Claudia Dalbert Gegen die Brandung aus Hass
Vor einem Jahr wären die Grünen locker in den Landtag gesegelt. Der Aufstieg der AfD wirbelt nun alles durcheinander.
Halle l Nein, in diesem gotischen Gewölbe hat Rassismus keine Chance. Am niedrigen Kneipentisch sitzen ein Einwanderer aus Burkina Faso, ein syrischer Doktorand, eine blonde Flüchtlings-Aktivistin und der aus Pakistan stammende Grünen-Chef von Halle, nur wenig Licht dringt in die holzgetäfelte Gaststube. Die „Goldene Rose“, Halles ältestes Gasthaus, ist ein Zentrum der Willkommenskultur: montags Flüchtlingstreff, mittwochs afrikanische Trommelgruppe, alles multikulturell und weltoffen. Heimspiel für Claudia Dalbert, die auf ihrer Wahlkampftour für eine Stunde Stopp macht und Grünen-Chef Cem Özdemir mitbringt.
Mehr als 200 Hallenser kamen zusammen, als die Flüchtlingshelfer zum ersten Planungstreffen aufriefen, erzählt einer am Tisch. Menschen schleppten Kisten mit ausrangierter Kleidung an. Das sind die Geschichten, die Dalbert in diesen Tagen Hoffnung machen. Die Wahlkämpferin nickt den Helfern aufmunternd zu: „Die Hetze ist so dominant, aber wenn man in die Gesellschaft reinguckt, sieht es ganz anders aus“, sagt sie. „Viele warten nur darauf, dass sie anderen helfen können.“
Viele warten aber auch nur darauf, die Fremden einzuschüchtern. Nach einer Anti-Asyl-Demonstration durchschlug ein Stein das Fenster der Alternativ-Kneipe, seither bezieht die Polizei jeden Montag Posten vor der Tür. Das Loch ist noch immer sichtbar. Sachsen-Anhalt, sagt Dalbert, steht vor einer Richtungsentscheidung: Abschottung oder Weltoffenheit treten gegeneinander an.
Dies ist die letzte große Botschaft, die die Grünen vor dem Wahltag aussenden wollen. „Grün wählen gegen Hass“ steht auf dem Großplakat, das Dalbert in Magdeburg gemeinsam mit Özdemir enthüllt hat. Es ist die Botschaft, die die Grünen erneut in den Landtag bringen soll. Ob es klappt, weiß niemand: Die Umfragen sehen die Öko-Partei gefährlich nahe der Fünf-Prozent-Hürde.
Noch im vergangenen Sommer war das nicht abzusehen. Im März 2015 hatte Dalbert angekündigt, dass sie erneut Spitzenkandidatin werden möchte. In jenen Tagen läuft es gut für die Grünen. Ihr Kampf für Tierschutz findet Anklang, viele Verbraucher sind angewidert von den Praktiken der Fleischindustrie. Auf einmal schalten sich sogar die Behörden ein, der Schweinebaron Adrianus Straathof bekommt ein Zuchtverbot. Die Grünen sind hoffnungsfroh. „Allmählich entsteht eine Wechselstimmung“, frohlockt Dalbert im August.
Eine Acht oder Neun vor dem Komma gibt sie im September als Ziel aus. Da hat sich längst ein anderes Thema ganz nach vorn geschoben: der Umgang mit den Flüchtlingen. Und es sind nicht die freundlichen Helfer von Halle und anderswo, die den Ton bestimmen. Es wird eng.
Seit zwei Wochen tourt Dalbert jetzt durch Sachsen-Anhalt, besucht Podiumsdiskussionen, Wahlkampfstände, Gesprächsrunden mit möglichen Wählern. Wo ist die Wechselstimmung vom vergangenen Sommer? „Die ist immer noch da“, sagt Dalbert unbeirrt, „aber sie wird von der AfD eingesammelt.“ Es gebe eine massive Unzufriedenheit mit der Landespolitik: Unterrichtsausfall, fehlende Polizisten, Fördermittel-Filz, Abwassergebühren. Der CDU freilich hat das bislang nicht geschadet. Dalbert hat keine Erklärung dafür.
