranz niederlegen.