Ungeklärte Kriminalfälle in Sachsen-Anhalt (3) Der Valentins-Mord von Magdeburg
In Sachsen-Anhalt werden Jahr für Jahr rund 1500 sogenannte Kapitalverbrechen begangen – darunter rund 100 Tötungsdelikte. Die meisten Fälle werden aufgeklärt. Doch bleiben immer noch einige Straftaten übrig und die Täter unerkannt. Die Volksstimme nimmt sich in ihrer Sommerserie gemeinsam mit Staatsanwaltschaft und Polizei einiger dieser Delikte an und fragt: Wer kann Hinweise geben?
Magdeburg. 16. Februar 2006. 48 Stunden nach jenem Tag, an dem sich Verliebte besondere Aufmerksamkeit schenken, an dem in Blumengeschäften und im Parfümeriefachhandel die Kassen klingeln, schließen zwei Männer auf der 2. Etage der Magdeburger Goethestraße 40 eine Wohnung auf. An der Tür steht der Name Matthias Hummel (Nachname geändert).
Bei den beiden Männern handelt es sich um den Sohn von Hummels Chef sowie einen Hausbewohner.
Der Vorgesetzte des Magdeburger Bereichsleiters der Kosmetikfirma "L’Oreal" hatte am Vormittag vergeblich versucht, seinen Mitarbeiter telefonisch zu erreichen. Hummel ist als äußerst zuverlässig und verantwortungsbewusst bekannt. Unentschuldigtes Fehlen war bei dem 36-Jährigen bisher noch nicht vorgekommen. Deshalb macht sich der Chef Sorgen. Er ruft seinen Sohn an, von dem er weiß, dass er sich in Magdeburg aufhält, und schickt ihn zum Gründerzeithaus in Magdeburg-Stadtfeld. Er soll sich nach dem Befinden des Parfümerie-Vertreters erkundigen.
Mit Halswunde tot im Bett
Doch auf das Klingeln öffnet niemand. Es ist kurz nach 20 Uhr, als es der junge Mann bei einem Nachbarn von Hummel versucht. Und er hat Glück. Die Nachbarsfamilie hat einen Schlüssel zur Wohnung. Der 36-Jährige, der auf Grund seiner Vertriebstätigkeit im Großraum Magdeburg und in Teilen Niedersachsens oft nicht zu Hause ist, hat den Nachbarn einen Zweitschlüssel anvertraut – für alle Fälle.
Die Tür springt auf und die beiden Männer rufen: "Herr Hummel! Herr Hummel, sind Sie zu Hause?" Doch niemand antwortet. Sie schauen in allen Zimmern der Dreiraumwohnung nach. Im letzten, dem Schlafzimmer, machen sie eine grausige Entdeckung. Auf dem Bett liegt in einer großen Blutlache – völlig bekleidet und mit klaffender Halswunde – der Wohnungsinhaber.
Um 20.45 Uhr geht der Notruf bei der Polizei ein. Wenig später trifft der sogenannte Kriminaldauerdienst in der Goethestraße ein. Für die beiden Polizisten ist es keine Frage: Hier liegt eine Straftat vor.
Die Tatortgruppe des Landeskriminalamts nimmt ihre Arbeit in der Wohnung auf. Die Ermittler des 2. Fachkommissariats – zuständig für "Taten gegen das Leben" beginnen, "Klinken zu putzen". Die Ermittlungsgruppe unter Leitung des Ersten Kriminalhauptkommissars Harald Meier befragt zuerst die Hausbewohner, dann Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen.
Die Untersuchung ergibt schnell, dass Matthias Hummel zwar seine Wohnung in Magdeburg, seinen Freundeskreis jedoch in Neubrandenburg hatte. Dort stammte der 36-Jährige, der 2004 aus beruflichen Gründen nach Magdeburg umgezogen war, her.
Die Tatzeit kann eingegrenzt werden. "Sie liegt zwischen 18 und 22 Uhr am 14. Februar 2006 – dem Valentinstag", sagt Kriminalhauptkommissarin Anja Märtens. Zwischen 16.30 und 18 Uhr war das spätere Opfer von mehreren Hausbewohnern gesehen worden, wie er seine Dreiraumwohnung betrat. Dort erledigte der Kosmetikvertreter noch einige dienstliche Geschäfte und führte vom Handy ein Gespräch. Das letzte Lebenszeichen Hummels.
Gegen 22 Uhr stellten Hausbewohner fest, dass im Flur mehrfach das Licht an- und ausgeschaltet wurde. Die Mordkommission geht davon aus, dass dieser Umstand möglicherweise mit der Straftat im Zusammenhang steht.
Sicher ist, dass der Vertreter seinen Mörder oder seine Mörderin selbst eingelassen haben muss. Märtens: "Das Schloss ist nicht gewaltsam geöffnet worden."