Profiteure sind die Rechtspopulisten, die aus dem Stand zweitstärkste Fraktion werden könnten. „Die AfD wandelt die Unzufriedenheit um in Hass gegen ‚die da oben‘. Da werden auch wir Oppositionsparteien mitverhaftet, auch wenn wir etwas ganz anderes wollen als die Landesregierung.“ Offene Pöbeleien am Wahlkampfstand erlebt Dalbert selten. Die Wut-Bürger weisen Info-Material und Argumente mit einer genervten Geste zurück und gehen weiter. Im Netz aber wird gehetzt. Gegen die angebliche Kinderschänder-Partei, gegen „linksgrüne Ideologen“, die Deutschland abschaffen wollen. „Das ist ein unheimlicher Dreck“, sagt Dalbert, „das gab’s vor fünf Jahren noch nicht.“
2011 führt die Psychologieprofessorin aus Halle die Grünen zum ersten Mal in den Wahlkampf. Seit der verheerenden Niederlage 1998 hatte die Partei den Landtag nur noch von außen beobachtet. Mit der Spitzenkandidatin Dalbert gelingt der Wiedereinzug. Neun Abgeordnete verschaffen der Partei wieder ein parlamentarisches Kraftzentrum. Und für eine Oppositionspartei habe man einiges erreicht, findet Dalbert: Über die Schullaufbahn ihrer Kinder entscheiden wieder die Eltern, Ferkel dürfen nicht mehr grundlos getötet werden, es gibt ein Landeskonzept zur Artenvielfalt.
Vor allem zu Beginn ihrer Amtszeit ist die Fraktionschefin nicht unumstritten. Die grüne Basis fühlt sich nicht eingebunden, klagt über die Abgeordneten im fernen Magdeburg. Als Dalbert ankündigt, einer Diätenerhöhung zuzustimmen, rebellieren wichtige Kreisvorsitzende. Die Fraktion komme bedeutungsschwanger daher, „hat aber den Bezug zur Basis verloren“, schimpft 2012 der damalige Harzer Kreisvorsitzende Ulrich-Karl Engel.
„Das ist am Anfang nicht optimal gelaufen, weil wir damit beschäftigt waren, uns selbst zu organisieren“, räumt Dalbert heute ein. Mittlerweile gebe es durch Regionalkonferenzen einen engen Kontakt zwischen Mitgliedern und Abgeordneten. Und dennoch: Als die Grünen im September 2015 ihre Spitzenkandidatin nominieren, jubeln die Mitglieder Dalbert zu – und kühlen dann bei der geheimen Wahl ihr Mütchen. Als die Stimmen ausgezählt sind, hat die einzige Kandidatin nur 63 Prozent der Stimmen bekommen. Die Partei sieht offenbar keine Alternative zu Dalbert – wirklich überzeugt aber ist sie nicht. Von „individuellen Entscheidungen“ spricht die Düpierte und räumt ein: „Das ist natürlich kein Ergebnis, das ich schön finde.“
Dennoch: Jetzt kämpft sie, und nach der Wahl will sie ihre politische Karriere mit einem Ministeramt krönen. Ihr Ziel: Die CDU verliert die Macht, eine rot-rot-grüne Koalition übernimmt. Allerdings: Eine Koalition mit der CDU oder sogar mit CDU und SPD gemeinsam schließt Dalbert auch nicht aus. Voraussetzung: „Da muss Grün drin sein. Wir brauchen grüne Projekte, die fünf Jahre tragen.“ Zweite Voraussetzung für jede Koalition sind zwei Ministerposten. Zum einen, natürlich, das Umwelt- und Agrarministerium. Zweitens das Kultusministerium, der Herzenswunsch von Dalbert.
