Blutbank-Chef Autorität ohne Allüren geht in Rente
Seit 20 Jahren leitet Marcell U. Heim das Blutbank-Institut in Magdeburg. Sein Lebensweg spiegelt die deutsche Geschichte.
Magdeburg. l Marcell U. Heim kann man sich in der Chefrolle nur schwer vorstellen. Seine legere Umgangsart im Magdeburger Universitätsklinikum ist legendär. Selbst seine Mitarbeiterin Silke Schulze sagt: „Wir würden uns öfter wünschen, dass er mal auf den Tisch haut.“ Macht er aber nicht, und wenn, dann virtuell im Stillen.
Und doch ist der Professor hier im – langer Titel – Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie mit Blutbank die Nummer eins. Seit 22 Jahren.
„Wenn die Mitarbeiter nicht glücklich sind, hat der Chef etwas falsch gemacht“, sagt Heim. Nach dieser Maxime führt er das Institut mit seinen rund 60 Beschäftigten. Aufgabe: Versorgung des Uniklinikums mit Blut und Plasma. Rund 13 000 Blutkonserven jährlich können durch Spenden bereitgestellt werden. Der Bedarf liegt jedoch bei 17 000 bis 18 000 Konserven. Die Differenz muss durch Zukauf gedeckt werden. Hinzu kommen 3000 Plasmaspenden im Jahr.
Institutsdirektor Heim jedoch wurde deutschlandweit durch eine andere Spenden-Sparte bekannt: Knochenmark-Typisierung für die Krebsbehandlung. Als die Eltern des leukämiekranken 14-jährigen Magdeburger Jungen Nico 1995 mit einem Aufruf eine landesweite Spendenaktion ausgelöst hatten, stand Heim mit seinem Uni-Institut Pate.
Die Kosten trug er zu Anfang selbst: „Eine Knochenspender-Datei war nicht das Dringendste, was Magdeburg brauchte.“ Die Zeit aber war knapp. Dann der Paukenschlag: Mehr als 21 000 Sachsen-Anhalter kamen am 17. Dezember 1995 zum Bluttest für den Aufbau einer Knochenmarkspender-Datei – eine bundesweit einmalige Aktion.
Für Nico kam die Hilfe zu spät, aber die Datei umfasst heute mehr als 33 000 Namen und der Verein Knochenmarkspende Sachsen-Anhalt als Teil des deutschlandweiten Spendennetzes hilft heute in aller Welt.
„Durch den unermüdlichen Einsatz von Professor Heim“, sagt Jan L. Hülsemann, Ärztlicher Direktor des Uni-Klinikums, über den Kollegen, „ist die Zahl der Blutspender auf- und ausgebaut worden, die dafür sorgen, dass am Universitätsklinikum dringend benötigte Blutkonserven zur Verfügung stehen.“ Ebenso sei Aufbau der damals ersten Knochenmarkspender-Datei in den neuen Bundesländern zu erwähnen, aus der inzwischen Patienten aus 30 Ländern der Welt geholfen werden konnte.
1993 war Marcell U. Heim aus München nach Magdeburg gekommen. Einschneidend und auslösend sei der Mauerfall gewesen. Mit seiner Familie wechselte er aus gut situierten Münchner Verhältnissen in den Osten, um sich hier einzubringen.
Zunächst leitete Heim kommissarisch das Institut für Transfusionsmedizin. Ein Jahr später wurde er zu dessen Leiter und zum Professor berufen. Die Erinnerungen sind differenziert: „Ich habe erlebt, dass Wessis zu ihren ostdeutschen Mitarbeitern gesagt haben: Sie werden sehen, in einem Jahr ist keiner von Ihnen mehr da.“ Bei Heim gab es das nicht, die Leute blieben. Der Ärztliche Direktor nennt es die „einfühlsame und gewinnende Art“, die Heim bei seinen Kollegen und weit darüber hinaus zu einem geschätzten Kollegen mache.
Die Affinität des 1950 in Frankfurt/Main geborenen Mediziners zum Osten rührt aus der Kindheit. „Meine Mutter kam aus Luckenwalde, und ich habe bis 1965 regelmäßig die Großeltern dort besucht.“ Lächelnd blickt er zurück: „In Luckenwalde habe ich Fahrradfahren gelernt!“ Ernst fügt er hinzu: „Die Trennung der beiden Staaten war für mich ein kleines Trauma.“
Verbunden mit dem beruflichen Einstieg in der Elbestadt war für den Katholiken, sich ins gesellschaftliche Leben einzubringen – so im Theaterförderverein oder der Biederitzer Kirchengemeinde, die später mit der St. Petri-Kirche in Magdeburg, der Wirkungsstätte der Prämonstratenser, fusionierte.
Auch in der deutsch-französischen Gesellschaft ist Heim aktiv und versucht, die Städtepartnerschaft zwischen Magdeburg und Le Havre zu beleben. Äußeres Zeichen der Frankophilie ist seine „Ente“. Mit Autos vom Typ Citroën 2CV kurvt er seit 1971 umher. Immer noch sehr zufrieden, „nur im Winter wird’s mal kalt!“.
Magdeburg ist für die Heims zur Heimat geworden. Nur kurz nach der Jahrtausendwende standen die Zeichen auf Flucht aus dem Lande.
Das hatte politische Gründe. In Sachsen-Anhalt regierte eine rot-grüne Regierung, geführt von Reinhard Höppner (SPD) unter Tolerierung der damaligen Linkspartei. Ein Graus für Heim, dessen Frau jahrelang Mitarbeiterin des nachfolgenden Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer (CDU) war.
„Ich bin in die CDU eingetreten, als Höppner zum zweiten Mal gewählt wurde“, bekennt Heim: „Beim dritten Mal hätte ich gesagt: Jetzt hau ich ab.“ Der 66-Jährige, der immer noch über ausgezeichnete Drähte nach München verfügt, begründet dies vor allem mit wirtschaftlichen Tatsachen. Aus seinen Quellen, sagt Heim, wisse er: „Ohne Höppner wäre BMW nach Magdeburg gekommen.“
Der Mediziner Heim ist nicht nur Institutsdirektor, sondern auch erfahrener Hochschullehrer. Katharina Engel, Fachschaftsrat Medizin Magdeburg, sagt über den Dozenten: „Professor Heim übermittelt sein Wissen auf eine lockere Art und Weise. So merkt man gar nicht, dass man schon seit drei Stunden im Biologieseminar sitzt. Außerdem unterstützt er als Leiter der Blutbank studentische Projekte wie die alljährliche ,Blut-für-Bier-Party‘, die in diesem Jahr sogar über 130 Menschen zum Blutspenden animiert hat.“
Für den Institutschef hat sich die Lehrtätigkeit aber stark geändert, persönliche Wissensvermittlung gerät in den Hintergrund: „Die Studenten von heute möchten alles aus dem Netz runterladen können“, sagt Heim. Dann frage er sich manchmal, ob er alt geworden sei.
Am 1. August geht Heim in Rente. Was ihn nicht von neuen Projekten abhält: Er will ein Buch über die Wendejahre schreiben. Absicht: „Ich möchte den Münchnern erklären, was hier vor 25 Jahren alles los war.“