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Verfassungsschutz Hollmann: "Es gibt nicht den einen Islam"

Kollidiert der Islam mit dem Grundgesetz? Der Landeschef des Verfassungsschutzes Jochen Hollmann plädiert für eine differenzierte Sicht.

07.06.2016, 23:01

Herr Hollmann, seit Jahren wird strittig debattiert, ob der Islam zu Deutschland gehört. Was sagt der Verfassungsschützer?

Jochen Hollmann: Zwei Dinge vorweg: Der Islam ist eine Religion wie das Christentum auch. Und: Der Verfassungsschutz ist keine Religionspolizei.

Wir interessieren uns für den Missbrauch von Religionen, für bestimmte Strömungen – etwa für den Islamismus. Diese Strömungen beziehen sich auf den Islam, repräsentieren ihn aber nur zu einem kleinen Teil. Der Extremist ist also das Zielobjekt des Verfassungsschutzes, nicht der gläubige Muslim.

Was sagen Sie zu der Behauptung, der Islam sei im Kern immer eine politische Bewegung, die letztlich mit unserem Grundgesetz in Konflikt geraten muss?

Es gibt nicht den einen Islam. Der Islam kennt verschiedene Rechtsschulen, auch innerhalb der Verbände wird der Islam unterschiedlich ausgelegt – von liberal bis extrem. Je weiter er sich ins Extreme bewegt, desto größer ist die Gefahr, mit dem Grundgesetz in Konflikt zu geraten.

Wer gehört zu den Extremen?

Extremistisch ausgelegt wird der Koran zum Beispiel in folgenden Gruppierungen: Das sind der Kalifatstaat, die verbotene Hisb ut-Tahrir – auf deutsch: Partei der Befreiung, der Islamische Staat IS und dazu gehören auch die Salafisten.

Gibt es in Deutschland islamische Gruppen mit zweifelhaften politischen Ambitionen?

Es gibt diese. Sie sind aber vor dem Hintergrund, dass in Deutschland etwa viereinhalb Millionen Muslime leben, vergleichsweise klein. Wir haben Anhänger der Partei der Muslimbrüder, die zum Teil auffallen. Es gibt mehrere Verbände, die als Ganzes jedoch unproblematisch sind. Allerdings gibt es innerhalb der Verbände Moscheegemeinden, in denen Extremisten eine Rolle spielen.

Wie äußert sich das? Welche Rolle spielt dabei die Scharia?

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Manche Extremisten berufen sich zum Beispiel auf die Kairoer Erklärung der Menschenrechte. Rechtsgelehrte verschiedener islamischer Staaten haben sich darin verständigt, wie sie Menschenrechte definieren. Sie bekennen sich zwar zu fast allen Rechten und Freiheiten wie wir auch – allerdings nur so lange, wie diese nicht mit der Scharia kollidieren. Dort heißt es dann etwa: Es ist verboten, einem anderen das Leben zu nehmen, außer wenn die Scharia es verlangt. Die Scharia basiert auf dem Koran, Gott ist der oberste Gesetzgeber, die Scharia regelt das gesamte Leben.

Die meisten Muslime sind aber unauffällig. Sie leben bestimmte Traditionen. Manche, so wie auch viele Deutsche, sind nicht besonders religiös und verfolgen schon gar keine religiös motivierte verfassungsfeindliche Politik. Man kann von so genannten Kulturmuslimen sprechen.

Wie viele Muslime leben in Sachsen-Anhalt?

Hier leben etwa 20 000 Menschen mit muslimischem Hintergrund, davon sind rund 4000 überzeugte, praktizierende Muslime.

Wie schätzen Sie die streng Gläubigen hier ein: eher liberal oder eher konservativ?

In den muslimischen Gemeinden Sachsen-Anhalts sind extremistische Bestrebungen eher die Ausnahme. Die meisten Muslime halten sich an unsere Gesetze, da müssen wir keine Sorge haben. Warum kommen sie denn hierher? Weil sie wissen, dass ihnen der Rechtsstaat Sicherheit bietet. Wenn im Alltagsleben Konflikte auftreten, dürfen wir nicht vergessen, dass es auch in den Herkunftsländern kulturelle Unterschiede etwa zwischen Stadt und Land gibt. Wir dürfen nicht jedes Verhalten allein über die Religion erklären.

Wie viele Salafisten sind bekannt?

Wir haben in Deutschland etwa 8000 Salafisten.

Wie viele sind hier im Land aktiv?

Ihre Anzahl liegt in einem mittleren zweistelligen Bereich. Wir haben daneben einzelne Personen aus der Muslimbruderschaft, die auffallen. Wir haben aber keine größeren Probleme in Sachsen-Anhalt. Menschen, die sich radikalisieren, gehen meist in die Zentren wie nach Berlin, Hamburg oder ins Ruhrgebiet.

Wie viele Extremisten werden hier beobachtet?

Wir schauen uns die an, die besonders eifrig sind. Mehr möchte ich nicht sagen.

Was wollen Salafisten?

Salafisten wie auch der IS knüpfen an den aus ihrer Sicht reinen Islam an, wie er in der Frühzeit dieser Religion im 7. Jahrhundert bestanden hatte. Der Prophet Mohammed und die ersten Kalifen waren nicht nur die religiösen, sondern auch die politischen Führer. Darin sehen Salafisten das Ideal, sie wollen zurück zu dem – wie sie sagen – goldenen Zeitalter. Das ist verbunden mit vielerlei Vorschriften: auch wie man sich kleidet oder die Zähne putzt. Daran muss man sich penibel halten. Die Szene ist allerdings sehr vielschichtig. Salafisten verfügen über keine allgemein anerkannte oberste Instanz.

