Homosexualität Die Angst der AfD vor der Umpolung
Sachsen-Anhalts Landesregierung will die heterosexuelle Mehrheit umerziehen, warnt die AfD. Im Landtag steht sie damit allein da.
Magdeburg l AfD-Fraktionschef André Poggenburg braucht keine zwei Minuten, um vom Kita-Koffer aus den ganz großen Bogen zu schlagen. Er landet bei: Analsex. Dildos. Vaginalkugeln. All das nämlich droht aus seiner Sicht unschuldigen Kindern durch ein Aktionsprogramm des Landes gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten.
Das postulierte Ziel klinge ja harmlos, sagt Poggenburg. In Wahrheit aber stecke dahinter der Versuch, die Bevölkerung umzuerziehen. Während Poggenburg spricht, steigt die Temperatur auf der linken Seite des Plenarsaals, es gibt wütende Zwischenrufe. Die einstige SPD-Fraktionschefin Katrin Budde hält es kaum auf dem Sitz. Poggenburg legt nach: „Hier werden 95 Prozent der Bevölkerung ideologisch bedrängt und gegängelt!“
Die Ämterverteilung der jüngsten Regierungsbildung bringt es mit sich, dass nun die CDU-Frau Anne-Marie Keding als Gleichstellungsministerin das Programm ihrer SPD-Vorgängerin Angela Kolb-Janssen verteidigen muss. Die Juristin tut es auf nüchterne Art, verweist auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes – und lässt sich dann doch hinreißen, die Schwulen und Lesben zu zitieren, die mittags vor dem Landtag demonstriert haben. Deren Plakate hätten ihr gut gefallen, sagt Keding. „Auf einem stand ‚Ihr werdet nicht schlechtergestellt, wenn wir gleichgestellt werden.‘“ Die Kenia-Koalition applaudiert.
Die Linke ebenso – geht die Sache aber deutlich leidenschaftlicher an. Poggenburg suggeriere, die Landesregierung wolle zu bestimmten Sexualpraktiken aufrufen, empört sich Eva von Angern. „Man könnte annehmen, dass das Ihren eigenen schmutzigen Fantasien entspringt!“ Die AfD spiele soziale Gruppen gegeneinander aus. „Das ist widerlich.“ Sie frage sich, welche Gruppe die AfD in der nächsten Plenarwoche attackieren werde: „Frauen? Naturschützer? Menschen mit Behinderung?“
Für die Gruppe, um die es heute geht, hat die Schwulenbewegung die wuchtige Abkürzung LSBTTI geprägt – gemeint sind „Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle und intergeschlechtliche Menschen“.
Überraschend zeigt sich, dass das nicht nur Grünen und Linken flott von den Lippen geht, sondern längst auch CDU-Abgeordneten. Jens Kolze etwa spricht die komplette Aufzählung sogar zwei Mal aus – ganz anders als der AfD-Mann Robert Farle, der sich bei „diesem BTTI“ absichtlich verspricht.
„Wovor haben Sie eigentlich Angst?“, fragt Ex-Ministerin Kolb-Janssen. „Die Menschen, über die wir reden, haben es sich nicht ausgesucht, wie sie sind.“
Angst? Das will AfD-Chef Poggenburg nicht stehenlassen. Seine Partei sei unerschrocken, erwidert er auf Kolb-Janssen. „Wir stecken verbale, mediale und auch kriminelle Prügel ein, an denen Sie längst zerbrochen wären.“
Am Ende schickt die AfD noch ihren Rechtsaußen Hans-Thomas Tillschneider ans Rednerpult. Der zitiert den Philosophen Robert Spaemann: „Es gibt, wie Aristoteles schreibt, Fehler der Natur.“ Welche Gruppe sich als „Fehler“ angesprochen fühlen soll, überlässt Tillschneider seinen Zuhörern. Mehrfach spricht er von „Norm und Abweichung“.
Ob er Homosexualität für eine Krankheit halte, will der SPD-Abgeordnete Falko Grube wissen. Tillschneider wittert die Falle. Das nicht, sagt Tillschneider. „Aber es ist eine Normabweichung.“ An die CDU appelliert er, das Programm als Verstoß gegen ihr christliches Weltbild zu kippen.
Die Abfuhr kommt doppelt. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) rügt die Wortwahl von seinem Abgeordnetensitz aus. Bis zur Unterscheidung „zwischen Leben erster und zweiter Klasse, zwischen wert und unwert“ sei es da nicht mehr weit. Sein Parteifreund Frank Scheurell argumentiert, gerade Christen dürften Menschen nicht diskriminieren. Als Katholik sei er in Sachsen-Anhalt eine Minderheit, sagte Scheurell. Aber niemals lasse er sich einreden, dass er damit Außenseiter sei.
Am Ende lehnen Koalition und Linke den AfD-Antrag zum Stopp des Programms geschlossen ab.