Kenia-Koalition CDU, SPD, Grüne: Bei vielen Themen kracht es
Schwarz-Rot-Grün: Das ist das Ziel von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Doch da müssen alle bis an ihre Grenzen gehen.
Magdeburg l Eines ist klar: Ohne große Zugeständnisse werden sich Sozialdemokraten und Grüne von der CDU nicht in eine Regierung locken lassen. Ministerpräsident Haseloff wird zu einem Spagat ansetzen müssen: Einerseits sollen SPD und Grüne ihren Mitgliedern Erfolge verkaufen, damit ein schwarz-rot-grüner Koalitionsvertrag abgesegnet wird; gleichzeitig muss der Regierungschef aufpassen, dass die eigene Partei nicht auf die Barrikaden geht. Denn die Christdemokraten werden sehr genau hinschauen, wie viel Spielraum Haseloff den beiden Partnern eröffnet.
In der neuen CDU-Fraktion wird schon mal vorsorglich vor zu vielen Kompromissen gewarnt. Der Partei steckt noch das Jahr 2011 in den Knochen: Ganztagsanspruch in der Kita für alle Kinder, Gemeinschaftsschulen, Vergabegesetz - Haseloff hatte alle Lieblingsprojekte des Koalitionspartners SPD unterschrieben. Das soll diesmal anders werden.
Mit dem dritten Partner Grüne wird das nicht einfacher. Haseloffs Union wird bei einigen Knackpunkten weit nach links rücken müssen, damit sich die Umweltpartei überhaupt auf eine Koalition einlässt. Viele konservative Wähler dürfte das noch mehr verschrecken. Profitieren von diesem „Linksruck“ könnte die AfD.
Eine Übersicht über die Knackpunkte der Koalitionsverhandlungen:
Integration: Weit auseinander gehen die Ansichten beim Thema Obergrenze für Flüchtlinge. Haseloff hat sich als erster Ministerpräsident eines Bundeslandes für ein Limit ausgesprochen: Er hält maximal 12 000 Menschen im Jahr für gut integrierbar – ein noch höherer Zuzug sei in Sachsen-Anhalt nicht gut leistbar. Die Grünen widersprechen heftig. Bei der SPD ist die Stimmung geteilt: Landespolitiker lehnen Begrenzungsdebatten ab, Kommunalpolitiker stützen eher Haseloffs Linie. Diskrepanzen gibt es auch beim Verteilungsprinzip: Der Bund will, dass Flüchtlinge in zugewiesenen Region bleiben, um Ghettos in deutschen Großstädte zu verhindern. Die SPD stützt das. Die CDU lehnt das ab, sie fürchtet einen erheblichen Zuwachs an Hartz-IV-Empfängern in Sachsen-Anhalt. Einig sind sich alle drei Parteien, dass der Bund sich stärker an den Integrationskosten beteiligen muss.
Schule: Hier wird es heftig krachen. Die CDU will das Gymnasium zu einer Schule der Besten umbauen, wo die Leistungsstärksten lernen sollen. Deshalb sollen künftig Lehrer und Tests viel stärker als jetzt darüber entscheiden, wer aufs Gymnasium kommt und wer nicht. Kinder, die ohnehin eine Berufsausbildung ohne Studium anstreben, sollen auf die Sekundarschule. SPD und Grüne wollen aber, dass möglichst viele Kinder die Chance auf Abitur und Studium haben. Weiterhin sollen allein die Eltern entscheiden. Rot und Grün lehnt ein zu strenges Aussieben schon nach der vierten Klasse ab. Die CDU will zudem alle Sekundar-, Gesamt- und Gemeinschaftsschulen zur „Oberschule“ umbenennen. Die Gemeinschaftsschule ist aber das Lieblingskind von SPD und Grünen, die solch eine Um-etikettierung als verwässernd ablehnen dürften. Rot-Grün setzt zudem auf mehr Ganztagsschulen.
Finanzen: Alle drei Parteien wollen mehr Lehrer, mehr Polizisten und mehr Geld für die Kommunen. Doch in den nächsten Jahren klafft in der Landeskasse noch ein Loch in dreistelliger Millionenhöhe. Alle sind sich einig: Neue Schulden soll es nicht geben. Die CDU- und SPD-Finanzer werden darauf achten, dass die Vorsorge nicht vollends ruiniert und der Pensionsfonds weiter bedient wird. Denkbar wäre, die Tilgung der alten Kredite für ein paar Jahre auszusetzen, um dafür den Städten, Gemeinden und Landkreisen mehr Geld zu geben. Denn es nützt wenig, Landesschulden zu tilgen, während sich die Kassenkredite der Kommunen immer weiter auftürmen.
Abwasser: Großen Frust hat die alte Landesregierung mit ihrem Kommunalen Abgabengesetz ausgelöst: Demnach durften die Kommunen 2015 ein Jahr lang nachträglich Beiträge für Kanalanlagen aus den 90er Jahren kassieren. Mehr als 70 000 Haushalte sind betroffen. Grüne und auch große Teile der SPD lehnten das ab. Auch die CDU ist mittlerweile unglücklich darüber. Alle wollen ein neues Gesetz, doch es ist schwer, den Schaden zu reparieren. Die Linke-Opposition hält das Gesetz für verfassungswidrig und hat Klage beim Landesverfassungsgericht in Dessau eingereicht. Das Urteil und ein von der Regierung in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten werden wohl abgewartet, ehe der neue Landtag aktiv wird.