Das würde passen. In der Schulpolitik ist sie sattelfest wie kaum ein anderer. Die anderen Themen hat sie sich erst im Landtag erarbeitet. Mit enormem Ehrgeiz und großem Arbeitspensum, wie sich eine langjährige Grünen-Mitarbeiterin erinnert. Und mit einem Hang zum Perfektionismus. „Sie versucht, alles bis ins Letzte zu kontrollieren und verlässt sich vor allem auf sich selbst. Das ist wohl ihre Art als Professorin.“ Christoph Erdmenger, zeitweise Dalberts Vize in der Fraktion und heute Ministerialer im grün-rot regierten Stuttgart, erinnert sich an eine strukturierte und systematische Arbeiterin. „Wenn sie etwas macht, macht sie es richtig.“ Dass es längere Zeit keinen Fraktionsvize gab, sagt auch etwas über die Frau an der Spitze aus. „Ein Vakuum, das man hätte füllen müssen, gab es sicher nicht“, sagt Erdmenger.
Unseburg im Salzlandkreis, das Anglerheim am Ufer der Kamplake. Zwei präparierte Hechtköpfe reißen ihre zähnestarrenden Mäuler auf, an den Wänden hängen historische Angelruten. Sportfischer der Region haben die grüne Spitzenkandidatin eingeladen, weil sie sich Sorgen machen. Um ihre Fische natürlich: Die Landesregierung lässt an der Bode Wehre bauen, aus Anglersicht ein feindseliger Akt. „Das Wehr Rothenförde haben die ganz heimlich genehmigt, ohne Planfeststellung. Die Fischtreppe ist ein Witz, die müsste doppelt so groß sein, damit die Fische das schaffen“, schimpft Heimo Reilein vom Angelverein Oschersleben.
Die Grünen-Politikerin aus der Großstadt, vorgefahren im BMW-Geländewagen mit Hybridantrieb, braucht nicht viel, um bei einer Tasse Filterkaffee die Männer hinter sich zu bringen. Die Landesregierung torpediere ja auch die Ausweisung von FFH-Schutzgebieten, legt Dalbert nach, „die haben einfach kein Interesse am Naturschutz, denken sie mal an die Gewässerrandstreifen“. Die Angler nicken, sie haben den Bauern vor Augen, der mit der Giftspritze gern noch über seinen eigenen Acker hinaussprüht.
Sportfischer und Grüne sind nicht unbedingt natürliche Verbündete. Wenn die Angler mal wieder „dem armen Kormoran ans Leder wollen“, sagt Dalbert, „dann trennen sich unsere Wege“. Beim Gewässerschutz aber sind sie sich einig. Um endlich etwas zu erreichen, müssten die Grünen das Umweltressort führen, wirbt Dalbert. „Ja, da muss mal eine Veränderung rein“, sagt Reilein. Besser kann der Termin für Dalbert nicht laufen.
Nicht immer gelingt es der Politikerin, Menschen zu umwerben. Im Landtag gibt sie der Regierung unerbittlich Kontra, oft mit schneidender Stimme. Der CDU-Schulpolitiker Hardy Peter Güssau beschwert sich dann gern mal über die Lautstärke: „Wenn Sie uns weiter so anschreien, bekommen Sie keine Empfehlung für die nächste Legislaturperiode.“
Geht es gegen die Rechtspopulisten von der AfD, greift Dalbert zu den schärfstmöglichen Vokabeln. „Eine mehr als rechtsradikale Partei“, findet sie, „eigentlich neue Nazis, wenn man sich ansieht, was der Höcke predigt.“
Im Dämmerlicht der halleschen Szenekneipe „Goldene Rose“ fragt Dalbert die Flüchtlinge am Ende, was die Politik für die Integration tun kann. „Eine Verwaltung mit Sprachkenntnissen“, wünscht sich Noël Kabaré, der Mann aus Burkina Faso – „aber da kann man wahrscheinlich nichts machen.“
Das will Dalbert so nicht stehen lassen. Die Wähler bekämen das, was sie wählten, sagt sie. „Und man darf sich vom Hass nicht unterkriegen lassen.“
Ein Dossier zur Landtagswahl finden Sie unter www.volksstimme.de/ltwlsa