Wie groß ist die Gefahr, dass Salafisten junge Flüchtlinge radikalisieren?

Es besteht grundsätzlich die Gefahr, dass Salafisten versuchen, unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe Menschen an sich zu binden. Wir haben in Sachsen-Anhalt Einzelfälle. Diese stellen noch kein größeres Problem dar, aber wir sind alarmiert. Diese Fälle gab es aber schon vor der Flüchtlingssituation 2015. Gefährdet sind auch nicht allein Ausländer. In Halle sind Personen bei der sogenannten „Lies-Kampagne“ aufgefallen. Bei dieser Kampagne verteilen Salafisten Korane auf Deutsch in den Fußgängerzonen.

Wir haben auch Deutsche, die zum Islam konvertieren und besonders eifrig sind. Mit religiösem Tiefgang hat das oft nichts zu tun. Zum Teil ist es purer Zufall, ob ein Jugendlicher rechtsextrem oder islamistisch wird. Sie gehen zum IS, weil sie dort Machtfantasien ausleben und etwa Sklavinnen haben können.

Wie kann man junge Leute vor der Hirnwäsche schützen?

Sollten Lehrer, Eltern oder Nachbarn feststellen, dass sich Menschen in kurzer Zeit ändern, sollten sie aufmerksam werden. Ein Klassiker: Ein junger Mensch, der in einem liberalen muslimischen oder religionsfreien Elternhaus aufgewachsen ist, verändert plötzlich sein Verhalten. Er trinkt keinen Tropfen Alkohol mehr, er erklärt seinen Eltern, wie man richtig betet. Es ist wichtig, schnell zu reagieren. Wir bieten da auch unsere Hilfe an. Wir beobachten nicht nur, wir tun auch etwas dagegen.

Wie viele IS-Kämpfer und Rückkehrer gibt es in Sachsen-Anhalt?

Bekannt sind uns zwei Mädchen, die zum IS gegangen sind. Sie sind noch nicht wieder zurückgekehrt. Größere Probleme haben Länder wie Nordrhein-Westfalen oder Berlin.

Die Düsseldorfer Tatverdächtigen waren angeblich in einem Flüchtlingsheim abgetaucht. Wie groß ist die Gefahr, dass als Flüchtlinge getarnte Extremisten auch nach Sachsen-Anhalt gekommen sind?

Wir haben in Deutschland zahlreiche Hinweise bekommen und haben uns darum gekümmert. Aber für Sachsen-Anhalt haben wir keine Erkenntnisse, dass Extremisten gezielt eingeschleust worden sind. Wir gehen den Hinweisen nach; aber wir können in niemanden hineinschauen. Vollständig ausräumen kann man eine Gefahr nicht. Seit den Anschlägen in Frankreich wissen wir, dass Terroristen mit Flüchtlingen auf die Reise geschickt wurden.

Welche Motive haben die IS-Machthaber, Kämpfer über gefahrvolle Fluchtrouten nach Europa zu schicken?

Dem IS gefällt es nicht, wenn so viele Menschen sein Herrschaftsgebiet verlassen. Er hat also durchaus ein Interesse daran, Angst zu verbreiten. Das Kalkül: Kippt hier die Meinung über Flüchtlinge, fliehen weniger Muslime nach Europa.

Wie groß ist die Anschlagsgefahr für Sachsen-Anhalt?

Die allgemeine Gefahr ist seit Längerem hoch. Waren früher vor allem symbolträchtige Orte in größeren Städten stärker gefährdet, so wissen wir seit Frankreich, dass die Täter wahllos vorgehen, indem sie etwa in einem Café auf Menschen schießen. Das kann theoretisch auch in Sachsen-Anhalt passieren. Wir haben derzeit keine konkreten Hinweise. Aber generell gilt: Wir müssen auch für Deutschland mit einem größeren Anschlag rechnen. Die Festnahme der vier Terrorverdächtigen in der vergangenen Woche zeigt aber, dass die Sicherheitsbehörden sehr wachsam und auch erfolgreich sind.

Manche sehen in Mo­scheen mit Minarett und Muezzin schon ein verwerfliches Machtsymbol. Wie schätzen Sie das ein?

Moscheen sind Gebetshäuser, sie wirken identitätsstiftend. Sie sind kein Symbol für einen Machtanspruch und auch nicht Teil einer terroristischen oder extremistischen Strategie.

Aus unserer Sicht ist es gut, wenn es Räume gibt, wo Muslime ihren Glauben leben können, und wenn sie Kontakt zu Einheimischen knüpfen. Auch unsere Mitarbeiter besuchen muslimische Gemeinden, wir bieten auch Hilfe an, damit unsere Rechtsordnung verstanden wird. Wenn sich dort Probleme entwickeln, würden wir auftreten und das sagen, um einen Selbstreinigungsprozess in Gang zu setzen. Wir sehen eher Vorteile, wenn Muslime Moscheen und Gemeinden haben. Viele Muslime beten in Sachsen-Anhalt noch in provisorischen Einrichtungen.