Südkorea will deutsche Erfahrungen für eine mögliche Wiedervereinigung nutzen Bergner als "Fernost-Beauftragter" in Seoul
Es ist etliche Monate her, da rief Magdeburgs Alt-Oberbürgermeister Willi Polte in der Volksstimme-Politikredaktion an. Er habe da ein interessantes Thema, so Polte. Bei ihm hätte sich über eine ihm bekannte südkoreanische Professorin aus Berlin eine Delegation von Kommunalpolitikern aus Südkorea angesagt, die am Beispiel Magdeburgs Erfahrungen der Wiedervereinigung studieren wollten. Ob die Volksstimme Interesse daran habe, wollte der Alt-OB wissen.
Und ob. Leider wurde daraus nichts: Beim Termin im Magdeburger Landtag, komplimentierte die Wissenschaftlerin aus Südkorea die Volksstimme hinaus: Ihre Regierung, ließ sie wissen, wolle die Nordkoreaner nicht auf Vereinigungsüberlegungen des Südens aufmerksam machen. Dem Wunsch wurde, wenn auch widerstrebend in Anbetracht hier herrschender Pressefreiheit, entsprochen: Schließlich will man niemandem unabsichtlich den Geheimdienst Nordkoreas, damals noch von Kim Jong Il geführt, auf den Hals hetzen.
Inzwischen scheint Südkorea seine Auffassung geändert zu haben: Jüngst stand im "Spiegel" ein Bericht über eine keineswegs geheime Reise deutscher Politiker und Ex-Politiker in Südkoreas Hauptstadt Seoul im November 2011. Auch hier war das Ziel, deutsche Vereinigungserfahrungen vermittelt zu bekommen. Leiter der deutschen Abordnung mit primär ostdeutschem Hintergrund war ein Staatssekretär aus Halle/Saale: Christoph Bergner (CDU), im Bundesinnenministerium verantwortlich für den Aufbau Ost.
Zunächst Zurückhaltung
Der Ost-Beauftragte, der nun auch "Fernost-Beauftragter" ist, schildert der Volksstimme nun seine Seoul-Eindrücke. "Wir sind wegen der großen Unterschiede zunächst sehr zurückhaltend an die Sache herangegangen", sagt Bergner, gemeinsam mit dem Vizewiedervereinigungsminister Südkoreas Ko-Chef des deutsch-südkoreanischen Beirates (siehe Kasten). Bei der Suche nach Experten auf deutscher Seite hätte "eine Mischung aus Sachkompetenz und unmittelbaren Erfahrungen" eine Rolle gespielt. Und natürlich der Parteien-Proporz.
So ist ein illustrer Kreis entstanden: Er reicht vom letzten DDR-Premierminister Lothar de Maiziére über den letzten DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann, den Ost-Beauftragten der Nachwendezeit Johannes Ludewig (alle CDU), den vorletzten Ost-Beauftragen Wolfgang Tiefensee (SPD) bis zum Magdeburger Wirtschaftsprofessor Karl-Heinz Paqué (FDP). Auch der frühere Kohl-Berater Horst Teltschik und der NVA-Abwickler Jörg Schönbohm (beide CDU) gehören zum Beirat.
Sie seien "Wunschkandidaten" der Südkoreaner gewesen, erklärt Bergner, Schönbohm vor allem wegen der militärischen Komponente. Schließlich unterhalte Nordkorea, so der Staatssekretär, bei rund 24 Millionen Einwohnern ein "stehendes Heer" von 1,2 Millionen Frauen und Männern.
Der Wunsch nach Einheit begründet sich laut Bergner in "600 Jahren gemeinsamer Geschichte" von Nord- und Südkoreanern, im Vergleich zu Deutschland eine ganz andere Zeitdimension: "Es gibt das Gefühl der kulturellen Einheit."
Riesiges Wohlstandsgefälle
Dagegen stehe durch die Isolation eine weit größere Entfremdung, als sie in Ost- und Westdeutschland bestanden habe. Das zeige sich, meint der Hallenser, an der schwierigen Integration der wenigen Flüchtlinge, die es schafften, der nordkoreanischen Diktatur zu entkommen. Auch die außenpolitische Konstellation sei delikat: Die Chinesen sähen die US-Militärmacht an ihrer Grenze in Südkorea mir Argwohn, andererseits würden die Amerikaner als Schutzmacht gebraucht.
Schließlich und endlich ist da das riesiges Wohlstandsgefälle: Das Durchschnittseinkommen in Südkorea ist 36 mal so hoch wie im Norden. "Vieles lässt sich einfach nicht übertragen", schlussfolgert Bergner. "Aber wir liefern, was wir können, ob es etwas nützt, wissen wir nicht."
Was können die Deutschen den Südkoreanern aber konkret bieten? Bergner: "Dass sie den Menschen im Norden die Perspektive der Angleichung der Lebensverhältnisse bieten, ohne koloniale Dominanz. Wir haben ihnen gesagt: Sonst habt ihr die alle bald bei euch im Süden. Außerdem können wir kritisch reflektieren, wie aus einer Staatswirtschaft eine Privatwirtschaft gemacht wird - und was dabei alles schiefgehen kann."
Unabhängig von der diskussion der Experten mag es sein, dass Südkorea mit einer Vereinigungsberatung aus Deutschland auch ein ganz anderes Ziel verfolgt. Denn die starke Präsenz von Ost-Deutschen im Rat könnte ein Signal der Vertrauensbildung sein, dass die Menschen im Norden über Umwege erreichen soll: Seht her, ihr kennt doch noch die DDR, und wir machen die Wiedervereinigung mit früheren DDR-Deutschen, alles wird gut!
Zu den Aussichten auf eine tatsächliche Vereinigung beider Koreas äußert sich Bergner diplomatisch: "Für mich ist diese Arbeit eine Dienstleistung an den freundschaftlichen deutsch-südkoreanischen Beziehungen. Inwieweit sich Veränderungen ergeben, darüber will ich nicht spekulieren." Der nordkoreanische Nachwuchs-Herrscher Kim Jong Un gibt bisher auch wenig Anlass für intensive Gedanken an eine Wiedervereinigung.