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Neue Regierung in Budapest ist auf Konfrontationskurs zu den Nachbarn Der gefährliche Traum von einem neuen Groß-Ungarn

Von Steffen Honig 08.07.2010, 06:17

In Ungarn muss Schluss gemacht werden mit der "postkommunistischen Transformation". Das hat der in der Vorwoche vom Parlament neugewählte Staatspräsident Pal Schmitt gleich in seiner erster Rede gefordert. Ganz im Sinne von Premierminister Viktor Orban und dessen Fidesz-Partei, die seit Mai dieses Jahres den konservativen Wandel vorantreiben und Fidesz-Mitglied Schmitt auf den Schild gehoben haben.

Tatsächlich kann das krisengeschüttelte Ungarn eine wirtschaftliche Runderneuerung gut gebrauchen. Orban will das mit einem "Aktionsplan" erreichen, in dessen Mittelpunkt eine Steuerreform steht.

Doch die neue Regierung will mehr – eine komplette gesellschaftliche Kehrtwende in konservativer Richtung mit besonderer Betonung des nationalen Elements. Das ist im politisch tief gespaltenen Ungarn schon problematisch genug – in der Außenwirkung aber verheerend. So löste gleich einer der ersten Erlasse der Orban-Regierung Besorgnis in den Nachbarländern aus: die Vergabe der ungarischen Staatsbürgerschaft an die Auslandsungarn.

Dass Millionen ethnische Ungarn außerhalb der Grenzen der ungarischen Republik leben, ist eine Spätfolge des Ersten Weltkrieges (siehe Kasten). Vor allem betroffen sind Rumänien mit rund 1,4 Millionen Ungarn, die Slowakei, wo die ungarische Minderheit etwa eine halbe Million Menschen und damit rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht, sowie Serbien und die Ukraine mit 250000 bzw. 150000 ethnischen Ungarn.

Am spannungsgeladensten ist das Verhältnis von einheimischer Majorität und ungarischer Minorität in der Slowakei. Daran haben beide Seiten ihren Anteil. Die slowakische Republik verfolgte seit ihrer Unabhängigkeit 1993 eine restriktive Minderheitenpolitik gegenüber der starken ungarischen Gemeinschaft im Süden des Landes, die Autonomie oder zumindest regionale Selbstverwaltung forderte. Dementsprechend ist auch das neue slowakische "Staatssprachengesetz" über die Verwendung von Fremdsprachen im öffentlichen Leben gestrickt: Es stellt das Slowakische über sämtliche Minderheiten-Sprachen.

Ungarn seinerseits setzte bereits 2002 das "Gesetz über die Ungarn, die in Nachbarländern leben" in Kraft. Es gewährt den Angehörigen ungarischer Minderheiten in den Nachbarländern Ungarns Vergünstigungen, um sie enger an ihr "Mutterland" zu binden. Das war die passende Vorstufe für die jetzt beschlossene Doppelstaatsbürgerschaft. Die slowakische Regierung konterte umgehend: Wer einen ungarischen Pass beantragt, soll seinen slowakischen verlieren, kündigte Bratislava drohend an.

Der verschärfte Ton zwischen den beiden EU-Mitgliedsstaaten erweckt den Eindruck, als sei der Eiserne Vorhang nach dem Abriss 1989 an der österreichischen Grenze an der ungarisch-slowakischen Nahtstelle wiedererrichtet worden.

Wie weit wird es Viktor Orban mit seinen großungarischen Ambitionen treiben? Soll der Vertrag von Trianon durch die Hintertür revidiert werden? Immerhin wurde genau 90 Jahre nach dessen Unterzeichnung am 4. Juni dieses Jahres erstmals ein "Tag des nationalen Zusammenhalts" im ungarischen Parlament zelebriert. Tschechien witterte sofort Gefahr und warnte, durch den Trianon-Tag werde die europäische Friedesordnung in Frage gestellt.

Eine weitere Eskalation käme die ungarische Regierung teuer zu stehen: Sie riskiert, in der EU isoliert zu werden. Das kann sich Budapest nicht leisten. Denn Anfang 2011 ist Ungarn mit der EU-Ratspräsidentschaft an der Reihe.