Die Kripo findet eine Menge Spuren, darunter auch DNA-Material. Die Polizei bittet Bekannte und Familienangehörige des Opfers um Speichelproben, um die DNA abgleichen zu können. Zu den Testpersonen gehört auch ein Mann, der ein Motiv gehabt haben könnte. Er lebt außerhalb Sachsen-Anhalts. Hummer war mit dem Mann und mit dessen Ehefrau gut bekannt. Doch die Speichel-Aktion bringt keinen Hinweis auf eine Täterschaft.
Das Motiv der Tat liegt ebenfalls bis heute im Dunkeln. Ein klassischer Raubmord scheint auszuscheiden. Obwohl Hummer der Laptop und die EC-Karte gestohlen wurden. Mit der Karte hob der Täter am 15. Februar 2006 um 3.50 Uhr an einem Automaten der Magdeburger Volksbank in der Halberstädter Straße mehrere 100 Euro und am 17. Februar bei einer Bank außerhalb der Landeshauptstadt erneut einige 100 Euro ab.
Wie der "Ripper" an die Geheimzahl seines Opfers gekommen ist, zählt zu den großen Geheimnissen dieses Falles. Hummer wird als ein Mensch beschrieben, der mit Zahlen umgehen konnte. Deshalb sei beinahe auszuschließen, dass er die PIN irgendwo notiert hatte.
Der Mörder ließ in der Tatwohnung jedoch über 1000 Euro und eine größere Summe an Dollarscheinen liegen. Er rührte auch die wertvolle Sammlung von südafrikanischen Krügerrand-Goldmünzen nicht an. Es sei nicht auszuschließen, dass der Täter "eine falsche Spur legen und mit der EC-Karte eine Raubtat vortäuschen wollte", meint Märtens.
Es gab in der Wohnung keinerlei Kampfspuren. Die Räume waren völlig aufgeräumt.
Aufgrund der Konto-Abhebungen sah sich die zwölfköpfige Ermittlungsgruppe bereits auf der Erfolgsspur. Doch ausgerechnet die genutzten Bankautomaten waren nicht mit einer Überwachungskamera ausgestattet. Der Täter bleibt unerkannt.
Auch die Hoffnung, dass der Mörder noch ein drittes Mal Geld abholt, zerschlägt sich. Der Täter glaubt nicht zu Unrecht, dass die Gefahr, entdeckt zu werden, zu groß ist. Da nutzt es auch nichts, dass die Polizei das Konto Hummels – sozusagen als Anreiz – extra noch einmal auffüllt. Und auch der Laptop, ein IBM X31, taucht nicht wieder auf.
"Wir haben bis zur NVA-Zeit des Opfers zurückermittelt", sagt Kriminalhauptkommissarin Märtens, "aber wir können die Frage der Identität des Täters bis heute nicht beantworten."
Freunde, Verwandte und Kollegen bezeichnen den Mann, der mit einem großen Messer umgebracht wurde, als "nett", "verträglich", "ruhig", "extrem schüchtern". Er sei jedem Stress aus dem Wege gegangen. Ein Motiv für die Bluttat kann sich niemand der Befragten vorstellen. Sein Hobby war das Reisen.
Hummer fuhr beinahe jedes Wochenende nach Neubrandenburg, wo er seinen Freundeskreis hatte. In Magdeburg pflegte er nur losen Kontakt zu den Bewohnern seines Hauses.
Die Situation in der Wohnung deutet auch nicht darauf hin, so Märtens, dass der Kosmetikvertreter Besuch erwartet hatte.
Allerdings muss bei der Tat "großer Hass" im Spiel gewesen sein. Das schließen die Ermittler aus dem mit großer Gewalt geführten Halsschnitt. "Trotz intensiver Befragungen des Umfelds wissen wir jedoch viel zu wenig über das Opfer, um von einem Persönlichkeitsbild auf den möglichen Täter zu schließen."
Möglicherweise ändert sich das jedoch. Denn die Mordkommission der Polizeidirektion Nord (Magdeburg) hat die Kollegen von der "Operativen Fallanalyse" des Landeskriminalamts eingeschaltet. Märtens: "Gegenwärtig sind die LKA-Mitarbeiter dabei, noch einmal alle Akten des Falls durchzusehen. Dabei achten sie unter anderem auf psychologische Gesichtspunkte."
Weiterhelfen könnte auch die Tatort-DNA. Denn darunter sind Spuren, die bisher niemandem zuzuordnen sind. "Die Spurenauswertung geschieht gerade unter einem anderen Blickwinkel und es werden inzwischen verfeinerte Methoden angewandt, die möglicherweise den entscheidenden Hinweis auf den Täter geben."
Am Sonnabend:
Der Tote im Musikcafé
Sangerhausen. Am 12. Juli 1996 wird ein Mosambikaner in einer Szenekneipe in Sangerhausen von einem Mann mit einem Billardstock erschlagen.