Innere Sicherheit: Die Grünen fordern, dass Polizisten bei Demonstrationen gekennzeichnet werden, um unrechtmäßige Gewalt besser aufzuklären. Die CDU lehnt eine Kennzeichnungspflicht strikt ab. Möglicher Kompromiss: Eine anonymisierte, von Einsatz zu Einsatz wechselnde Kennzeichnung.
Kita: In den vergangenen Jahren haben viele Eltern immer höhere Kita-Beiträge zahlen müssen. Alle Parteien wollen das Kinderförderungsgesetz überarbeiten. Die CDU will das letzte Kita-Jahr ab 2017 beitragsfrei gestalten. Die Sozialdemokraten haben im Wahlkampf damit geworben, den Eltern-Beitrag auf Kindergeld-Höhe (190 Euro) zu deckeln. Die Grünen streben eine sozialverträgliche Staffelung der Beiträge nach dem Gehalt der Eltern an. Die Ansätze sind verschieden, das Ziel, Eltern zu entlasten, jedoch identisch. Der CDU-Vorschlag ist der einfachste und kommt in der Bevölkerung gut an – die Union hat gute Chancen, sich an dieser Stelle durchzusetzen. Dafür könnten SPD und Grüne auf mehr Personal pochen, um Schließzeiten der Einrichtungen sowie Krank- und Urlaubstage der Erzieher besser aufzufangen. Doch all diese Wünsche kosten Millionen.
Familienpolitik: Die CDU bekennt sich zu ihren konservativen Werten: Im Mittelpunkt steht die traditionelle Familie. Anders als SPD und Grüne ist sie gegen ein Gleichstellungsgesetz für Schwule, Lesben, Transgender und Bi-Sexuelle. Die Grünen fordern außerdem ein uneingeschränktes Adoptionsrecht für homosexuelle Paare – was die Union klar ablehnt. Für die Gleichstellung der „Homo-Ehe“ ist der Bund zuständig – wie in vielen strittigen Themen dürfte es auch in diesem Bereich auf eine Enthaltung Sachsen-Anhalts im Bundesrat hinauslaufen.
Verkehrspolitik: Den Streit um den Bau der A 14 haben die Grünen bereits als verlorene Schlacht abgehakt. Bei Thema Elbe reagiert die Öko-Partei aber allergisch. Einen Ausbau lehnt sie kategorisch ab. Die CDU verlangt hingegen eine ganzjährige Schiffbarkeit mit einer Mindesttiefe von 1,60 Meter in der Fahrrinne. Doch das ist ohne zusätzliche Buhnen und Eingriffe in die Fluss-Sohle nicht machbar. Die Streithähne könnten sich darauf einigen, die derzeit laufende Kompromiss-Suche auf Bundesebene abzuwarten. Der Bund selbst untersucht, ob nicht auch 1,40 Meter reichen. Doch im Tagesgeschäft sind viele Reibereien zu erwarten, wenn etwa der Verkehrsminister bei der gerade laufenden Debatte um einen neuen Bundesverkehrswegeplan mehr Straßenprojekte fordert. CDU und SPD sind klar für die neue Schnellstraße B 190n durch die Altmark.
Energiepolitik: Die Grünen sind für einen Ausstieg aus der Braunkohle; sie fordern eine Laufzeitbegrenzung der Kohlekraftwerke bis 2030. Das wird mit CDU und SPD nicht zu machen sein. Die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag) hat ihre Ausbaupläne zwar erstmal auf Eis gelegt, es ist aber nicht vorstellbar, dass sich Schwarz-Rot gegen die Braunkohle positioniert. Noch heftiger stürmt es beim Thema Wind. Die CDU hat nichts gegen eine Modernisierung der Windkraftanlagen (Re-Powering), sie will aber auf alle Fälle eine Ausweitung bestehender Windmühlenparks verhindern. Die Grünen wollen, dass mehr Flächen ausgewiesen werden.
Landwirtschaft: Die Grünen werden Druck in der Landwirtschaftspolitik machen, damit Tiere besser gehalten und geschützt werden. Das massenhafte Hähnchentöten wollen sie verbieten. CDU und SPD setzen bei dieser Frage stärker auf unternehmerisches Einsehen und wissenschaftlichen Fortschritt. Doch bei diesem grünen Kernthema werden beide Parteien den Grünen entgegenkommen müssen. Einig dürften sich CDU, Sozialdemokraten und Grüne sein, wenn es darum geht, große Landverkäufe an nichteinheimische Investorengruppen zu bändigen.
Ministerposten: Die Grünen wollen zwei Minister, die SPD drei. Das sind Maximalforderungen, um die Parteibasis zu beruhigen – realistisch ist das nicht. Die Grünen dürften das Kultusressort (mit Claudia Dalbert als Ministerin) bekommen, mehr nicht. Bei einem weiteren grünen Ministerposten müsste nämlich das Umwelt- vom Agrarressort abgekoppelt werden, da die Landwirte bei einem grünen Minister auf die Barrikaden gingen. Doch eine Ressort-Trennung wäre teuer, ein kompletter neuer Ministerstab stünde dann auf der Gehaltsliste. Die CDU wird darum ringen, dass beide Häuser zusammenbleiben unter ihrem Minister Hermann Onko Aeikens.
Die SPD wird sich wohl mit Finanzen (Jörg Felgner), Soziales und einer Integrations-Staatssekretärin begnügen müssen. Die Union übernähme wieder das Wirtschaftsministerium. Für die Leitung böten sich der bisherige Fraktionschef André Schröder oder Staatssekretärin Tamara Zieschang an. Die Juristin könnte aber auch das Justizressort leiten.