Das Vermächtnis der Spione John le Carré wühlt Smileys Sünden auf
John le Carré bringt seine beliebteste Figur zurück - den Meisterspion George Smiley. Doch "Das Vermächtnis der Spione" gerät zur Abrechnung mit Smileys Sünden - und der Generation, die den Kalten Krieg zwar gewann - aber die Welt auch nicht besser machte.
Berlin (dpa) - Der neue Roman von John le Carré ist eine Zeitreise: Über 50 Jahre nach seinem ersten großen Erfolg "Der Spion, der aus der Kälte kam" knüpft er an das damalige Drama im geteilten Berlin an.
"Das Vermächtnis der Spione" ist Epilog und Vorgeschichte zugleich. Und das Buch bringt le Carrés berühmteste Figur zurück auf die Seiten - den von Gewissensbissen geplagten Meisterspion George Smiley.
Diesmal geht es allerdings weniger um Smileys Geschick als um Smileys Sünden: Der britische Geheimdienst wird von den Kindern von zwei Menschen verklagt, die im Kugelhagel an der Berliner Mauer starben. Deshalb wird Smileys einstiger Protegé Peter Guillam, der inzwischen schon selbst um die 80 Jahre alt ist, von seinem Ruhestandssitz in Frankreich nach London zitiert, um in der Vergangenheit herumzuwühlen.
Denn die Akten zu der damaligen Operation sind verschwunden, weil Smiley und Geheimdienstchef Control deren eigentlichen Zweck verschleiern wollten: Sie erhofften sich davon einen Hinweis auf den ranghohen Maulwurf Moskaus in der Chefetage des britischen Geheimdiensts. Den Maulwurf, den Smiley später in "Dame, König, As, Spion" jagen wird. Jetzt, in der Gegenwart, sind aber nicht nur die Akten weg, sondern auch Smiley ist nicht aufzufinden. Also versuchen die Geheimdienst-Anwälte, aus Guillam die Wahrheiten herauszupressen, die er jahrzehntelang tief in sich versteckte - und für die er sich nie aufhörte zu schämen. Dennoch muss er sich ins geteilte Deutschland auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zurückdenken. Und die alte Geschichte aus diesen Erinnerungen macht den Kern des Buchs aus.
"Der Spion, der aus der Kälte kam" machte le Carré über Nacht berühmt und setzte den Ton für seine Karriere. Es ist ein kurzes, cleveres, intensives Buch, eine auf den ersten Blick geradlinige Geschichte mit einem faszinierenden doppelten Boden. Jetzt baut le Carré in den doppelten Boden noch ein paar verborgene Etagen des Verrats ein, die den bereits ziemlich teuflischen Plan von Control und Smiley vollends diabolisch aussehen lassen.
Für le Carré ist das die Basis, um - wie schon in einigen seiner früheren Bücher - nach dem Punkt zu suchen, ab dem der Zweck nicht mehr alle Mittel heiligt. Auch Smiley erscheint in einem anderen Licht. Nicht nur der mitfühlende Onkel George, der seine menschlichen Regungen unterdrücken muss, sondern jemand, der sehenden Auges Menschen in den sicheren Tod schicken kann, für die "Sache" - auch wenn er sich danach mit Gewissensbissen herumplagt. Letztlich beginnt man jetzt erst so richtig zu verstehen, woher Smileys Zweifel über seinen Berufsstand herrühren.
Und am Ende geht es - wie der Titel schon sagt - um das Vermächtnis der Spione. Oder sogar der ganzen Generation, die den Kalten Krieg gewonnen hatte, aber sich danach schwer damit tat, die demokratischen Werte des Westens zu wahren. Der heute 85-Jährige le Carré, der mit bürgerlichem Namen David Cornwell heißt, ging in den vergangenen Jahren hart mit dem Zustand der westlichen Welt ins Gericht. In den Büchern ging es um Waffenhändler, Menschenrechtsverletzungen im "Krieg gegen den Terror", korrupte Staatsdiener oder gierige Pharmakonzerne.
"Wir sind auf mysteriöse Weise unfokussiert, suchen seit der Zeit des Kalten Krieges immer noch nach einer Identität", beschrieb le Carré jüngst die Gegenwart in einem Interview des US-Rundfunks NPR. Es habe nach dem Fall der Mauer weder einen visionären Anführer gegeben, noch einen Marshall-Plan für den einstigen Ostblock, am Ende hätten politische Abenteurer den Sowjet-Kadaver zerfleddert. "Es ist wie ein langer Nachmittagsschlaf des Kapitalismus, in den wir reingeschlittert sind."
John le Carré: Das Vermächtnis der Spione, Ullstein, Berlin, 320 Seiten, 24,00 Euro, ISBN-13 978-3-5500-5012-1